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Bin ich schon drin? Für sein Internet hat Präsident Wladimir Putin ein Gesetz – an der technischen Umsetzung könnte es noch hapern.

© Archivfoto: imago/ITAR-TASS

Russland hat neues Internetgesetz: Kreml will Kontrolle über Kommunikation

Russland koppelt sich ab vom Netz und schafft ein eigenes System. Die Umsetzung lässt aber auf sich warten. Kritiker fürchten dennoch mehr Staatskontrolle.

Von Oliver Bilger

Es gehe um die eigene Sicherheit – so lautet das Argument aus dem Kreml, weswegen der Staat jetzt die volle technische Kontrolle des Internets in Russland übernehmen will. Am Freitag trat ein entsprechendes Gesetz über ein eigenständiges Netz in Kraft.

Als im Frühjahr Tausende meist junge Russen gegen das Vorhaben demonstrierten, reagierte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow mit Unverständnis. Der Kreml wolle nicht auf einen Knopf drücken und das Internet abschalten, sagte er damals – dies sei „absolut falsch“. Die Bürger, wunderte sich Peskow, müssten doch vielmehr besorgt sein, dass „jemand auf der anderen Seite des Atlantiks diesen Knopf drückt“.

Dass die USA Russland vom Internet entkoppeln könnten, ist der offizielle Tenor in Russland, das Land brauche deswegen ein autonomes Netz. Zumal ein Großteil von Daten zurzeit auf Servern amerikanischer Firmen lagert. Präsident Wladimir Putin verteidigte das Projekt als notwendig für die nationale Sicherheit. Er hatte das umstrittene Gesetz bereits im Mai unterzeichnet.

Kritiker fürchten Zensur

Der russische Internetverkehr soll künftig über Knotenpunkte im eigenen Land gelenkt werden. Durch den Aufbau einer neuen digitalen Infrastruktur, ein nationales Domain-System, soll das Netz in Russland, im Fall einer Abkopplung vom Rest der Welt, wie ein Intranet weiter funktionieren. Geschaffen werde nur eine Reservestruktur für mehr Sicherheit, behauptete der Chef des Ausschusses für Informationspolitik in der russischen Staatsduma, Leonid Lewin. Das „Runet“ bleibe ein Teil des weltweiten Netzes. Es gehe um einen sicheren Netzzugang für russische Nutzer unabhängig von der Arbeitsweise ausländischer Anbieter.

Kritiker des umstrittenen Vorhabens befürchten jedoch, dass es um viel mehr geht als um Abhängigkeiten und Cyberangriffe. Sie sehen in dem Gesetz einen neuen Vorwand für die weitere Verstärkung politischer Kontrolle, zumal das Gesetz auch eine umfangreiche Vorratsdatenspeicherung vorsieht. Viele befürchten, ihr Land werde digital isoliert und die Überwachung durch Geheimdienste verstärkt. Außerdem könnten die Behörden im Fall von größeren Protesten das Netz kurzerhand abschalten.

Freiheit im Internet eingeschränkt

Die Russen haben allen Grund, skeptisch zu sein. Schon in der Vergangenheit war das Sicherheitsargument dazu genutzt worden, die Freiheit im Netz immer weiter einzuschränken. Nach Massendemonstrationen im Winter 2011/2012 begann der Telekommunikations-Regulierer Roskomnadsor, Webseiten zu sperren. Als offizielle Begründung diente der Jugendschutz; Webseiten zu Kinderpornografie, Drogenhandel oder Extremismus sollten unzugänglich sein. Betroffen waren aber ebenfalls Seiten russischer Oppositioneller wie Alexej Nawalny. Selbst der Bundestag kritisierte eine neue Verordnung damals als „ Instrument zur Beschränkung der Meinungsfreiheit und einer weitgehenden Zensur“. Putin versprach indes, die Internetfreiheit nicht anzutasten. Heute stehen Millionen von Internetadressen auf der schwarzen Liste. Die US-amerikanische Organisation Freedom House zählt Russland zu den Ländern mit den größten digitalen Beschränkungen.

Kontrolle über Kommunikation

Der Kreml will Kontrolle über sein Volk und dessen Kommunikation. Das hat in Russland eine lange Tradition. Bereits Lenin wollte vor mehr als 100 Jahren den Austausch über Telegrafen kontrollieren, die Sowjetunion bespitzelte die Telefongespräche ihrer Bürger großflächig. Während Putins erster Amtszeit vor fast 20 Jahren brachte der Kreml das Fernsehen, die mit Abstand wichtigste Informationsquelle im Land, auf Linie. Das Internet blieb jahrelang der Ort, an dem sich Russen weitgehend frei informieren und austauschen konnten. Auch die Opposition erkannte das Potenzial. Da das Staatsfernsehen sie ignorierte, machte sie das Netz zu ihrem Instrument. Doch nun soll eine der Sowjetzeiten ähnliche Überwachung offenbar auf das Internet ausgeweitet werden. Allerdings waren Kontrollversuche zuletzt nicht immer erfolgreich.

Seit eineinhalb Jahren versucht Roskomnadsor den populären Messengerdienst Telegram zu blockieren – was bislang gescheitert ist. Auch diesmal ist fraglich, welche Folgen die neuen Vorschriften haben werden. Experten bezweifeln, dass Russland eine Abschottung wie in China gelingen kann. Mehr als 3000 Netzbetreiber müssen zunächst neue Hardware anschaffen. Viele technische Fragen bleiben zunächst ungeklärt.

Russland ist noch bereit für die die Implementierung, sagt Kreml-Sprecher Dmitri Peskow.
Russland ist noch bereit für die die Implementierung, sagt Kreml-Sprecher Dmitri Peskow.

© imago images/ITAR-TASS

Am Freitag, zum Inkrafttreten des Gesetzes, berichteten die russischen Medien „Kommersant“ und „The Bell“, ein Streit innerhalb innerhalb der zuständigen Staatsorgane führe zur einer Verzögerung der Hardware-Einführung. „Es ist schwer zu sagen, wie realisierbar die Ambitionen des Kremls sind“, erklärte bereits im Frühjahr der Internet- und Geheimdienstexperte Andrej Soldatow. Für einige Regionen und Dienste sei eine zentrale Steuerung denkbar, für das riesige Land insgesamt eher nicht. Selbst Kreml-Sprecher Peskow erklärte erst vor wenigen Tagen, dass Russland noch nicht bereit sei für die Implementierung. „Das Gesetz wird schrittweise umgesetzt, sobald die Technologie fertig ist.“

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