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Politik: Rumpelstilzchen lässt grüßen

Kehrtwende des bayerischen Ministerpräsidenten bei Gesundheitsreform bringt Regierung in Nöte

Von Robert Birnbaum

Thomas Steg hat die Kunst der dezenten Kommentierung politischer Großwetterlagen in langen Regierungssprecherjahren weitgehend perfektioniert. Aber an diesem Montag muss Angela Merkels Vizesprecher erkennbar an sich halten. Mit dem Seufzer „Rumpelstilzchen!“ haben manche in der Bundesregierung den denkwürdigen Auftritt belegt, mit dem der Dr. Edmund Stoiber am Freitag im Bundesrat sein Veto gegen die Gesundheitsreform androhte. Das kann Steg aber natürlich nicht sagen. Also die dezente Variante: Die Erklärung der Frau Bundeskanzlerin, sie werde „besonnen“ und „zielgerichtet“ alle eventuellen Probleme behandeln, könne man durchaus als Appell an alle Beteiligten verstehen.

Der Appell scheint zu leise gewesen zu sein, um bis nach München durchzudringen. Als der CSU-Chef zu einer Sitzung des CSU-Vorstands erscheint, rumpelt es jedenfalls weiter. Der Gesetzentwurf der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt werde Bayern 1,7 Milliarden Euro kosten und Privatversicherte bis zu 30 Prozent mehr. „Das entspricht nicht dem, was vereinbart wurde in der Koalition“, schimpft Stoiber. „Ich bin skeptisch, ob Frau Schmidt wirklich eine seriöse Sachwalterin gemeinsamer Interessen ist.“ Finanzfragen, Privatkassen, die Insolvenzregel für Krankenkassen „nicht durchdacht“ – nein, die CSU stelle die Reform nicht „in toto“ infrage. Aber: „Ich erwarte, dass wir über den einen oder anderen Eckpunkt noch mal diskutieren müssen.“

Das klang nach weiterer Auf- statt vorweihnachtlicher Abrüstung; ein Umstand, der das heimliche Seufzen in Berlin weiter verstärkt. Dass es nicht lauter wird, hat einen relativ simplen Grund. Merkel und der CDU-Teil der Koalition sind sich nur allzu sehr darüber im Klaren, dass „Gesundheit“ spätestens seit diesem Sommer kein Gewinnerthema für sie ist und dass jeder weitere Streit am Ende zu ihren Lasten geht, egal wer in der Sache recht hat. Entsprechend unkriegerisch ist der Ton: „Nicht so recht verständlich und in der Sache auch nicht so ganz nachvollziehbar“ nennt Steg die „neuerlichen Aufgeregtheiten“ bloß und versichert ansonsten, man werde sich schon einig und der Zeitplan sei nicht gefährdet – was man so sagt, wenn man wenig sagen will. Selbst Schmidts Sprecher Klaus Vater, sonst gern mal gut für derbe Worte, spricht zwar von „Ungereimtheiten“ in der „Ausarbeitung“ eines Kieler Ökonomen, die den neuen Streit um Länder-Mehrbelastungen ausgelöst haben. Aber genau und sorgsam prüfen lassen werde das Ministerium das Zahlenwerk gewiss. Er bitte nur, sagt Vater, um ein, zwei Tage Geduld.

In der Zeit könnten die Experten beider Seiten sich ja noch einmal das Protokoll jener Anhörung im Gesundheitsausschuss durchlesen, die das jetzt so prominent gewordene Gutachten als Beleg für seine Theorie zitiert, die als „Bayern-Rabatt“ bekannt gewordene 100-Millionen- Euro-Obergrenze für Umverteilungen zu Lasten der Länder werde nicht funktioniere und also nicht kommen.

Tatsächlich ist die Expertendebatte nämlich ein wenig anders verlaufen. Sowohl die Vertreter des zuständigen Bundesversicherungsamts als auch Fachleute der Krankenkassen befanden zwar, dass die geplante Regelung „nicht zielführend“ und „nicht umsetzbar“ sei und „ins Leere laufen“ werde. Allerdings aus anderen Gründen, als die Polit-Debatte suggeriert. Erstens, so die einhellige Einschätzung, werde die je Land unterschiedliche Belastung wohl unter der 100-Millionen- Schwelle bleiben, die Regelung also wegen Überflüssigkeit „ins Leere laufen“. Zweitens sei ein Regionalausgleich verfassungsrechtlich unzulässig. Vor allem aber laufe die ganze Berechnung angeblicher neuer regionaler Umverteilungen auf den Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen hinaus. Und „so etwas“, befand Kassen-Experte Werner Schneider, „ist handwerklich schlicht Murks“.

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