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Aufgegeben: Sachsen Verfasschungsschutzpräsident Reinhard Boos tritt zurück.

© dapd

Rücktritt von Boos: Akten beim Aufräumen gefunden

Bei den Ermittlungen zum rechten Terror folgt eine Panne auf die nächste Nun tauchten beim sächsischen Verfassungsschutz neue Unterlagen auf – und Amtschef Boos geht.

Es ist der dritte Rücktritt beim deutschen Verfassungsschutz innerhalb von zwei Wochen. Und alle sind mit den Pannen bei den Ermittlungen zu den Verbrechen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) verbunden. Erst bat der oberste Verfassungsschützer Heinz Fromm um die Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand zum 31. Juli, weil in seinem Bundesamt für Verfassungsschutz Akten geschreddert wurden ohne dass er etwas davon wusste. Hintergangen von seinen eigenen Leuten habe er sich gefühlt, sagt er. Ein paar Tage später entzog das Thüringer Parlament Thomas Sippel das Vertrauen, der die Landesbehörde bis dato geleitet hatte. Und nun folgt Reinhard Boos, der auf eigenen Wunsch zum 1. August versetzt wird. Auch er muss sich hintergangen fühlen.

Hintergrund seines Rücktritts sind Protokolle einer Abhöraktion aus dem Jahr 1998 des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die erst jetzt im Landesamt wieder aufgetaucht sind. Boos stand seit 2007 an der Spitze des Landesamtes für Verfassungsschutz und war zuvor bereits von 1999 bis 2002 Präsident der Behörde.

Das Nazi-Trio der NSU in Bildern:

Das Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des sächsischen Landtages ist für die Kontrolle des Verfassungsschutzes zuständig. Die PKK wusste auch von der Abhöraktion – nicht aber von den Protokollen. Jetzt wird sich das Gremium noch in dieser Woche in einer Sondersitzung mit den Dokumenten befassen. Ihren Abschlussbericht zur Verbrechensserie der NSU hatte das Kontrollgremium bereits vorgelegt.

„Boos ist eine Prinzipienmensch, der zu seinem Wort steht. Er hat der PKK seinen NSU-Bericht vorgelegt und sein Wort gegeben, dass dies alles sei. Er hat nicht gewusst, dass es noch weitere Akten gibt. Denn diese hätten mit vorgelegt werden müssen“, erklärt ein Sprecher von Innenminister Markus Ulbig (CDU) den Rücktritt von Boos. Die Protokolle dokumentieren laut dem Sprecher Gespräche, die im Umfeld des NSU-Trios um Uwe Bönhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe mitgehört wurden. Es habe sich also nicht um die drei selbst gehandelt. Es sei damals darum gegangen, das kurz zuvor untergetauchte Trio ausfindig zu machen. „Das ist aber nicht gelungen.“ Gefunden wurden die Akten nun laut sächsischem Innenministerium bei Aufräumarbeiten. Zehn Morde werden der NSU zur Last gelegt.

Die Opfer der Mörderbande:

Nicht nur der sächsische Landtag hat nun ein Interesse an den aufgetauchten Akten, sondern auch der NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestags. „Ich gehe davon aus, dass wir die Protokolle aus Sachsen im Untersuchungsausschuss jetzt auch bekommen, da es sich ja auch um eine Aktion des Bundesamtes für Verfassungsschutz gehandelt hat“, sagte FDP-Obmann Hartfrid Wolff. Interessant am Rücktritt von Boos sei vor allem, dass „wieder einmal Akten auftauchen, von denen wir vorher nichts wussten. Das zeigt, dass die Ermittlungen erfolgreich sind und das auch durch die Arbeit der Untersuchungsausschüsse die Sensibilität für das Thema steigt“.

Sachsens Innenminister Ulbig sprach im Landtag von einem „eklatanten Fehlverhalten“ einzelner Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz. Es seien unverzüglich disziplinarische Schritte eingeleitet worden. Boos bedauere den Vorfall und sei „tief enttäuscht“, sagte der Minister. Unter diesen Umständen könne er das Amt nicht mehr mit dem gebotenen Vertrauen weiter führen. Erst vor wenigen Tagen hatte Ulbig Boos den Rücken gestärkt und die Verantwortung für die Ermittlungspannen vor allem dem Thüringer Verfassungsschutz zugeschrieben. Nun steht auch Ulbig in der Kritik. SPD-Innenexpertin Sabine Friedel hat Zweifel an Ulbigs Urteilsfähigkeit. Die Ermittlungen der Landesregierung zum NSU zeichneten sich vor allem durchs Nichtstun aus. Sie rechne mit weiteren bösen Überraschungen, sagte Friedel.

Und auch der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, dürfte sich bestätigt sehen. „Die türkischstämmige Bevölkerung hat überhaupt kein Vertrauen mehr in die Sicherheitsorgane“, sagte er der „Mitteldeutschen Zeitung“. Es gebe „einen institutionellen Rassismus in den Behörden“. Kolat sagte, schon kurz nach dem Auffliegen der NSU seien zwei Drittel der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland der Meinung gewesen, „dass hinter den Morden die staatlichen Stellen stecken“.

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