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© AFP

Russland: Hof ohne Herrscher

Putins Getreue fürchten um ihre einträglichen Posten – er bändigt sie anscheinend nur noch mit Mühe. Wie lange ist Wladimir Putin noch Herr im Kreml?

„Umgebung“, „Petersburger Landsmannschaft“, „kollektiver Rasputin“. Das sind nur einige der Titel, mit denen Massen und Medien hierzulande Russlands Schattenkabinett bedenken: Männer zwischen fünfundvierzig und fünfundfünfzig, pressescheu, aber in engem Kontakt mit dem „Körper“. So nennt man in Russland traditionell den Herrscher – gegenwärtig den Ex-Tschekisten Putin. Zwangsläufig besteht auch seine Entourage vor allem aus ehemaligen Geheimdienstlern, die er in unterschiedlichen Lebensphasen aufgelesen hat: Beim Studium an der Juristischen Fakultät der Staatsuniversität im damaligen Leningrad, später auf einer KGB-Schule für künftige Spione, dann in der Dresdner Residentur des Sowjetgeheimdienstes, später als Vizebürgermeister von Sankt Petersburg und schließlich als Chef von Russlands Inlandsgeheimdienst FSB.

Der Volksmund nennt diese Gruppe „Silowiki“. Das Wort kommt ursprünglich von „Stärke“, meint im Neurussischen jedoch vor allem Militärs und Geheime. Das zweite Interessenkartell der Petersburger bilden die „Liberalen“. Mit der Demokratie freilich tut diese Gruppe sich ähnlich schwer wie die Silowiki. Sie wollen sie nur in dem Maße, wie es für eine reibungslos funktionierende Marktwirtschaft unbedingt nötig ist.

Gleich nach seiner Wahl zum Präsidenten im März 2000 begann Putin damit, sämtliche strategischen Posten mit seinen Paladinen zu besetzen, vor allem in Russlands eigentlicher Regierung, dem Präsidentenamt. Dessen Abteilungsleiter sind Ministern gleichgestellt und haben in der Praxis mehr als sie zu sagen. Staatsämter, auch hohe, werden jedoch in Russland noch immer miserabel bezahlt. Um sich die Loyalität seiner Getreuen zu erhalten, schanzte Putin ihnen lukrative Posten in den Aufsichtsräten staatsnaher Konzerne zu – vor allem in der Energiebranche. Zwar lobt Putin seine Leute gern als „Team von Gleichgesinnten“, unterschlägt dabei jedoch, dass Silowiki und Liberale sich längst herzlich feind sind und schon frühzeitig versuchten, Putin, der bei den Präsidentenwahlen im März 2008 nicht mehr antreten darf, als Nachfolger ihre Kandidaten anzudienen: die Silowiki Ex-Verteidigungsminister Sergej Iwanow, die Liberalen Dmitri Medwedew. Beide ernannte Putin Ende 2005 zu Ersten Vizepremiers.

Je näher Duma- und Präsidentenwahlen rückten, desto heftiger spitzte sich der Flügelkampf zu. Denn ein Wechsel an der Spitze der russischen Machtpyramide zieht nach wie vor den Wechsel der gesamten herrschenden Elite nach sich und damit auch eine Umverteilung der Pfründen. Mit Verteilungskämpfen verschlissen sich die Rivalen daher sogar im Wahlkampf. Viktor Tscherkesow, der mit Putin seit gemeinsamen Tagen bei der sowjetischen Auslandsaufklärung befreundet und jetzt Russlands oberster Drogenfahnder ist, warnte Anfang Oktober vor einer „Spaltung der Tschekisten“ wegen der „unkalkulierbaren Risiken“ für Russland. Die Veteranen des KGB warnten später ebenfalls. Sie könnten recht haben: Die hysterische Reaktion des Kreml auf ein paar demonstrierende Oppositionelle und Putins Schweigen zu seiner politischen Zukunft lassen befürchten, dass er mit seiner „Umgebung“ nicht mehr oder nur noch unter Aufbietung seiner letzten Kräfte fertig wird.

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