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Politik: Rückzug in die heilige Nische: Deutschlands Katholiken vor der folgenschwersten Zäsur der Nachkriegsgeschichte (Analyse)

Eine jahrhundertealte Institution neigt bei der Beschreibung ihres Innenlebens nicht zu kurzatmigen Übertreibungen. Historische Brüche sind selten, viele Aufgeregtheiten verwischen sich wieder in den Zeitläuften.

Eine jahrhundertealte Institution neigt bei der Beschreibung ihres Innenlebens nicht zu kurzatmigen Übertreibungen. Historische Brüche sind selten, viele Aufgeregtheiten verwischen sich wieder in den Zeitläuften. Zu welcher Kategorie die kommenden zwei Wochen für den deutschen Katholizismus zählen werden, lässt sich noch nicht sicher sagen. Vieles aber spricht dafür, dass der erbitterte Streit, ob die Kirche im staatlichen Beratungssystem für Schwangere verbleiben soll, zur folgenschwersten Zäsur in ihrer deutschen Nachkriegsgeschichte führen wird. Denn Rom lässt nicht locker. Dadurch ermutigt hat jetzt nach dem Fuldaer Erzbischof Dyba der Kölner Kardinal Meisner als zweiter deutscher Oberhirte einen Austritt aus dem staatlichen System ins Auge gefasst.

Beharrt Meisner auf seinem Konfrontationskurs, dürfte auch Chefbischof und Meisterdiplomat Karl Lehmann mit seinem Latein am Ende sein. Zwar ist er - begleitet von höhnischen Worten aus Fulda - mit den drei deutschen Kardinälen noch einmal zum Papst geeilt. Aber die Würfel scheinen gefallen zu sein. Lehmanns Kurs der Moderation und gesellschaftlichen Präsenz der Kirche steht vor dem Kollaps. Damit steht seine erneute Kandidatur für den Vorsitz der Bischofskonferenz in Frage. Stattdessen versucht nun eine kleine Minderheit mit kompromissloser römischer Schützenhilfe, den Rückzug in die heilige Nische zu erzwingen. Was dies für die Zukunft des deutschen Katholizismus bedeutet, lässt sich am Schicksal praktisch aller Nachbarkirchen ablesen: Massenauszug der Laien, unheilbar zerrüttete Bischofskonferenzen, innerkirchliche Sprachlosigkeit. Zustände chronischer Unruhe wechseln mit Phasen der Grabesstille.

In diesem innerkirchlichen Machtstreit gänzlich unter die Räder gekommen ist das eigentliche Anliegen der Kirche: in der Gesellschaft glaubwürdig für den Schutz des ungeborenen Lebens einzutreten. Von verbindlichen Hilfsangeboten bei Wohnungsbeschaffung, Kindergartenplatz, Schwierigkeiten mit Behörden und der Vermittlung finanzieller Unterstützung für werdende Mütter ist keine Rede mehr. Stattdessen ergeht man sich in feingewirkter Exegese vatikanischer Briefwechsel. Dabei gäbe es mehr als genug zu tun. Schließlich entscheidet nicht die abstrakte Gesetzeslage über die Zahl der Abtreibungen in einem Land, sondern - wie das Max-Planck-Institut für Internationales Strafrecht herausgearbeitet hat - das Gesamtbild der Familienpolitik. Niemand behauptet zwar, dass höheres Kindergeld oder höhere Kinderfreibeträge, Kinderkrippen und das Recht auf einen Kindergartenplatz einen unmittelbaren Einfluss auf Abtreibungszahlen haben. Aber Angebot und Qualität solcher Einrichtungen belegen, was Kinder, Mütter und Familien der Gesellschaft wert sind. Sie prägen das familienpolitische Gesamtklima.

Wie ist es darum bestellt? Das Karlsruher Familienurteil vom Frühjahr empfiehlt sich als Lektüre. Konfliktberatung für Schwangere mit der Zusage eines konkreten Hilfeplans ist nicht nur ein Dienst für Frauen in schwierigen Lebenssituationen. Sie ist auch ein Dienst an der Gesellschaft, weil sie den Zweifel wachhält, ob genug geschieht zum Schutz des ungeborenen Lebens. Dieses Anliegen ist im innerkatholischen Schlachtenlärm längst untergegangen. Übrig bleibt das Bild eines hässlichen innerkirchlichen Machtkampfes.

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