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Rückwärtsgang: Linkspartei entledigt sich ihrer Europapolitiker

Im Namen des Regional-, Flügel- und Geschlechterproporzes entledigt sich die Linkspartei ihrer erfahrensten Europapolitiker.

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Gregor Gysi tat nichts mehr für seinen alten Parteifreund. Als der langjährige PDS-Vordenker André Brie in einer demütigenden Prozedur um den womöglich gerade noch chancenreichen Listenplatz zwölf für die Europawahl kämpfte, war der Fraktionschef der Linken in einem Hinterzimmer der Essener Gruga-Halle vertieft ins Gespräch mit dem ecuadorianischen Botschafter. Brie, seit 1999 Mitglied des Europaparlaments, ist am Wochenende durchgefallen. Er teilt dieses Schicksal mit der PDS-Mitbegründerin Sylvia-Yvonne Kaufmann. Sie hatte in den vergangenen zehn Jahren zusammen mit Brie Politik in Straßburg und Brüssel gemacht.

Die beiden Politiker hatten mit einer klaren pro-europäischen Position für sich geworben. Sie scheiterten am komplizierten Proporz zwischen Ost und West, Frauen und Männern, ehemaliger WASG und PDS. Zum Schluss war selbst von den ostdeutschen Delegierten nur noch ein Teil auf ihrer Seite. Vorgezogen wurden eher unbekannte Genossen. Parteichef Oskar Lafontaine hatte die ostdeutschen Kandidaten am Vorabend ausdrücklich davor gewarnt, die vornominierten West-Bewerber "von der Liste zu fegen".

Die innerparteiliche Konkurrenz war erheblich. Die Partei will ihr Ergebnis von 2004 mit 6,1 Prozent - damals kamen sieben Abgeordnete ins Parlament - nach Möglichkeit verdoppeln. Als Spitzenkandidat war bereits am Samstag Lothar Bisky bestimmt worden, langjähriger PDS-Vorsitzender und noch bis 2010 Lafontaines Ko-Chef. Er betonte nach dem Scheitern von Kaufmann und Brie: "Meine Wertschätzung bleibt. Ich wäre froh, wenn wir weiter gut zusammenarbeiten können."

"Wie auf einer schlechten SED-Parteiversammlung"

Die Liste solle die Partei zusammenführen und zusammenhalten, hatte Ulrich Maurer, Beauftragter der Partei für den Westaufbau, vor der Stimmabgabe für Kaufmann gewarnt - die Berlinerin hatte versucht, sich gegen eine West-Kandidatin in Stellung zu bringen. "Wir sollen uns nicht ständig Ossi gegen Wessi um die Ohren hauen", erwiderte Kaufmann. Sie hatte am Lissaboner EU-Reformvertrag mitgearbeitet, gegen den Lafontaine und Gysi gerade vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe klagen. Zwei weitere Male versuchte es Kaufmann mit einer Gegenkandidatur, zuletzt scheiterte sie mit ihrer Bewerbung auf Platz 13 gegen eine Mitarbeiterin von Sahra Wagenknecht, der Wortführerin der Kommunistischen Plattform. Verbittert hob Kaufmann anschließend eine Papiertüte mit der Aufschrift "Für Europa am Ball" in die Kameras. Sie sagte: "Ich kam mir in Essen vor wie auf einer schlechten SED-Parteiversammlung." Den Bundestagsabgeordneten Diether Dehm und Wolfgang Gehrcke vom linken Flügel warf sie vor, sie würden die Partei zerstören.

Brie, der vor zwei Jahren noch zur innerparteilichen Opposition gegen Lafontaine aufgefordert hatte, ging es im Ringen um die aussichtsreichen Plätze nicht besser: Für ihn sprach sich in der Debatte nur der Vorsitzende seines Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern, Peter Ritter, aus. Andere Parteiprominenz fiel Brie in den Rücken - Vize-Bundeschefin Katja Kipping aus Sachsen empfahl sogar, den Baden-Württemberger Wilfried Telkämper, einen ehemaligen Grünen-Politiker, anstelle von Brie zu wählen.

Brie hatte mit dem Scheitern gerechnet

Der einzige bisherige Europaabgeordnete, der den austarierten Vorschlag durcheinanderbrachte, war Tobias Pflüger, Aktivist der Friedensbewegung und linker Flügelmann. Er vertrete einen "elementaren Teil unseres Profils", warb die Kommunistin Wagenknecht - und half ihm so auf Platz zehn.

Brie gestand, er sei zuweilen etwas wehleidig, habe aber mit seinem Scheitern gerechnet. Viele in der Partei störten sich halt an seinem "kritischen nörglerischen Geist", sagte er. Und fügte hinzu, dass seine Partei sich oft "mit Versatzstücken" und "linker Rhetorik" begnüge: "Das interessiert die Menschen nicht." Angebote zum Wechsel in die SPD hat Brie übrigens nach eigenen Worten "immer gehabt". Noch will er sie nicht annehmen.

Kommentar: Die Linke und Europa

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