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Politik: Rückzug vor dem Mob

Nach den Krawallen im Kosovo wendet sich die Wut gegen Kfor-Soldaten und UN. Die Bevölkerung wirft ihnen Versagen vor

Noch am Montag hängt der Rauchgeruch in den engen Gassen der Altstadt von Prizren. An die Fassade der in sich zusammengesackten orthodoxen Kirche haben Randalierer „Tod den Serben“ und „Nieder mit Unmik“ geschrieben. Eine Säule im Innenraum der auch als Bischofssitz genutzten Kirche ist mit einem Hakenkreuz beschmiert. Mehr als zwei Dutzend Häuser von serbischen Bewohnern sowie weitere orthodoxe Kirchen im Zentrum der im Süden des Kosovo gelegenen Stadt gingen Mitte vergangener Woche in Flammen auf, nachdem sich ein Demonstrationszug von rund 500 Kosovo-Albanern aufgelöst hatte und die Teilnehmer ins serbische Viertel der Stadt geströmt waren.

Vor allem ältere Bewohner der wegen ihrer multinationalen Tradition bekannten Stadt reagierten entsetzt auf die Zerstörung der mehr als 500 Jahre alten religiösen Gebäude. Vor dem zerstörten Wachposten der Nato-geführten Kosovo-Schutztruppe sagt der 76-jährige Kurtaj Faik: „Das ist unsere Stadt.“ Den Kfor-Einheiten wirft er Versagen vor. „Während frustrierte Jugendliche randaliert haben, lagen die Soldaten in ihren Betten.“ Statt Verstärkung anzufordern hatten sich die eigentlich zum Schutz der Anlage abgestellten Bundeswehrsoldaten vor den mit Steinen und Molotow-Cocktails bewaffneten, größtenteils jugendlichen Angreifern zurückgezogen. Ein deutscher Oberleutnant, der die Stätte der Zerstörungen vier Tage nach den Ausschreitungen zum ersten Mal besichtigte, verteidigte das Vorgehen seiner Leute: „Die Entscheidung des zuständigen Befehlshabers, keine Menschenleben zum Schutz eines unbewohnten Objekts aufs Spiel zu setzen, war richtig“, sagte er dem Tagesspiegel. Zwar wurden 36 serbische Bewohner von der Kfor evakuiert. Doch weil die Rettungsaktion erst Stunden nach Ausbruch der pogromartigen Krawalle begann, verbrannten zwei Menschen. Insgesamt sollen sich zurzeit 1100 Serben in Kfor-Kasernen aufhalten, 3600 Serben flohen nach Angaben der UN-Verwaltung (Unmik) nach Serbien oder Montenegro. Das Kosovo steht seit 1999 unter UN-Verwaltung.

In Pristina besichtigten Unmik-Chef Harri Holkeri und Premierminister Bajram Rexhepi am Montag ein mehrstöckiges Wohnhaus von Kosovo-Serben, denen es am Mittwoch in letzter Sekunde gelungen war, sich vor dem kosovo-albanischen Mob in Sicherheit zu bringen. Ein Angehöriger der Unmik-Polizei, der seinen Namen nicht nennen wollte, gab zu, dass die UN in einigen Städten des Protektorats nicht mehr in der Lage gewesen seien, ihre Aufgaben zu erfüllen.

Bereits kurz nach dem Einmarsch der Nato-Truppen im Juni 1999 hatten Angehörige der Kosovo-Befreiungsarmee UCK das nach dem Abzug der jugoslawischen Einheiten entstandene Machtvakuum genutzt, um Serben oder andere Minderheiten zur Flucht aus der Provinz zu zwingen. Schätzungen von Hilfsorganisationen zufolge besteht die Mehrheit der Bevölkerung inzwischen aus Kosovo-Albanern. Lediglich noch knapp 100 000 Menschen gehören anderen Volksgruppen an: Sie sind Roma, Ägypter, Gorani, Bosnier, Türken oder Serben.

Markus Bickel[Pristina]

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