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Am Mittwoch unterzeichnete Giorgio Napolitano seinen Rücktritt – im Alter von fast 90 Jahren und nach 62 Jahren in der Politik.

© Massimo Percossi/dpa

Rücktritt von Italiens Staatspräsident Giorgio Napolitano: Das schwere Erbe von „Sir George“

Der Rücktritt von Staatschef Napolitano hinterlässt im krisengeschüttelten Italien eine große Lücke Ein ebenbürtiger Nachfolger ist weit und breit nicht in Sicht.

Das Zeremoniell aufs absolute Mindestmaß zurückgefahren, selbst die Nationalhymne nur in Kurzform gespielt, Umarmungen und Küsschen und manche verdrückte Träne vonseiten der Mitarbeiter. Nach sieben Minuten sitzt Giorgio Napolitano mit seiner Frau Clio schon im Auto: Heim fährt er, heim will er nach neun Jahren Staatspräsidentschaft in Italien.

Giorgio Napolitano galt national wie international als Gentleman

Reden gibt’s an diesem Mittwochmittag keine mehr. Wenn der knapp 90-Jährige, den man seit Jahrzehnten in als Gesprächs- und Denk-Partner in den USA und Westeuropa schätzte und wegen seiner distinguierten Eleganz eines britischen Gentlemans in Italien "Sir George" nannte, ein Vermächtnis hinterlässt, dann hat er es schon getan: im Vorbild seiner persönlichen Integrität sowie in seinen immer und immer wieder erneuerten Aufrufen an Politiker und Parteien zu Anstand, Uneigennützigkeit, Einheit und Zusammenarbeit im Interesse eines dauerkriselnden Landes. Dauerhafte Wirkung hat Napolitano damit nicht erzielt – da brauchte es dann auch keine letzte Rede mehr in letzter Minute.

Napolitano hatte gerade noch das Ende der italienischen EU-Ratspräsidentschaft abgewartet. Jetzt ist er altershalber zurückgetreten – und in der Debatte über seinen Nachfolger zeigt sich vor allem eines: dass die einzelnen Parteien doch wieder nur ihr ganz eigenes Interesse in den Vordergrund stellen.

Premier Matteo Renzi hofft, seinen Kandidaten durchbringen zu können

Binnen zwei Wochen muss nun also die italienische "Bundesversammlung" zur Wahl eines Staatsoberhaupts zusammentreten. Weil keiner davon ausgeht, dass in den ersten drei Abstimmungen ein Kandidat die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht, werden den gut tausend Wahlfrauen und -männern also zunächst nur Pappkameraden präsentiert. Im vierten Wahlgang dann reicht die absolute Mehrheit, und gleich in jener Runde, so verspricht Regierungschef Matteo Renzi, werde "sein" Kandidat breite Unterstützung finden. Wer immer das sein wird.

Die Mehrheitsverhältnisse im Parlament sind wackelig

Gut möglich, dass Renzi sich da täuscht. Die Mehrheitsverhältnisse im Parlament sind wackelig, und gerade Wahlen zum Staatspräsidenten – so geheim, wie sie abzulaufen haben – dienten in Italien immer schon zur Generalabrechnung mit den jeweils Mächtigen. 2013, beim letzten Versuch, brachten gar 101 "franchi tiratori", Heckenschützen aus der eigenen Partei, den linken Kandidaten Romani Prodi zu Fall.

Und er mischt auch wieder mit: Silvio Berlusconi

Wäre wenigstens diesmal auf die Sozialdemokraten Verlass, dann könnte sich Renzi mit der Mehrheit seiner Koalition durchsetzen. So aber bekommt er die absolute Mehrheit nur im Bündnis mit anderen Parteien zusammen. Mit allen will er reden, verspricht er, aber alle halten sich bedeckt. Da die "Fünf-Sterne-Bewegung" von Beppe Grillo schon bisher keinen Anlass zur Zusammenarbeit gesehen hat, bleibt nach mathematischer Lage der Dinge einmal mehr nur der Pakt mit Silvio Berlusconi. Diesem allerdings widersetzt sich der linke Flügel bei Renzis Sozialdemokraten, andersherum will Berlusconi auf keinen Fall einen Linken unterstützen. Schon das limitiert die Zahl der Kompromisskandidaten.

