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Russland: Diplomatischer Seiltanz

Bei einem "ganz offenen" Gespräch kitten Putin und Steinmeier Porzellan. Der Außenminister war spontan nach Russland geflogen, um ein Scheitern des bevorstehenden EU-Russland-Gipfels an der Wolga zu verhindern.

Moskau - Nach dem Ärger der letzten Wochen begegnet Wladimir Putin dem Bundesaußenminister und amtierenden EU-Ratspräsidenten Frank-Walter Steinmeier betont lässig. Mit einer Hand in der Hosentasche tritt der Kremlchef auf Steinmeier zu. "Deutschland hat bei der EU und der G8 eine schwere Bürde zu tragen. Es wäre eine große Ehre, wenn wir die Deutschen dabei unterstützen könnten", sagt Putin zur Begrüßung. Steinmeier nimmt dies dankend zur Kenntnis. Mit den Worten "Lassen sie mich ganz offen sein" beginnt Steinmeier das Krisengespräch, bevor sich die Türen für Außenstehende schließen.

Anders als zu Zeiten als Kanzleramtsminister unter Putins Duzfreund Gerhard Schröder ging es für Steinmeier nun darum, auf der Ebene der EU zerbrochenes Porzellan zu kitten. Denn in jüngster Zeit sprießen die Konfliktthemen zwischen Russland und der EU wie die Tulpen vor den Kremlmauern. Dabei scheint es, als werfe sich Russland mit Vehemenz in jeden sich bietenden Konfliktfall mit dem Westen.

Liste der Reizthemen wird länger

Die Liste der Reizthemen wird immer länger: Anfangs war es das russische Fleischembargo gegen Polen und der Gaskonflikt mit der Ukraine. Im Vorjahr zeigte sich Europa irritiert über Putins Reaktionen auf den Giftmord am früheren Geheimdienstmitarbeiter Alexander Litwinenko in London und den Auftragsmord an der Journalistin Anna Politkowskaja.

Über den Zwist um US-Raketenabwehr und KSE-Abrüstungsvertrag geriet der Dauerkonflikt um die Energiecharta zwischen Brüssel und Moskau fast in Vergessenheit. Im Streit um die Verlegung des sowjetischen Krieger-Denkmals in Tallinn stärkte die EU den Esten demonstrativ den Rücken, was Moskau empörte. Der Kreml tut sich schwer damit, dass jeder Einzelstreit mit den kleinen Nachbarn im Westen gleich ein Fall für die ganze Europäische Union ist.

Selbstbewusstsein der russischen Führung steigt

Der russische Politiker Alexej Mitrofanow glaubt, dass mit dem rasanten Anstieg der Öl- und Gaspreise auch das Selbstbewusstsein der russischen Führung in Schwindel erregende Höhen geschnellt ist. "Früher haben wir unser Imperium auf Raketen aufgebaut, heute tun wir das auf Dollar", sagte der Abgeordnete der populistischen Liberaldemokratischen Partei. Damals wie heute falle es dem Kreml schwer, die Position kleiner Staaten wie Estland ernst zu nehmen.

Bei Themen wie Menschenrechte, Minderheitenschutz oder Pressefreiheit zeigt sich Russland längst beratungsresistent. Kritik wird pauschal als Einflussnahme des Westens zurückgewiesen. Die Mehrheit der Russen ist der Überzeugung, dass Russland erst unter Putin wieder auf den rechten Weg gefunden habe. Die demokratischen Grundrechte kümmern nur eine Minderheit.

Kreml nicht zu Zugeständnissen bereit

Der Wissenschaftler Boris Schmeljow vertritt die These, dass der Stillstand in den Beziehungen zwischen Russland und der EU Jahre andauern dürfte. "Eine weitere Annäherung würde von den Russen Änderungen im politischen System und Wirtschaftsreformen abverlangen, zu denen sie nicht bereit sind", sagt der Professor am Institut für Wirtschaft an der Akademie der Wissenschaften. Die EU brauche das neue Partnerschafts- und Kooperationsabkommen dringender als Russland. "Deshalb ist der Kreml auch nicht zu irgendwelchen Zugeständnissen bereit, nur um das Abkommen möglichst schnell zu schließen", folgert Schmeljow.

Das Verhältnis zwischen Moskau und dem Westen sei so schlecht wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr, warnte EU-Handelskommissar Peter Mandelson bereits im April. Das war noch vor dem Estland-Streit. In Teilen der russischen Führung werden solche Einschätzungen dankbar aufgegriffen. Unter Putins Gefolgschaft mehren sich die Behauptungen, Russland sei von Feinden umzingelt. Auf Kundgebungen verteilen zehntausende Kreml-Aktivisten Faltblätter mit Bedrohungsszenarien.

Dahinter könnte der Versuch stehen, Putin gegen seinen erklärten Willen zu einer in der Verfassung nicht vorgesehenen dritten Amtszeit zu drängen. Anfang Mai forderte die stellvertretende Duma-Vorsitzende Ljubow Sliska, Putins Amtszeit wegen der "wachsenden Bedrohung der russischen Souveränität durch das Ausland" zu verlängern. (Von Erik Albrecht und Stefan Voß, dpa)

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