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Politik: Rüttgers sucht Bundesgenossen

Der Ministerpräsident umwirbt die Sozialdemokraten – und die mokieren sich

Inzwischen hat Peer Steinbrück auch das Original des Papiers gelesen. Als am Wochenende erste Hinweise über die Wortmeldung seines CDU-Nachfolgers in Düsseldorf über die Ticker liefen, war er eher sprachlos. „Ich kenne das nicht und finde es befremdlich, dass so etwas in der Öffentlichkeit ist, bevor es die Adressaten bekommen“, hatte der Sozialdemokrat leicht angesäuert zu Protokoll gegeben. Jürgen Rüttgers hatte auf elf Seiten niedergeschrieben, welche Punkte ihm in den Berliner Koalitionsverhandlungen besonders wichtig erscheinen, und dies mit der herzlichen Bitte um Unterstützung in Berlin auch den Sozialdemokraten aus dem größten Bundesland zugeschickt. Weil seine Staatskanzlei das Papier allerdings nicht rechtzeitig auf den Weg gebracht hat, erreichte es Steinbrück erst am Montagmorgen. Die Kommentare wurden auch nach Lektüre nicht viel freundlicher.

Während sich die Düsseldorfer Staatskanzlei bemühte, dem Eindruck zu widersprechen, Rüttgers habe in den eigenen Reihen nur begrenzten Einfluss, freuen sich die Sozialdemokraten. SPD-Fraktionschefin Hannelore Kraft meinte „politische Schwäche und Hilflosigkeit“ bei Rüttgers zu entdecken, der üblicherweise zurückhaltende Landesvorsitzende Jochen Dieckmann wertete den Vorgang als „Zeichen der Ohnmacht“. Damit war Rüttgers passiert, was er eigentlich vermeiden wollte: Es wurde mehr über die Form als den Inhalt diskutiert. Er hatte das Papier schreiben lassen, um das Bild zu korrigieren, das sich in der vergangenen Woche festgesetzt hatte. „Rüttgers hat keinen Einfluss bei den eigenen Leuten“, höhnten die Genossen an Rhein und Ruhr, die Kraft aus dem Umstand zu ziehen versuchen, dass es keinen Christdemokraten aus NRW im künftigen Kabinett Merkel gibt, während die im Lande angewählten Sozialdemokraten gleich mit drei Vertretern in die große Koalition einziehen werden.

Bevor die eigenen Leute kritische Fragen nach seinem Verhandlungsgeschick stellen konnten, hatte sich Rüttgers zu einer Art Vorwärtsverteidigung entschieden. Er kritisierte die Personalauswahl der „Frau Vorsitzenden“ und fügte dann handfeste Drohungen hinzu. „Das gibt uns die Freiheit, uns an den Interessen Nordrhein-Westfalens zu orientieren“, gab er in der Fraktion zu Protokoll und schob seine eigene Wahlanalyse nach. „Wir haben im Mai 45 Prozent bekommen, weil wir so aufgetreten sind, wie wir aufgetreten sind“, sagte er und kritisierte anschließend die Unausgewogenheit des Wahlkampfes der „Frau Vorsitzenden“. Während die NRW-CDU darauf geachtet habe, dass die sozialen und die wirtschaftlichen Themen eng beieinander blieben, sei das auf Bundesebene unterblieben. Karl Josef Laumann, sein Sozialminister, brachte es in seinem Auftrag deutlicher auf den Punkt. „Es gibt Kräfte in der CDU, die wollen das Christlich-Soziale ausradieren“, sagte er. „Dagegen müssen wir uns energisch wehren.“ Der Beifall muss bis nach Berlin zu hören gewesen sein.

In dem Elf-Seiten- Papier hat Rüttgers denn auch seine bekannten Positionen zu Hartz IV noch einmal niedergeschrieben. „Das Vertrauen in eine verlässliche und gerechte Sozialpolitik muss zurückgewonnen werden“, heißt es da, anschließend verlangt der CDU-Chef des größten Landesverbandes mehr Geld für ältere Arbeitslose und höhere Freibeträge bei der Altersvorsorge sowie eine Kommunalisierung der Arbeitsverwaltung. Er möchte mehr Mittel für Kinder und will gleichzeitig die Forschungsausgaben erhöhen. „Die NRW-CDU muss das soziale Gewissen der Partei bleiben“, heißt es in der Staatskanzlei – ein Satz, der schon unter SPD-Regenten geprägt wurde. Dass sich ausgerechnet Rüttgers dieses Etikett jetzt mit Hilfe der SPD-Minister in Berlin sichern möchte, sehen sie eher amüsiert. Die entsprechenden Ressorts haben sie sich gesichert.

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