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© dpa

Russland: Dmitri Medwedew: Kronprinz oder Platzhalter?

Er weiß, wie man es in Russland nach oben schafft: mit Seilschaften und bedingungsloser Folgsamkeit. So ist er Putins Mann - durch und durch. Wer ist Dmitri Medwedew?

DMITRI MEDWEDEW SOLL MORGEN VON DER KREML-PARTEI „EINIGES RUSSLAND“ ZUM PRÄSIDENTSCHAFTSKANDIDATEN GEKÜRT WERDEN. WAS VERBINDET IHN MIT WLADIMIR PUTIN?

Über den Mann, der jetzt wohl sein Nachfolger wird, sagt Noch-Präsident Putin: „Ich kenne ihn sehr gut, seit 17 Jahren.“ Die beiden lernten sich Anfang der 90er Jahre in der Stadtverwaltung von St. Petersburg kennen. Putin kehrt damals gerade von seinem Auslandseinsatz als KGBSpion in Dresden zurück. Ab 1992 ist er Vizebürgermeister seiner Heimatstadt, Medwedew wird sein Rechtsberater. Der ist damals erst 25 Jahre alt, hat aber gerade ein Jurastudium beendet und eine Doktorarbeit geschrieben. Außerdem arbeitet er als Dozent an Russlands Kaderschmiede, der juristischen Fakultät der Staatsuniversität in St. Petersburg. Putin selbst hatte diese zehn Jahre zuvor besucht, auch die meisten seiner Kreml-Getreuen kommen von dort.

Schon in St. Petersburg verinnerlicht Medwedew die wichtigsten politischen Überlebensregeln der Nachsowjetzeit. Erstens: Karrieren führen über Seilschaften. Zweitens: Wer selbst nicht das Zeug zum Leitwolf hat, muss diesem bedingungslos folgen. Medwedew lässt daher den Kontakt zu Putin nicht abreißen – auch nicht, als dieser nach Korruptionsvorwürfen gegen den früheren St. Petersburger Bürgermeister Anatoli Sobtschak nach Moskau geht. Medwedew folgt Putin. Er organisiert nach dem vorzeitigen Rücktritt von Boris Jelzin den Präsidentschaftswahlkampf Putins. Dann wird er im Jahr 2000 stellvertretender Chef der mächtigen Präsidialverwaltung – seine Ernennung ist Putins erste Amtshandlung.

Medwedew macht sich an den Entwurf für eine großangelegte Staatsreform. Aus dieser Zeit stammen von ihm Sätze wie diese: „Der Staat muss sich aus den Sphären zurückziehen, die ohne seine Einmischung leben können. Aber dieser Rückzug des Staates geht in Russland zu langsam vor sich.“ Die Pläne für den Umbau der russischen Verwaltung entwirft allerdings nicht Medwedew selbst, sondern Dmitri Kosak – ein versierter Staatsrechtler, der die Rechtsabteilung des Kreml leitet. Kosak will die allmächtige russische Bürokratie matt setzen und für demokratische Strukturen sorgen. Anfangs gilt er sogar als einer der Favoriten für die Putin-Nachfolge. Kosak ist ein Visionär mit klaren Vorstellungen, die er ohne Ansehen der Person verteidigt. Medwedew dagegen ist nur der effiziente Manager. Kosak überwirft sich mit Putin: Auf Druck ehemaliger Geheimdienstleute im Kreml, die eher mehr als weniger Staat wollen, hält der Präsident am Modell der autoritären Führung fest. Medwedew, der mit Kosak eine Art Doppelspitze des liberalen Kreml-Flügels bildet, hätte in diesem Streit vermitteln können, tut es aber nicht. Kosak muss gehen.

Für Medwedew zahlt sich sein Verhalten aus. Er hilft Putin dabei, die Macht im Land auszubauen. Im Oktober 2003 steigt er zum Chef des Präsidentenamtes auf. Das große Geld verdient er allerdings beim Energiekonzern Gasprom, an dem der Staat 51 Prozent der Anteile hält. Dessen Aktionäre wählen ihn im Juni 2002 auf Vorschlag Putins zum Aufsichtsratsvorsitzenden.

Im Herbst 2005 folgt der nächste Karriereschritt. Putin macht Medwedew zum ersten Stellvertreter des Ministerpräsidenten. Kurze Zeit später wird allerdings auch Verteidigungsminister Sergej Iwanow zum Vizepremier befördert. Er gilt als Frontmann der früheren KGB-Leute. Beide wurden lange als potenzielle Kandidaten für die Nachfolge des Präsidenten gehandelt. Anders als Iwanow versuchte Medwedew nicht, sich mit antiwestlichen Parolen zu profilieren. Stattdessen spricht der dröge wirkende Politiker in Interviews über seine Begeisterung für Hardrock.

WIE MÄCHTIG WÄRE ER ALS PRÄSIDENT?

Durch Putins öffentliche Unterstützung für Medwedew sieht es zunächst einmal so aus, als sei der Machtkampf um seine Nachfolge entschieden. Trotzdem wäre Medwedew wohl lediglich eine Art Prinzregent mit beschränktem Einfluss. Möglicherweise käme ihm sogar nur die Rolle eines Platzhalters für Putin zu, der nach einer Pause ohne Verfassungsänderung wieder für das Präsidentenamt kandidieren könnte.

