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Politik: Russland will nach dem Krieg begangenes Unrecht gutmachen

Doch viele Antragsteller klagen trotz der Fortschritte nach wie vor über ProblemeRobert Ide Das Militärtribunal der Roten Armee machte kurzen Prozess. Im Mai 1946 verurteilten sowjetische Richter sechs Brandenburger Jugendliche zu je zehn Jahren Freiheitsentzug.

Doch viele Antragsteller klagen trotz der Fortschritte nach wie vor über ProblemeRobert Ide

Das Militärtribunal der Roten Armee machte kurzen Prozess. Im Mai 1946 verurteilten sowjetische Richter sechs Brandenburger Jugendliche zu je zehn Jahren Freiheitsentzug. Die Jungen aus Rüdersdorf und Woltersdorf wurden beschuldigt, kurz vor Kriegsende freiwillig in die Untergrundtruppe "Werwolf" eingetreten zu sein, weil sie "Diversions- und Terrorakte" gegen sowjetische Soldaten verüben wollten. Den Beteuerungen der Minderjährigen, sie seien zum Kampf im "Werwolf" gezwungen worden, wurde kein Gehör geschenkt.

Inzwischen sind die Verurteilten von Russland rehabilitiert worden. Seit 1992 versucht Moskau, nach dem Krieg begangenes Unrecht wieder gut zu machen. Der russische Militärstaatsanwalt Leonid Kopalin berichtete in Berlin auf Einladung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur über den Stand der Rehabilitierungen.

Kopalin hat mit der Aufarbeitung alle Hände voll zu tun. Seit 1992 bearbeitete seine Behörde mehr als 8000 Anträge aus Deutschland, von denen etwa 20 Prozent abgelehnt wurden. Die Deutschen wurden aus Kopalins Sicht nach dem Krieg in Kollektivhaftung für das NS-Regime genommen: "Anfänglich verhielt sich die Sowjetunion zur deutschen Bevölkerung durchgängig wie zu einem schuldigen Volk."

Allein die Militärtribunale der Besatzungsmacht haben neuesten Forschungen zufolge zwischen 1945 und 1955 mehr als 40 000 Menschen zu Zwangsarbeit, Haft oder gar zum Tode verurteilt. Nicht wenige Bestrafte fielen politischen Säuberungen zum Opfer und waren zuvor selbst Verfolgte der Nazis - allein 5000 Verurteilte waren Sozialdemokraten.

Grundlage der Aufarbeitung ist ein 1991 verabschiedetes Gesetz über die "Rehabilitierung von Opfern politischer Repression in der Russischen Föderation". Es galt zunächst nur für russische Bürger, wurde aber ein Jahr später auch auf andere Personen ausgeweitet. Seitdem kann jedermann einen Antrag auf Rehabilitierung stellen, der seit 1917 auf dem Hoheitsgebiet Russlands Opfer politischer Gewalt wurde. Das russische Innenministerium und die Moskauer Generalstaatsanwaltschaft bearbeiten die Anliegen - das Gros kommt aus Russland selbst - und stellen so genannte "Rehabilitierungsscheine" aus.

Bislang gingen allein im Innenministerium mehr als 4 Millionen Anträge ein. Darunter befanden sich allein 500 000 Begehren von Russland-Deutschen, die in der Stalin-Ära drangsaliert, verbannt und verfolgt wurden. Nach anfänglichen Schwierigkeiten erfolgt die Bearbeitung zügig und für Russland verhältnismäßig unbürokratisch. Günther Wagenlehner, der einst von sowjetischen Behörden zu 25 Jahren Haft verurteilt wurde und der Todesstrafe nur knapp entging, lobt mittlerweile das Verfahren: "Heute ist alles geregelt und durchschaubar."

Trotz der Fortschritte klagen deutsche Antragsteller nach wie vor über Probleme. Kopalin musste sich bei seiner Berlin-Visite anhören, dass seine Rehabilitierungsbescheide nicht immer von deutschen Behörden anerkannt werden, etwa bei der Anrechnung von Sozialleistungen für Betroffene. Außerdem sind viele Opfer verbittert, dass sie enteignetes Eigentum in den meisten Fällen nicht mehr wiedersehen. "Für Deutsche hat die Rehabilitierung vor allem moralische Bedeutung", stellt auch Kopalin einschränkend fest.

Die Höchstsumme für Entschädigungszahlungen aus russischen Sozialkassen beträgt derzeit 8300 Rubel (etwa 600 Mark). Anspruch darauf haben aber nur Personen, die auf russischem Territorium inhaftiert oder interniert waren.

Ehemalige Gefangene in den sowjetischen Speziallagern in Ostdeutschland können dagegen nicht mit einem materiellen Ausgleich aus Moskau rechnen. Noch nicht abschließend geklärt ist auch der Umgang mit Deutschen, die kurz vor Kriegsende zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt wurden. Nach Angaben des Berliner Innenministeriums handelt es sich dabei um etwa 218 000 Menschen, vor allem Zivilisten. Ihre Deportation geschah oft ohne Gerichtsverfahren durch den sowjetischen Geheimdienst. Gegenwärtig wird ein ausführlicher Bericht über diese Problematik für den neuen russischen Präsidenten Wladimir Putin erarbeitet.

Nach Aussage von Kopalin können die Opfer auf Kontinuität bei der Aufarbeitung setzen. Auch unter der Ägide des neuen Staatspräsidenten wolle die Kremlführung "an der bisherigen Praxis der humanen Arbeit festhalten", versicherte er.

In der Duma gibt es jedoch Widerstände gegen weitere Rehabilitierungen, besonders in den Fraktionen der Kommunisten und Nationalisten. Nach Meinung von Opfern ist die Gesetzeslage daher nicht so sicher, wie von Kopalin dargestellt. Sie bezweifelten im Anschluss an den Vortrag Kopalins optimistische Einschätzung: "Das heutige demokratische Russland orientiert auf eine Diktatur des Gesetzes."

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