„Kungeleien gibt’s nicht“, sagt der Premier

Ferner sucht Renzi einen Staatspräsidenten, der nur so stark ist, wie er selber es zulassen will – nicht wieder so eine durchaus sperrige Figur wie Napolitano. Der letztinstanzlich verurteilte Steuerbetrüger Berlusconi wiederum verlangt in erster Linie nach einem, der ihn endlich begnadigt und ihm damit – die rechtliche Frist von sechs Jahren streichend – den politischen Wiederaufstieg ermöglicht. „Kungeleien gibt’s nicht“, sagt Renzi. Aber seit er ins Haushaltsgesetz eine Teilamnestie für große Steuerhinterzieher aufgenommen hat, hat sich Renzi verdächtig gemacht. Sollte das ein Deal mit Berlusconi sein, nach dem Motto: Du wählst meinen Kandidaten, dafür kriegst du deine Strafe gestrichen?

Andererseits ist auf die Rechten auch kein Verlass: Es gibt heute viele in diesem zerfallenen Lager, die gerade Berlusconi keinen Gefallen mehr tun wollen. Auch Berlusconi hat also, wenn er mit Renzi einen Kandidaten aushandelt, seine Bataillone nicht unbedingt hinter sich.

Es kursieren Namen, aber man geht davon aus, dass sie nur genannt worden sind, um sie durch frühe Veröffentlichung zu "verbrennen".

Wieder im Gespräch ist Romano Prodi

Zwei der aussichtsreichsten Kandidaten wollen oder können nicht: Der Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, sagte, er wolle kein Politiker werden, seine Arbeit in Frankfurt mache ihm Spaß, das Mandat reiche bis 2019. Emma Bonino (66), früher Außenministerin mit Kenntnis und Nähe zum arabisch-islamischen Kulturkreis, hat unter Tränen bekannt gegeben, sie leide an Lungenkrebs.

Wieder im Gespräch ist Romano Prodi. Ob er will oder nicht, dazu hat er sich nur nebulös geäußert. Renzis Linke würden ihn wählen – Berlusconi betrachtet ihn als persönlichen Erbfeind. Es verbleibt der stille, brave, angesehene Giuliano Amato, 76, früher zweimal Ministerpräsident, Mitarbeiter an der (gescheiterten) Europäischen Verfassung, einst auch Kandidat für den Vorsitz des Internationalen Währungsfonds. Amato fände eine breite überparteiliche Mehrheit im politischen Zentrum. Renzi hat sich noch nicht zu ihm geäußert – weil er ihn schützen will oder weil er Amato für ein Mitglied der "zu verschrottenden" alten Garde hält?

Wer neues Staatsoberhaupt wird, ist noch völlig unklar

Aus der Mitte-rechts-Hälfte des politischen Spektrums wird als weiterer Kandidat nur noch Verfassungsrichter Sergio Mattarella (73) genannt. Außenminister Paolo Gentiloni (60) wäre hinreichend zentristisch, um auch Berlusconis Leute anzulocken. Auf den Zetteln der Journalisten stehen ferner Finanzminister Pier Carlo Padoan (65), sowie der ehemalige Bürgermeister von Rom und Spitzenkandidat bei den Parlamentswahlen 2008, Walter Veltroni (59). Aber wen die Mächtigen wirklich wollen, das weiß noch keiner. Wenn sie es denn selber schon wissen. Und wen die Wahlversammlung will, das wird sich wohl erst in einer kurzfristigen, wohl wechselhaften Gruppendynamik herausstellen.

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