Medwedew wird sich nicht daran wagen, die clanartigen Strukturen im Kreml zu zerschlagen. Vielmehr ist er selbst Teil des Systems, das beweist schon sein einflussreicher Posten bei Gasprom. Außerdem profitiert er auf spezielle Weise von der Zerstrittenheit zwischen konservativen und liberalen Kräften in der Machtzentrale – beide Seiten sehen in ihm offenbar das geringste aller möglichen Übel. Er ist für sie der Garant eines Waffenstillstands zwischen den verfeindeten Lagern.

Auch wenn Medwedew vor allem im Westen gerne als „Liberaler“ tituliert wird, ist bei dieser Bezeichnung größte Vorsicht angebracht. Zwar hat er sich immer wieder für das Prinzip einer freien Marktwirtschaft ausgesprochen. Verdrängt wird dabei aber, dass es bei den Flügelkämpfen im Kreml nicht um einen inhaltlichen Streit geht, sondern eine Auseinandersetzung um die Kontrolle staatsnaher Konzerne und den Zugriff auf deren Kassen geführt wird.

Medwedews Ziel ist nicht das westliche Demokratiemodell, sondern eher eine chinesische Lösung, die politische Freiheiten nur in dem Maße zugesteht, wie sie für die Wirtschaft zwingend erforderlich sind. Hoffnungen auf mehr Demokratie wird er daher wohl nur verbal bedienen. Durchaus beabsichtigt ist dabei, die ohnehin schwächelnde demokratische Opposition weiter zu schwächen. Indem er einen Teil ihrer Forderungen scheinbar übernimmt, spricht er ihr auch noch die Existenzberechtigung ab. Ein wirklicher Ausbau demokratischer Strukturen würde Medwedew aber nicht nur das Vertrauen Putins, sondern auch die Duldung der Geheimdienstfraktion kosten. Auf die aber wird er angewiesen sein.

Medwedew, der aus einer alten Petersburger Gelehrtenfamilie kommt, ist eher konfliktscheu und durchsetzungsschwach. Von seinem Erscheinungsbild her wirkt er wie ein Gegenentwurf zum Bild des russischen Muschiks, des rohen Kerls vom Lande. Ein Gossenjargon, wie ihn Putin manchmal benutzt (zum Beispiel, als er einmal drohte, tschetschenischen Terroristen „notfalls auf dem Lokus zu massakrieren“) ist bei Medwedew undenkbar. Damit hat der Mann ein Problem: Zu solchen wie ihm schaut die russische Seele zwar auf, sie liebt sie aber nicht – und fürchtet sie auch nicht. Das wurde schon so manchem Kremlherrscher zum Verhängnis.

Hinzu kommt, dass Medwedews Widersacher Sergej Iwanow den Kampf um das höchste Staatsamt noch nicht aufgegeben hat. Kaum hatte Medwedew Putin für den Fall seiner der Wahl das Amt des Premierministers offeriert, meldete sich der scheinbar matt gesetzte Iwanow zu Wort. Der Vorschlag sei „sehr interessant“, sagte er. Nur werde Putin sich sobald zu einer Antwort nicht herablassen.

Ohne Absprache mit Putin hätte es Iwanow wohl kaum gewagt, den mit Medwedews Kandidatur mühsam erzielten Kompromiss wieder infragezustellen. Genau das aber ist die Botschaft seines Statements: Medwedew ist ein Kandidat, den Putin unterstützt – doch vielleicht nicht der einzige. Gut möglich, dass Putin direkt vor den Wahlen mindestens einem weiteren Kandidaten seine Unterstützung zusagt – und dem Wähler die Entscheidung zwischen Medwedew und Mister X aufhalst.

VOR WELCHEN HERAUSFORDERUNGEN WÜRDE ER ALS PRÄSIDENT STEHEN?

Putin hat sein wirtschaftliches Ziel noch nicht einmal in Ansätzen erreicht: Der Aufbau einer leistungsfähigen verarbeitenden Industrie in Russland. Eigentlich sollte dieser Umbau mit Erlösen aus den Öl- und Gasexporten finanziert werden. Das Ergebnis: Schon im kommenden Jahr wird der bisherige Überschuss in der Handelsbilanz bis auf Null sinken, danach droht sogar ein negatives Ergebnis – trotz weiterhin steigender Preise für Öl und Gas. Die Inflationsrate bewegt sich deshalb kontinuierlich nach oben. Die Preise für Grundnahrungsmittel sind allein seit dem Sommer zum Teil um bis zu 50 Prozent gestiegen. Auch außenpolitisch drohen Probleme. Sollte das Kosovo seine Unabhängigkeit erklären, gibt es in Russland bereits Forderungen, Konsequenzen zu ziehen – das heißt, die georgischen Provinzen Südossetien oder Abchasien ebenfalls in die Unabhängigkeit zu entlassen. Neue Spannungen zur Nato, vor allem zu den USA als Schutzmacht Georgiens, wären dann vorprogrammiert.

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