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In einer TV-Ansprache verkündete Putin seine Korrekturen an der Rentenreform.

© Alexander Zmlianichenko, dpa

Russische Rentenreform: Zugeständnisse an die Frauen

Im Streit um eine Rentenreform sackten Putins Popularitätswerte ab. Jetzt geht er auf das Volk zu. Aber nur ein klein wenig.

Es war ein heißer Sommer in Russland, und das nicht nur wegen der Temperaturen. Zweieinhalb Monate lang führte das Land eine heftige Debatte. Stetig stieg der Unmut in der Bevölkerung. Dafür sorgten die Pläne für eine Rentenreform, die Regierungschef Dmitri Medwedew in der positiven Stimmung der Fußball-WM bekannt gab. Die Veränderungen wären die ersten seit 80 Jahren und sie wären massiv gewesen: das Rentenalter sollte für Männer auf 65 und für Frauen auf 63 Jahre heraufgesetzt werden.

Nun hat Präsident Wladimir Putin am Mittwoch Veränderungen bekannt gegeben, weil die russische Führung die soziale Sprengkraft dieses Themas in Zeiten wachsender wirtschaftlicher Unsicherheit und unpopulär hoher Ausgaben für Moskaus außenpolitische Abenteuer offensichtlich unterschätzt hatte. Unabhängigen Umfragen zufolge lehnten 89 Prozent der Befragten die Reform ab, die Zustimmungsraten für den Staatschef sanken um 20 Prozent.

Opposition organisierte Proteste

Dieser hatte eisern geschwiegen. Jedoch hatte sich sein Sprecher schon vor Wochen auf eine für Russland ungewöhnliche Weise distanziert: Das Konzept stamme von der Regierung und nicht aus der Präsidialkanzlei, sagte er. Die Opposition organisierte Proteste, offene Briefe wurden aufgesetzt, Unterschriften gesammelt, ein landesweites Referendum war geplant. Selbst Alexej Nawalny, offenbar vorsorglich zu 30 Tagen Haft verurteilt, wollte am 9. September gegen die Reform auf die Straße gehen – obwohl seine jungen Anhänger wohl noch am wenigsten empört sind über die Pläne der Politiker.

Seit gestern ist die Debatte offiziell beendet. Putin wandte sich in einer landesväterlichen TV-Ansprache an die Bürger. Er erklärte ihnen, warum die Anhebung des Rentenalters unausweichlich sei. Wegen des demografischen Knicks der 90-er Jahre stünde eine vergleichsweise geringe Anzahl junger Menschen einer wachsenden Masse an Rentnern gegenüber. Nur durch grundlegende Veränderungen seien die Rentenkassen in Zukunft zu füllen. Gleichzeitig kündigte der Präsident Entschärfungen der unbeliebten Regierungsvorlage an. Die wichtigste davon: Das Renteneintrittsalter der Frauen wird nur auf 60 Jahre angehoben. Das der Männer bleibt dagegen bei 65 Jahren – nur ein Jahr unter der durchschnittlichen Lebenserwartung.

Ein Land in Wallung

Während das Land in den vergangenen Wochen in Wallung geraten war, hatte Putin das getan, worin er ein wahrer Meister ist. Er beobachtete kühl die Szene und plante seine Korrekturen. Diese trug der 65-Jährige in seiner Ansprache im Detail vor, bewies Rechenkünste und Statistikkenntnisse und lies das Millionenpublikum am Mittwoch ein Gefühl von Anteilnahme spüren. Der Präsident bezifferte die Durchschnittsrente auf den Rubel genau: 14144 Rubel (179 Euro) seien wahrhaft bescheiden, sagte er. 2024 könnten Rentner bereits mit 20000 Rubel (253 Euro) rechnen. Zudem kündigte er Ausnahmen für sozial Schwache und zahlreiche Berufsgruppen an, sowie einen stärkeren Schutz der Arbeitnehmer in den letzten Berufsjahren. Dass Mitarbeiter der Sicherheitsorgane auch künftig früher und ohne Abzüge in Rente gehen können und dass die üppigen Altersbezüge der Duma-Abgeordneten unangetastet bleiben, verschwieg Putin.

Es sei richtig, dass das Rentenalter für Frauen nun nicht um acht, sondern nur um fünf Jahre angehoben wird, sagte er. „In unserem Land haben wir eine besondere, eine behutsame Beziehung zu den Frauen.“ Frauen trügen die Last zu Hause. Künftig fünf Jahre Mehrarbeit seien genug. Die Anpassung an das neue Renteneintrittsalter soll schrittweise erfolgen. Der Oppositionelle Nawalny kommentierte sarkastisch: „Ihr werdet, liebe Freunde, nur etwas weniger bestohlen.“ Auch sein Kollege Ilja Jaschin kommentierte: „Putin nimmt zwölf Millionen Menschen die Rente weg und begründet das mit der Sorge um die Stabilität des Rentensystems.“

Angewandte Polittechnologie

Die Debatte in der Politik und der Öffentlichkeit ist eine interessante Kombination aus realen Problemen und angewandter Polittechnologie. Bei der Ankündigung der Pläne demonstrierte die Regierung Härte. Die vermeintliche Distanzierung der Präsidialkanzlei weckte den Eindruck, dass Änderungen noch möglich seien. Und nun muss jede noch so kleine Entschärfung als ausgesprochen gnädig erscheinen. Die wenigsten russischen Rentner können allein von ihrer Rente leben. So wird das auf absehbare Zeit auch bleiben. Eine Reihe föderaler und lokaler Vergünstigungen mildert die Altersarmut ein wenig. Viele ältere Menschen verdienen sich mit Gelegenheitsarbeiten das nötige Geld dazu, um ein menschenwürdiges Auskommen zu finden.

Putin könnte es gelungen sein, die erhitzten Gemüter für’s Erste zu beruhigen. Denn für die Bürger ist seit gestern gewiss: Es hätte noch viel schlimmer kommen können. Wenn der gute Putin nicht eingegriffen hätte.

Jutta Sommerbauer

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