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Politik: Russlands Duma will wegen der Tschetschenien-Offensive den Wehretat erhöhen

Der Internationale Währungsfonds hatte bereits letzte Woche eindringlich gewarnt: Erhöht Moskau angesichts des Tschetschenienkrieges die abgestimmten Parameter für den Rüstungsetat, kann Russland die Hoffnung auf neue Kredite abschreiben. Doch Kommunisten wie Demokraten zeigten sich wenig beeindruckt.

Der Internationale Währungsfonds hatte bereits letzte Woche eindringlich gewarnt: Erhöht Moskau angesichts des Tschetschenienkrieges die abgestimmten Parameter für den Rüstungsetat, kann Russland die Hoffnung auf neue Kredite abschreiben. Doch Kommunisten wie Demokraten zeigten sich wenig beeindruckt. Der Haushalt 2000, über den die Duma heute in erster Lesung abstimmt, setzt trotz Nachbesserung in der Schlichtungskommission eindeutige Prioritäten: Insgesamt 27,7 Prozent der Einnahmen - nach dem Schuldendienst der mit Abstand größte Posten - verschlingen die Streitkräfte. Hiesige Medien, sofern sie noch schreiben dürfen, was sie für richtig halten, melden zu Recht Zweifel an, ob das Ergebnis den Aufwand rechtfertigt.

Nach Einschätzung der Tageszeitung "Iswestija" ist es nur noch eine Frage von wenigen Tagen, wann sich das Kriegsglück der Russen wendet. "Das Potenzial der Angriffsoperation hat sich weitgehend erschöpft", schreibt das Blatt. Dafür spricht nicht nur, dass sich die Regierungstruppen auf den Höhen am Terek-Fluss eingraben, sondern auch die Tatsache, dass die zweiwöchigen Bombardements auf die Hochburgen des Gegners im Südwesten Tschetscheniens praktisch sinnlos waren. Einziges Ergebnis der "punktgenauen Schläge" sind tote und verwundete Zivilisten.

Wie inzwischen durchgesickert ist, rangen die Spitzen von Innen- und Verteidigungsministerium auf einer Beratung in Boris Jelzins Jagdresidenz "Rus" dem kranken Staatschef am Mittwoch grundlegende Korrekturen des bisherigen Kriegssplans ab. Dessen Autor, Regierungschef Wladimir Putin, hatte sich mehrfach für Besonnenheit ausgesprochen und dies auch bei seinem Blitzbesuch an der Front wiederholt.

Derartige Rücksichten sind jedoch allein der Tageskonjunktur zu verdanken: Putin will im Vorfeld der Wahlen Verluste in den eigenen Reihen minimieren, um die Massen bei Laune zu halten. Doch mangels Loyalität bei Teilen der Armeeführung ist Jelzin offenbar inzwischen der Versuchung unterlegen, den Militärs zu willfahren, die mehrheitlich auf den totalen Krieg setzen.

Vizegeneralstabschef Walerij Manilow plädiert daher bereits öffentlich für einen neuen Marsch auf die tschetschenische Hauptstadt Grosny, wie ihn Putin und noch wenige Tage zuvor auch Manilow selbst ausdrücklich ausgeschlossen hatten. Der Stadtkommandant von Grosny, Isa Munajew, nannte daher gegenüber der Zeitung "Kommersant" bereits den wahrscheinlichen Termin für den Sturm der Russen: Ende Oktober. Nach Angaben der halbstaatlichen Nachrichtenagentur Itar-Tass sind die russischen Truppen am Donnerstag weiter auf die Provinzhauptstadt Grosny vorgerückt. Sie bezogen in rund zwölf Kilometern Entfernung von der Stadt neue Stellungen.

Beobachter geben indes zu bedenken, dass sich die militärische Großwetterlage für die Russen, die über ein Drittel Tschetscheniens in nur zehn Tagen ohne größere Widerstände eroberten, inzwischen dramatisch verschlechtert hat. Zwar hat die Westgruppe, die der als Hardliner bekannte General Schamanow kommandiert, bereits mit dem Vormarsch begonnen. Doch die meisten Dörfer im Hinterland, sogar im angeblich befreiten Norden am linken Terek-Ufer, vor allem aber die Fernverkehrsstraße Rostow Baku werden nach wie vor von den Tschetschenen kontrolliert. Und der aus dem Museum geholte Panzerzug, Baujahr 1941, mit dem die Eisenbahntruppen die teilweise zerstörten Gleise wiederherstellen sollen, wird von Panzern und schwerer Artillerie eskortiert, um sich im Dunkeln ins loyale Nordossetien zurückzuziehen.

Dort hat bis auf weiteres auch der von Moskau ernannte Generalgouverneur für Tschetschenien, Nikolaj Koschman, seine Zelte aufgeschlagen. Aus gutem Grund: Die vom russischen Fernsehen in Umlauf gebrachte Mär, wonach die Bevölkerung ihre "Befreier" mit Blumen empfängt, ist mit Vorsicht zu genießen. Mangels Masse mussten einschlägige Statements vor dem Hintergrund eines halb zerstörten Dorfes gedreht werden, das offenbar sogar die Hunde längst abgeschrieben haben.

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