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Politik: RUSSLAND

Stadionverbote und Massenunruhen beim Gastgeber der WM 2018 Von Elke Windisch aus Moskau.

Grabesstille herrschte im St. Petersburger Petrowski-Stadion, als am 10. Dezember Zenit gegen Anschi Machatschkala spielte. Auf den Rängen saß kein einziger Zuschauer. Es sei ein Albtraum gewesen, sagte Anschi-Mittelfeldspieler Kamil Agalarow nach dem 1:1. So etwas wünsche er nicht einmal seinen ärgsten Feinden.

Für die Gastgeber war es bereits das zweite Match vor leeren Fankurven. Beim Spiel gegen den Erzrivalen Dynamo Moskau am 17. November hatten Zenit-Fans einen Feuerwerkskörper in die gegnerische Hälfte des Spielfelds geworfen. Der Böller hatte Dynamo-Torwart Anton Schunin verletzt. Die Partie wurde abgebrochen. Der russische Fußballverband verdonnerte die Petersburger zu zwei Spielen und die Moskowiter zu einem ohne Fans.

Was bisher Ausnahme ist, könnte zur Regel werden. Der Duma liegt ein von der russischen Regierung eingebrachter Gesetzentwurf vor, der drakonische Strafen für die Fanaty – randalierende Fußballfans – vorsieht. Denn sie schafften in rekordverdächtigem Tempo, worum sich die Nationalelf seit mehr als zwei Jahrzehnten vergeblich abstrampelt: den Aufstieg zur Weltspitze.

Keine Hochzeit ohne Prügelei, weiß ein russisches Sprichwort. Dies gilt auch für die Spiele der Premjer Liga und die der russischen Nationalmannschaft. Sogar bei „Freundschaftsspielen“ im Ausland. Allein die Partie gegen Gastgeber Polen während der Fußball-EM 2012 endete mit 15 Verletzten und 140 Festgenommenen. Russische Fans waren nicht nur empört, weil die eigene Elf früh das Handtuch werfen musste, sondern weil Polen sich die Benutzung sowjetischer Symbolik ausdrücklich verbeten hatte. Auch das rote Trikot, auf dem in weißen Buchstaben „CCCP“ steht. Es ist noch immer viel beliebter als die russischen Landesfarben weißblaurot. Sogar bei Fans, die 1991, als Kommunismus und Sowjetmacht definitiv den Geist aufgaben, noch in den Windeln lagen.

Noch ruppiger geht es bei Spielen der Premjer Liga zu. Spielt Anschi zu Hause, kommt auf jeden der 15 000 Zuschauer – mehr Plätze hat das Dynamo-Stadion in Machatschkala nicht – ein Ordnungshüter. Spielt der Klub auswärts, ist das Polizeiaufgebot ähnlich beeindruckend. Hardcore-Fans stehen ihren Balltretern nicht nur daheim an der Kaspisee bei, sondern auch, wenn sie an der Ostsee spielen. Ohne Rücksicht auf Kosten und Kälte. Väterchen Frost trotzen sie mit Daunenjacken und Stiefeln mit besonders dicker Sohle. Denn die macht sich notfalls auch im Gesicht des Gegners gut. Vor allem, wenn es gegen Intimfeind Zenit geht. Die Petersburger liegen derzeit knapp hinter Anschi auf Tabellenplatz drei. Und deren Fanklub fordert allen Ernstes, dass für Zenit nur noch Slawen und Heterosexuelle spielen dürfen. Zwar sind Schwule auch für die Anschi-Fans keine ganzen Kerle. Doch bei Beleidigungen wie „kaukasische Schwarzärsche“ fließt Blut.

Die Trauerfeier für Jegor Swiridow, einen Fan von Spartak Moskau, der Ende 2010 bei Randalen mit Kaukasiern ums Leben kam, eskalierte sogar zu Massenunruhen. Paramilitärisch organisierte russische Nationalisten und schlagende landsmannschaftliche Vereinigungen der Kaukasier gingen auf dem Moskauer Manege-Platz, einen Steinwurf vom Kreml entfernt, mit Böllern, Pflastersteinen und Eisenstangen aufeinander los. Die Polizei brauchte Stunden, um die Lage wieder unter Kontrolle zu bringen. Immer noch gibt es, obwohl Russland 2018 Gastgeber der Fußball-WM ist, kein schlüssiges Konzept gegen Gewalt in den Arenen.

Verbote und Strafen allein, fürchten russische Fachjournalisten, nützen nichts. In nicht ganz lupenreinen Demokratien, wo ein Ventil zum Dampfablassen fehlt, würde sich angestauter Frust mangels Alternative häufig durch Zustimmung zu Fundamentalisten entladen. Oder eben durch Krawalle beim Fußball.

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