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Die Parlamentarische Versammlung des Europarats in Straßburg.

© Patrick Seeger/dpa

Sanktion nach Krim-Annexion aufgehoben: Europarat ändert für Russland seine Regeln

Russland erhält sein Stimmrecht im Europarat zurück. Erstmals seit der Krim-Annexion nimmt damit eine internationale Organisation Sanktionen wieder zurück.

Das Gebäude des Europarates ist normalerweise kein Ort, an dem nächtliche politische Debatten geführt werden. Vier Mal im Jahr kommen Abgeordnete aus den Mitgliedsstaaten für eine Woche zur Parlamentarischen Versammlung nach Straßburg. Doch am Montag debattierten die Abgeordneten bis tief in die Nacht und zum Teil ungewohnt leidenschaftlich. Denn die Frage, um die es ging, berührte das Selbstverständnis des Europarats, der über die Einhaltung der Menschenrechte in seinen 47 Mitgliedsstaaten wachen soll.

Am Ende entschieden die Abgeordneten, den Weg für eine Rückkehr der russischen Delegation in die Parlamentarische Versammlung frei zu machen. 118 Abgeordnete stimmten dafür, 62 votierten dagegen. Die russischen Abgeordneten erhalten nun wieder Stimmrecht in Straßburg.

Damit nahm zum ersten Mal eine internationale Organisation Sanktionen zurück, die nach 2014 wegen der Annexion der Krim durch Russland und der russischen Intervention in der Ostukraine verhängt worden waren. Die Parlamentarische Versammlung hatte den russischen Abgeordneten damals das Stimmrecht entzogen, die Delegation aber nicht ausgeschlossen. Russland holte daraufhin seine Parlamentarier aus Straßburg zurück.

Stimmrecht soll künftig nicht mehr entzogen werden können

Die Versammlung entschied in der Nacht zu Dienstag zugleich, ihre eigenen Regeln so zu ändern, dass künftig grundsätzlich das Stimmrecht und das Rederecht nicht mehr entzogen werden können.

Für eine Rückkehr der russischen Delegation hatte Moskau zuvor Bedingungen formuliert: Die Abgeordneten sollten nur dann wieder nach Straßburg kommen, wenn die Versammlung ihre Regeln so ändern würde, dass künftig ein Entzug des Stimmrechts nicht mehr möglich wäre. Im Jahr 2017 stellte Russland, einer der fünf größten Beitragszahler des Europarats, seine Zahlungen an die Organisation ein, was zu erheblichen finanziellen Schwierigkeiten führte.

Damit hätte das Ministerkomitee, in dem die Regierungen der Mitgliedsstaaten vertreten sind (und in dem Russland unverändert mitarbeitet), eigentlich nach zwei Jahren, also in diesem Sommer, über eine Suspendierung oder gar einen Ausschluss Russlands entscheiden müssen. Doch im Mai sprachen sich die Außenminister der Europarat-Staaten in Helsinki mit großer Mehrheit für einen Verbleib Russlands in der Organisation und die Rückgabe des Stimmrechts an die russischen Abgeordneten in der Parlamentarischen Versammlung aus.

„Mit Blick auf die Bedeutung der Wahl des Generalsekretärs und der Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sollten Delegationen aller Mitgliedstaaten an der Juni-Sitzung der Parlamentarischen Versammlung teilnehmen“, heißt es in der Erklärung. Die Initiative, Russland in die Versammlung zurückzuholen, ging maßgeblich von Deutschland und Frankreich aus. Auch der scheidende Generalsekretär des Europarats, der Norweger Thorbjörn Jagland, warb in den europäischen Hauptstädten für einen Kompromiss mit Moskau.

Rückkehr der Russen noch diese Woche geplant

Russland soll sogar noch in dieser Woche seine Parlamentarier in Straßburg akkreditieren können. Um das zu erreichen, machte die Versammlung eigens eine Ausnahme von ihren Regeln.

Befürworter der Entscheidung betonten in der fast neunstündigen Debatte, dass ein Ausscheiden Russlands aus dem Europarat unbedingt verhindern werden solle. Es müsse sichergestellt sein, dass die russischen Bürger weiterhin Zugang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hätten, sagte der Leiter der deutschen Delegation, Andreas Nick (CDU). Der SPD-Abgeordnete Frank Schwabe, Vorsitzender der sozialistischen Fraktion, kritisierte in der Debatte die Menschenrechtssituation ins Russland und betonte, dass der Europarat sich damit befassen müsse.

Dagegen sprach der Brite Roger Gale, Vorsitzender der Konservativen, von einem „Akt des Appeasement“. Zwar sei es wünschenswert, dass die Russen wieder ihre Plätze in der Versammlung einnähmen, aber „nicht um jeden Preis“. Die Gegner erinnerten auch daran, dass Moskau keine der an Russland gerichteten sieben Resolutionen umgesetzt habe, die der Europarat seit 2014 beschlossen hatte. Massive Kritik kam vor allem von ukrainischen Abgeordneten, die an die Annexion der Krim erinnerten, an die mehr als 13.000 Toten im Krieg in der Ostukraine und den Abschuss des Passagierflugzeugs MH17. Sie warnten eindringlich davor, Russlands Forderungen ohne Gegenleistung nachzugeben.

Gegner der Änderung spielten auf Zeit

Mit mehr als 200 überwiegend sehr kleinteiligen Änderungsanträgen versuchten die Gegner am Ende den Beschluss noch hinauszuzögern und damit den Zeitplan für die Rückkehr der Russen durcheinanderzubringen. Die Versammlung hatte nämlich bereits vorab für den Dienstagmorgen die Bestätigung der russischen Delegation eingeplant, um am Mittwoch dann gemeinsam den neuen Generalsekretär zu wählen.

Doch die Verzögerungstaktik ging ins Leere, kurz vor ein Uhr nachts wurde die Resolution doch noch beschlossen.

Allerdings musste am Montag ein Tagesordnungspunkt aus Zeitgründen verschoben werden: ein Festakt zum 70. Jahrestag des Europarates. Er soll nun im Herbst nachgeholt werden – wenn den Abgeordneten vielleicht mehr zum Feiern zumute ist.

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