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Auf Wiedervorlage. Ein Webstuhl reproduziert das Konterfei des russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin. Seine Anhänger holen zum Gegenschlag aus, während die Protestbewegung schwächelt.

© AFP

Russland vor der Wahl: Putins Getreue schlagen zurück

Trotz Extremtemperaturen erwartet Moskau ein turbulentes Protestwochenende - mit Demonstrationen für und gegen die Regierung Putin.

Statt ihrer Designerklamotten sollten die Moskauer Wintermäntel und Filzstiefel anziehen. Alkohol und fetthaltiges Essen seien zu meiden, und bei heißem Tee sei ebenfalls Vorsicht geboten: Er verschaffe nur kurzzeitig ein trügerisches Gefühl der Wärme. Seine Ratschläge, sagt Gennadi Onischtschenko, Russlands oberster Amtsarzt und Verbraucherschützer, sollten sowohl die Teilnehmer der Pro- als auch jene der Anti-Regierungs-Demonstrationen beherzigen. Zu Recht: Das Wetter scheint sich mit Höchsttemperaturen von minus siebzehn Grad gegen alle verschworen zu haben, die in den nächsten Tagen zu großen Politkundgebungen in Moskau aufbrechen wollen.

Putin-Befürworter treffen sich am Samstag auf der Poklonnaja Gora – einer Gedenkstätte für die Gefallenen im Zweiten Weltkrieg – um dem Ministerpräsidenten für die Präsidentenwahlen am 4. März den Rücken zu stärken. Fast zeitgleich werden seine Gegner die Nation dazu aufrufen, Putins Rückkehr in den Kreml zu verhindern. „Putin hau ab“, stand auch auf einem Plakat, das Mittwoch auf einem Hochhaus gegenüber dem Kreml anderthalb Stunden prangte. Dann entfernten es Spezialkräfte des Ministeriums für Katastrophenschutz.

In Sichtweite des Kremls findet am Samstag auch das neue Protestmeeting statt. Auf dem Bolotnaja-Platz, wo schon am 10. Dezember 20 000 Menschen Parlamentsneuwahlen und innenpolitische Lockerungen forderten. Zwei Wochen später waren es mindestens 30 000. Für Samstag werden bis zu 50 000 erwartet. Anfangs hatten die Organisatoren gleiche Teilnehmerzahlen angepeilt wie am 4. Februar 1990, als eine halbe Million Moskauer bei einer Demo auf dem Gartenring, der das Stadtzentrum umschließt, die Abschaffung des Machtmonopols der Kommunistischen Partei forderte. Einen Monat später wurde der Artikel aus der sowjetischen Verfassung gestrichen.

Auch deshalb hatten Putins Gegner bei Verhandlungen mit der Moskauer Stadtregierung auf diesem Ort bestanden, stimmten dann jedoch einer geänderten Route zu. Um das symbolträchtige Datum zu retten und den Marsch: Nie seit Putins Machtübernahme im Jahr 2000 durften Liberale im Zentrum der Hauptstadt demonstrieren, die Stadtregierung genehmigte lediglich kleine Kundgebungen.

Die Opposition ist zerstritten - Putins Anhänger sammeln sich

Rechte und linke Fundamentalisten hätten den nun vom pragmatischen Flügel der Protestbewegung ausgehandelten Kompromiss um Haaresbreite verhindert. An internen Interessenkonflikten scheiterten bisher auch alle Versuche der Protestbewegung, sich zu strukturieren und konkrete politische Forderungen zu formulieren. In jedem Fall will die „Liga der Wähler“, die prominente Vertreter virtueller sozialer Netzwerke im Januar gründeten, freie und faire Wahlen durchsetzen und hat auch nur dazu das Mandat der Basis. Er, sagte Putin zuletzt, sei zu Verhandlungen über politische Forderungen bereit. Leider gäbe es bisher jedoch weder konkrete Angebote noch Ansprechpartner.

Mittlerweile zweifeln sogar einige ihrer Anführer am Potenzial der Protestbewegung. Der Machtwechsel in Russland werde sich sehr langsam vollziehen, meint der Schriftsteller Boris Akunin. Die Zivilgesellschaft sei derzeit zu schwach, um Verantwortung übernehmen zu können.

Hinzu kommt, dass Putins Getreue sich von ihrer Schreckstarre berappelt haben und zum Gegenschlag ausholen. Das Meeting seiner Anhänger am Samstag läuft unter dem Motto: „Wir haben etwas zu verlieren.“ Die Behörden erwarten mindestens 30 000 Teilnehmer. In vorauseilendem Gehorsam sorgen Chefs staatlicher Einrichtungen dafür, dass der Plan übererfüllt wird.

Angestellte der staatsnahen Sberbank klagen, Verweigerern würden die Prämien gestrichen, auch von Ärzten und Lehrern sind solche Aussagen zu hören. Druck habe es nicht gegeben, hieß es dazu von offizieller Seite, lediglich Empfehlungen. Nach russischem Politikverständnis macht das in der Praxis indes kaum einen Unterschied.

Doch Russland ist nicht nur Moskau, in der Provinz erreichen Putins Propagandisten das Klassenziel offenbar auch ohne „Empfehlungen“. Auf dem flachen Lande, so jüngste Umfragen kritischer Meinungsforscher, glauben 78 Prozent an Putins Wahlsieg, über die Hälfte an faire und freie Wahlen. In Treue fest zu Putin stehen vor allem Angestellte im staatlichen Sektor und die Arbeiter in den Staatskonzernen. Die prägnanten Parolen der Mächtigen sind für das einfache Volk meistens eingängiger als die oft abgehobenen Statements der Bürgerbewegten.

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