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Russlands Präsident Wladimir Putin verteidigt seine Politik auf der Krim.

© dpa

Russland und die Krim-Krise: Putins Blut-und-Boden-Rede

Russland holt sich zurück, was immer Russlands war: In einer selbstbewussten Rede verteidigt Wladimir Putin seinen Griff nach der Krim - und gibt dem Westen deutlich zu verstehen, wie sehr er ihn verachtet.

Da saßen sie nun alle im Kreml, die Abgeordneten beider Kammern des russischen Parlaments, nicht wenige mit Tränen in den Augen – und niemandem schien aufzufallen, dass die Rede ihres Präsidenten gar nicht an die Anwesenden gerichtet war. Denn der eigentliche Zuhörer, für den Wladimir Putin hier sprach, war der Westen. Und dem gab Russlands Staatsoberhaupt in präzedenzloser Klarheit zu verstehen, wie sehr er ihn verachtet.

Russland habe „den Kopf gesenkt“, „sich gefügt“, „Kränkungen geschluckt“, erklärte Putin mit Blick auf den Umgestaltungsprozess Europas in der postsowjetischen Epoche, in der Russland nicht allein den Verlust der Krim zu verschmerzen hatte. Wie aber habe der Westen Russland seine Demut gedankt? Mit „Betrug“, mit „Absprachen hinter unserem Rücken“, mit „Ignorierung unserer nationalen Interessen“. Wenn man aber eine Feder immer weiter zusammendrücke, dann müsse sie irgendwann auseinanderspringen, erklärte Putin – und angesichts seiner kiefermahlenden Rhetorik klang es, als spreche er hier in allererster Linie von sich selbst.

Wo sei die Völkerrechtsverletzung, die der Westen Russland in der Krim-Krise zur Last lege, fragte er. Habe denn nicht der Westen in ganz ähnlicher Weise die Unabhängigkeit des Kosovo gefördert und anerkannt? Warum solle für Russen nicht gelten, was für Albaner gelte, warum werde die eine Unabhängigkeit bejubelt und die andere verurteilt? „Wenn der gleiche Gegenstand heute schwarz und morgen weiß ist, dann kann man das nicht einmal mehr Doppelmoral nennen – es ist purer Zynismus.“

Putin fordert Verständnis von den Deutschen

Amerika handle alleine nach dem „Recht des Stärkeren“. Mit fadenscheinigen Begründungen hole man sich für Völkerrechtsbrüche den Segen internationaler Institutionen, und wenn man ihn nicht bekomme, setze man sich kurzerhand darüber hinweg – siehe Kosovo, siehe Afghanistan, siehe Irak. „Sie tun, was sie wollen.“ In hohem Maße unglaubwürdig sei es deshalb, wenn der Westen im Falle der Krim von Gesetzesbrüchen rede. „Gut, dass sie überhaupt daran denken, dass es ein Völkerrecht gibt – besser spät als nie.“

Um das Verständnis Europas warb Putin nicht, er forderte es ein. Ausdrücklich wandte er sich dabei an die Deutschen, deren friedliche Wiedervereinigung in allererster Linie dem Einverständnis Russlands zu verdanken gewesen sei. „Ich bin sicher, dass Sie auch unsere Bestrebungen zur Wiederherstellung von Einheit verstehen werden.“

Und eben das, nämlich eine Wiedervereinigung, nicht eine Annektierung, sei die Eingliederung der Krim in die Russische Föderation. Die wenigsten Zuhörer im Kreml dürften den Widerspruch bemerkt haben, an den sich Putins Argumentation an dieser Stelle verstrickte: Auf der einen Seite malte er das Schreckgespenst eines nationalradikalen Regimes an die Wand, das in Kiew unrechtmäßig die Macht übernommen habe und nun dem russischsprachigen Teil der Bevölkerung nach der kulturellen Identität, wenn nicht gar nach dem Leben trachte. Gleichzeitig glitt Putin selbst erschreckend weit nach rechts ab, als er zur Rechtfertigung der Krim-Eingliederung vor allem Blut-und-Boden-Argumente heranzog.

Putin: Keine "Spaltung" der Ukraine

Er holte dabei weit aus: Auf der Krim, genauer in der byzantinischen Tempelstadt Chersonnes, habe sich im 10. Jahrhundert der Kiewer Fürst Wladimir taufen lassen, um anschließend auch seinen Untertanen das orthodoxe Christentum zu schenken, das sich somit von der Krim aus über die gesamte russische Welt verbreitet habe. Putin sprach weiter, über Sewastopol, über Kertsch, über all jene Krim-Städte, die die russische Geschichte unbestreitbar geprägt haben: „Jeder dieser Orte ist für uns heilig.“ Immer, erklärte Putin, sei die Krim deshalb „ein unentbehrlicher Teil Russlands“ gewesen, deren verwaltungstechnische Eingliederung in die Ukraine schon zu Sowjetzeiten, „unter den Bedingungen des Totalitarismus“, ein „Verrat“ gewesen sei.

Russland holt sich also nur zurück, was immer Russlands war. Und auch wenn Putin deutlich erklärte, keine weitere „Spaltung der Ukraine“ anzustreben, dürfte seinen Zuhörern in Kiew nicht entgangen sein, dass sich seine historisch-ethnologischen Eingliederungsargumente nicht allein auf die Krim bezogen. Auch andere Teile des „russischen Südwestens“, beziehungsweise des „heutigen ukrainischen Südostens“, seien nach der Auflösung der Sowjetunion von Russland klaglos preisgegeben worden, erklärte Putin. Man habe das im Vertrauen darauf getan, „dass die Ukraine unser guter Nachbar bleibt, dass unsere Landsleute dort sicher leben können“.

Auch bei diesen Worten war deutlich, dass sich ihr drohender Unterton nicht an die Zuhörer richtete, die Putins Ansprache begeistert beklatschten.

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