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Sahra Wagenknecht

© Reuters

Update

Russland, Ukraine: Grüne gegen Linke: Kampf um die Krim bei Twitter

Was tun mit der Krim? Grünen-Politiker Bütikofer heizt den Zwist mit der Linkspartei auf Twitter mit einer Polemik gegen Wagenknecht an. Und zwei Linke-Funktionäre fahren als Wahlbeobachter zum Referendum - sehr zum Ärger ihrer Parteiführung.

Von Matthias Meisner

Reinhard Bütikofer ist Profi genug um zu wissen, wie er zuspitzt. Der Ko-Vorsitzende der Europäischen Grünen, Sprecher der Europagruppe Grüne im Europäischen Parlament und frühere Parteichef redet auch gar nicht drum herum: Es überrasche ihn nicht, sagt er dem Tagesspiegel, dass seine Aktion provokativ wirke. "Sie war auch als Provokation beabsichtigt, weil ich es unerträglich finde, mit welchem kühlen Zynismus Sahra Wagenknecht um Verständnis für die russische Krim-Aggression wirbt." Die stellvertretende Linken-Fraktionschefin habe sogar "fürsorglich" für "eine zweite mögliche Stufe des russischen Vorgehens in der Ost-Ukraine um Verständnis geworben".

Bütikofer hatte das Foto-Motiv in Auftrag gegeben, das seit Freitagabend in den sozialen Netzwerken Twitter und Facebook verbreitet wurde - auch von Grünen-Spitzenpolitikern wie Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt und dem Parteivorsitzenden Cem Özdemir. Der Tweet Bütikofers zeigt Sahra Wagenknecht vor mit Kalaschnikows ausgerüsteten Soldaten - dazu der Spruch: "Jetzt neu: Linkspartei erstmals für Auslandseinsätze". Als Plakat im Europawahlkampf soll das Motiv nicht gehängt werden, wie Wahlkampfmanager Robert Heinrich versicherte.

Die Reaktionen bei den Grünen fielen sehr unterschiedlich aus, überwiegend waren sie negativ. Der Berliner Grünen-Chef Daniel Wesener erklärte: "Ich schäme mich für dieses Niveau, das dem von Sevim Dagdelen kaum nachsteht", schrieb er auf Twitter - in Anspielung auf die Linken-Bundestagsabgeordnete, die im Februar während einer Ukraine-Debatte im Bundestag getwittert hatte: "Unerträglich diese verwelkten Grünen, die die Faschisten in der #Ukraine verharmlosen, die antisemitische Übergriffe begehen. Ein Tabubruch!".

Grünen-Bundesgeschäftsführer Kellner: nicht gelungen

Ähnlich wie Wesener äußerten sich beispielsweise auch die sächsische Bundestagsabgeordnete Monika Lazar, der hessische Bundestagsabgeordnete Wolfgang Strengmann-Kuhn sowie die Thüringerin Astrid Rothe-Beinlich, Vizepräsidentin im Erfurter Landtag - alles Politiker, die seit längerem für einen rot-rot-grünen Dialog eintreten. "Echt enttäuschend und beschämend und der Sache abträglich", meinte Rothe-Beinlich. Die baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl schrieb in einem Kommentar auf Özdemirs Facebook-Seite: "Ganz gleich, welche Haltung man in der Krim-Krise einnimmt: Dieses Plakat ist weder guter noch grüner Stil! Ich bitte dich, Cem, das sofort zurückzuziehen, am besten mit einer Entschuldigung." Die frühere Grünen-Fraktionschefin Renate Künast schrieb auf Twitter: "Dies Plakat ist ein Fehler. Die Sorgen sind viel zu groß und Wagenknecht entlarvt sich bitte sehr schon selbst."

Unterstützt wurde Bütikofer dagegen von der sächsischen Fraktionsvorsitzenden Antje Hermenau, die auf Twitter schrieb: "Das Plakat provoziert, ja. Aber: warum stoppt die Linke diese Frau nicht? Offenbar dieselbe Denke wie vor 1989?" Kurz darauf legte sie nach: "Nochmal: warum stoppt die Linke diese Frau nicht? Beim € für die AfD, bei der Krim für Putin?!?"

Wagenknecht hatte in den vergangenen Tagen zwar mehrfach Kritik am russischen Präsidenten Wladimir Putin deutlich gemacht, zugleich aber deutlich gemacht, dass sie eine Krim-Annexion nach dem umstrittenen Referendum an diesem Sonntag für akzeptabel hält. Das russische Vorgehen bezeichnete sie als "Reaktion auf eine Fehlentwicklung" - die Einsetzung der aus ihrer Sicht illegitimen Übergangsregierung in Kiew. In der Ukraine sei keine Regierung der nationalen Einheit an der Macht, dies provoziert "Spaltung und Zerfall, da ist die Krim vielleicht nur der Anfang".

