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Politik: Russland: Die manipulierte Demokratie

Als er im August 1999 Regierungschef wurde, war Wladimir Putin für den Westen ein völlig Unbekannter. Zu Jahresbeginn 2000 folgte er Boris Jelzin als Präsident nach - und warf noch immer mehr Fragen auf, als sein öffentliches Auftreten beantworten konnte.

Als er im August 1999 Regierungschef wurde, war Wladimir Putin für den Westen ein völlig Unbekannter. Zu Jahresbeginn 2000 folgte er Boris Jelzin als Präsident nach - und warf noch immer mehr Fragen auf, als sein öffentliches Auftreten beantworten konnte. Seither ist ein Jahr vergangen, in dem der Westen, voran Deutschland, Putin Vorschusslorbeeren gab, neue Chancen auslotete, Drachen steigen ließ. Hat Joschka Fischer, der heute nach Moskau reist, nun mehr Klarheit über den Mann im Kreml?

Ein bisschen ökonomischer Aufschwung, etwas mehr Freiheit für die Wirtschaft, aber weniger für Medien und Bürger, und noch lange kein starker Staat: So bilanzierten Russland-Experten das erste Jahr der Präsidentschaft Putins bei der ersten Fachtagung der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) seit ihrem Umzug nach Berlin.

Nach zehnjähriger Rezession ist die Wirtschaft 2000 erstmals wieder beträchtlich gewachsen, aber weniger dank Putin als vielmehr dank der Exporterlöse für Öl und Gas, deren Weltmarktpreise stark gestiegen sind. Die Betriebe investieren wieder, jedoch auch wegen der drastischen Abwertung des Rubels, die Importgüter verteuert und die Russen zum Kauf inländischer Produkte zwingt. Die Betriebe haben zudem Geld, weil sie dank Inflation mehr für ihre Waren bekommen, die Lohnausgaben aber nicht mit dem Preisauftrieb Schritt halten.

Permanente Überforderung

Die Zeche zahlen die kleinen Leute. Offiziell wird eine Liberalisierung der Wirtschaft propagiert, aber den Ankündigungen sind kaum Taten gefolgt. Die Kapitalflucht - mehrere Milliarden Dollar pro Jahr - hält an. Das Bankensystem ist marode und behindert den Aufschwung eher, als dass es ihn trägt.

Widersprüche auch in der Innenpolitik, es fiel das Wort von der "manipulierten Demokratie". Putin gibt den Moderator, der mit allen spricht. Wenn es ihm nützt. Und interveniert rücksichtslos. Wenn ihm das nützt. Gegenüber dem Westen hält Putin wortreich an der Demokratie fest, weil ihm auch das nützt. Brutal geht er gegen missliebige Medien, politische Konkurrenz und die föderalen Institutionen vor. Vor allem das Steuerrecht wird zur Disziplinierung eingesetzt. "Medienfreiheit gibt es noch, aber sie wird weniger", sagte ein Fachmann.

Die Außenpolitik spiegele Russlands permanente Überforderung. Und Putins Zögern, Prioritäten zu setzen. Er handele, als sei das Land nur vorübergehend in einer Schwächephase und könne dank seines Potenzials an Menschen und Rohstoffen sowie der strategischen Bedeutung seines Territoriums bald wieder den Großmachtanspruch durchsetzen. Trotz der gestiegenen Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft werden die Schulden im Westen nicht zurückgezahlt. Russland hat keine verlässlichen Verbündeten. Durch vielfältige Besuche versucht Putin einen anderen Eindruck zu erwecken - doch ob GUS, Kuba oder Iran: Es fehlt die Substanz. Die gemeinsam mit China erhobene Forderung nach einer multipolaren Weltordnung bleibt eine leere Formel.

Krisenvorsorge durch den Westen

Positiv gewendet: Da ihm die Mittel fehlen, macht Putin das Beste aus der misslichen Lage, indem er wenigstens den schönen Schein wahrt. In Europa müht er sich, die Anziehungskraft des Westens auf die Ex-Verbündeten abzumildern, die Erweiterung von EU und Nato nach Osten zu verzögern und zu verhindern, dass Russland den Anschluss völlig verliert.

Putin ist tatkräftiger, pragmatischer als Jelzin. Doch er stellt den Westen vor Gewissensfragen: Wie reagieren, wenn sich das Bild einer Öffnung nach außen bei paralleler Entwicklung zu einem autoritären System nach innen verfestigt? Am Ende überwogen die Mahnungen zur Vorsicht. Es gibt noch keine Basis für ein umfassendes Engagement der deutschen Wirtschaft und Politik. Schuldenstreichung sei kontraproduktiv. Das werde verstanden als "Blankoscheck, so weiterzumachen wie bisher. Dann wird der Reformstau nie überwunden."

Die Drachen, die man steigen ließ, um Putin zu testen, sollen künftig niedriger fliegen. Russland brauche 30 bis 40 Jahre, um sich ökonomisch und politisch zu konsolidieren. Erste Aufgabe des Westens sei bis dahin "Krisenvorsorge". Hilfe müsse eng konditioniert werden. Nicht: Wir zahlen, wenn ihr die Marktwirtschaft einführt. Sondern: Wenn ihr drei Atom-U-Boote, die die Barentssee bedrohen, umweltgerecht entsorgt, finanzieren wir ein bestimmtes Projekt. Und es sei an der Zeit, Irrtümer zu korrigieren. Die Vorhersage, Russlands Aufnahme in den Europarat werde die Menschenrechtslage verbessern, habe sich als falsch erwiesen.

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