Jelpke greift Göring-Eckardt als "gänzlich naiv" an

In ähnliche Richtung gingen Äußerungen der Linken-Innenpolitikerin Ulla Jelpke, aus deren Sicht sich in der Ukraine keine "demokratische, proeuropäische Revolution" vollzogen habe, "sondern eine Tragödie". Am Samstag legte Jelpke mit einem Aufsatz in der linksradikalen Zeitung "Junge Welt" nach, unter der Überschrift "Faschismusverharmloser" greift sie darin die Grünen-Außenpolitikerin Marieluise Beck und Fraktionschefin Göring-Eckardt namentlich an. "Gänzlich naiv" sei die Hoffnung von Göring-Eckardt, "die Demokratie und die freiheitliche Grundordnung in der Ukraine werden ganz sicher" mit den rechtsnationalen Kräften in der Ukraine fertig werden.

Intern hatte bei den Linken vor allem der Tweet von Dagdelen zu heftigen Auseinandersetzungen geführt. Nach außen versuchte die Partei hingegen, Geschlossenheit zu demonstrieren. Es gebe "keine großen Streit" um die Bewertung der Ereignisse in der Ukraine, zitierte das "Neue Deutschland" den Linken-Außenpolitiker Stefan Liebich, einen der Wortführer des Reformerflügels. Die Bundestagsfraktion habe sich einen "Korridor von Positionen" erstritten, den man künftig "einvernehmlich vertreten" werde. Die Linken-nahe Zeitung meldete daraufhin, die Partei habe "keine Krim-Krise".

Der Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger reagierte auf den von Bütikofer und anderen Grünen-Spitzenpolitikern gegen die Linke verbreitete Polemik auf Twitter: "Suchen Sie nach Lösungen oder nach einem Wahlkampfthema?", schrieb er an Göring-Eckardt und Bütikofer: "Mein Rat: Dieser Konflikt eignet sich nicht." Elke Breitenbach, stellvertretende Landesvorsitzende der Berliner Linken, äußerte Kritik an den Grünen, aber auch an eigenen Genossen: Das Niveau von Dagdelen und Göring-Eckardt "ähnelt sich und hat wenig mit Politik zu tun", erklärte sie. Dagdelen selbst wiederum kommentierte die Grünen-Aktion auf Twitter: "Wie die CDU-Propaganda aus dem Kalten Krieg. #Grüne auf dem Weg nach rechts außen, mit neuer Kalter Kriegspropaganda."

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Göring-Eckardt reagierte auf die Kritik an der Grünen-Aktion am Samstag mit einem weiteren Tweet. "Verstehe, dass manchen das Motiv zu zugespitzt ist. Verstehe nicht, dass @SWagenknecht @SevimDagdelen Jelpke unwidersprochen bleiben." Ähnlich äußerte sich Parteichef Özdemir auf Facebook: Das Share-Pic sei "eine provokante Zuspitzung zu den schwer erträglichen Äußerungen von Sahra Wagenknecht und Sevim Dagdelen in Sachen Putins Annektierung der Krim. Ich kann verstehen, dass dies nicht jeden Geschmack trifft. Was ich nicht verstehe ist, dass den beiden bislang kaum widersprochen wird." Auf Distanz ging Michael Kellner, der Politische Geschäftsführer der Grünen. "Es gab eine ganze Reihe von niveaulosen Angriffen aus der Linkspartei. Ich persönlich halte die Aktion der Europäischen Grünen Partei aber für nicht gelungen", sagte er dem Tagesspiegel. Auch Bütikofer versicherte, es tue ihm "natürlich leid, wenn sich jetzt Leute, die ich nicht angreifen wollte, darüber empören." Dennoch: "Ich würde mir wünschen, dass vor allem über den Anlass der Kontroverse gestritten wird."

Linke-Politiker als Wahlbeobachter auf der Krim

Derweil wurde am Samstag bekannt, dass zwei Funktionäre am umstrittenen Referendum am Sonntag auf der Krim als Beobachter teilnehmen - Torsten Koplin und Hikmat Al-Sabty, beide Abgeordnete im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Sie seien eingeladen vom Europäischen Zentrum für Geopolitische Analyse, erläuterte Koplin, früherer Vize-Landeschef der Linken im Nordosten, dem Tagesspiegel. Ziel der Visite sei eine Beobachtung des Wahlablaufs. "Wie das völkerrechtlich bewertet wird, da maße ich mir kein Urteil an." Über die Ziele des Vereins, der die Reise organisiert hat, ist wenig bekannt. Eine Vorstellung ist auf dessen Internet-Seite nur angekündigt. Vorsitzende ist eine Kommunalpolitikerin der Linken aus Niedersachsen.

In der Linkspartei löste die Nachricht über die Reise der beiden Landtagsabgeordneten auf die Krim Überraschung aus. Parteisprecher Alexander Fischer sagte, die Reise der beiden sei "weder mit Wissen noch mit Billigung" der Parteiführung erfolgt. Der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Dietmar Bartsch, erklärte: "Hätten die beiden mich gefragt, hätte ich versucht, sie davon abzubringen." Hinter vorgehaltener Hand waren die Reaktionen aus der Führung deutlicher: Von "politisch großem Schwachsinn" und "unglaublicher Dummheit" war die Rede. In dieser Situation könne die Reise nur als Anerkennung des umstrittenen Referendums verstanden werden. Die OSZE hat darauf verzichtet, am Sonntag Wahlbeobachter auf die Krim zu schicken.

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