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Peter Müller

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Saar-Ministerpräsident Peter Müller: "Wir müssen wieder mehr Heimat bieten"

Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller spricht mit dem Tagesspiegel über "CDU pur", den Steinzeitsozialismus der Linken und Spiele mit dem Feuer in Hessen. Von Mindestlöhnen für die Zeitarbeit hält er nichts.

Herr Müller, eine Frage an den Fachmann: Wie bekämpft man Oskar Lafontaine?

Bei Oskar Lafontaine muss man bloß auf die Kluft zwischen Worten und Taten hinweisen. Er verspricht jedem alles. Das ist höchst unseriös und unglaubwürdig.

Aber offenkundig wirksam!

Die Menschen im Saarland haben ein gutes Gedächtnis. Oskar Lafontaine hat in der Zeit, in der er Ministerpräsident war, das genaue Gegenteil von dem getan, was er heute propagiert. Er läuft heute Amok gegen jedeForm der Privatisierung - es war aber Oskar Lafontaine, der die Saarbergwerke verkauft hat. Er fordert einen Beschäftigtenanteil des öffentlichen Dienstes von 25 Prozent wie in Dänemark - unter seiner Regierung aber sind im Saarland tausend Lehrerstellen und 600 Stellen bei der Polizei abgebaut worden. Oskar Lafontaine ist jemand, auf den kein Verlass ist. Er tut nicht, was er sagt. Sein Abgang als Finanzminister war würde- und verantwortungslos.

Der Populist Lafontaine hat nicht Erfolg wegen eines stimmigen Programms, sondern weil er Stimmungen bedient.

Das kann nicht heißen, dass man auf vernünftige Argumente verzichtet. Ein Wettlauf um die Frage: Wer kann durch das höchste Maß an Unseriosität das höchste Maß an Emotion erzeugen - das ist nicht sinnvoll. Wir setzen auf die Vernunft und die Emotion der Menschen, die wollen, dass das Saarland in Deutschland gut angesehen ist und dass man erhobenen Hauptes in der Republik auftreten kann. Wir haben das Land vorangebracht und werben für Fortsetzung dieses Weges.

Lafontaine könnte mehr Stimmen bekommen als die SPD. Ist er Ihr Hauptgegner?

Die Landtagswahl im nächsten Jahr wird eine Richtungsentscheidung für unser Land. Und die unterschiedlichen Wege sind mit den Namen Lafontaine und Müller verknüpft. Lafontaine will zurück zu einem Steinzeitsozialismus. Das Modell ist überall auf der Welt, wo es versucht worden ist, gescheitert. Das Gegenmodell ist eine CDU, die die Fragen der sozialen Gerechtigkeit ebenso sensibel beantwortet wie die Fragen der ökonomischen Effizienz. Deshalb glaube ich schon, dass sich die Wahl auf ein Duell Müller - Lafontaine zuspitzen wird.

Muss die CDU dann stärker auf die Fragen eingehen, die die Linkspartei hochhält?

Die CDU ist immer die Partei der sozialen Gerechtigkeit gewesen. Wir sind nicht die Partei der Marktwirtschaft, wir sind die Partei der Sozialen Marktwirtschaft. Deshalb reden wir nicht nur darüber, wie man das verteilen kann, was man gar nicht hat - das tut die Linkspartei. Wir reden darüber, wie man möglichst viel erwirtschaftet, um dies dann gerecht zu verteilen. Das scheint mir allemal die sinnvollere Alternative.

Müssen Sie nicht fürchten, ähnlich wie die SPD in eine Defensivposition zu geraten, in der Sie dauernd erklären müssen, warum bestimmte Dinge unbezahlbar sind?

Ich habe deshalb keine Sorge, weil wir im Unterschied zur SPD einen klaren inneren Kompass haben. Die Sozialdemokraten sind orientierungs- und heimatlos geworden. Kein Mensch weiß, wofür sie stehen, kein Mensch weiß, wohin sie gehen wollen. Unsere Position ist klar: Im Zentrum steht der Satz: Sozial ist, was Arbeit schafft. Im Vergleich zu der Zeit, als Oskar Lafontaine hier aus der Regierungsverantwortung ausgeschieden ist, ist die Arbeitslosigkeit bei uns um ein Drittel reduziert worden - auf dieser Basis debattieren wir über soziale Gerechtigkeit.

Hilft Ihnen dabei die Lage in Hessen?

Hessen ist ein Beispiel dafür, dass es gefährlich ist, mit dem Feuer zu spielen. Jeder, der bei einer Landtagswahl eine Stimme für eine Partei des linken Lagers abgibt - egal ob Linkspartei, SPD oder Grüne -, muss wissen, dass er damit den Weg frei macht für diejenigen, die immer noch an den Sozialismus glauben.

Ihre Landtagswahl wird ins direkte Vorfeld der Bundestagswahl fallen ...

Der genaue Termin steht noch nicht fest. Wir wollen die endgültige Festlegung des Bundestagswahltermins abwarten, bevor wir unsere Entscheidung treffen.

Aber ob kurz vor den Sommerferien oder kurz danach - findet an der Saar 2009 ein Probelauf für das ganze Land statt?

Wir vertreten bewusst die Position: Landtagswahl und Bundestagswahl müssen voneinander getrennt werden. Denn wir glauben, dass die Wähler bei der Bundestagswahl über Dinge entscheiden, die sich von denen bei einer Landtagswahl unterscheiden. Trotzdem ist klar, bei dieser Landtagswahl heißt die Alternative: Altsozialistisches Konzept gegen eine Politik, die den Realitäten Rechnung trägt und sich nicht in Illusionen flüchtet. Ähnliches wird bei der Bundestagswahl zur Entscheidung stehen.

Die Linkspartei ist bei der Bundestagswahl ein ähnlich ernsthafter Gegner für die Union wie in Saarbrücken?

Die Linkspartei ist ein Wettbewerber auch dort. Ich sehe auch gar nicht ein, dass wir als CDU das Bemühen aufgeben sollten, Wähler der Linkspartei für uns zu gewinnen. Die Wünsche, die Hoffnungen, die viele Wähler der Linkspartei haben, sind ja Wünsche, die wir sehr viel eher mit realistischen Konzepten befriedigen können als die Linkspartei. Deshalb sind für mich die handelnden Personen in der Linkspartei nicht koalitionsfähig - ihre Wähler aber nicht verloren.

Wie wollen Sie die denn gewinnen?

Ich kenne sehr viele Leute, die sagen: Wir denken darüber nach, Linkspartei zu wählen, weil wir damit den etablierten Parteien eins auswischen können. Die glauben gar nicht daran, dass die Linkspartei tragfähige Konzepte hat. Da artikuliert sich ein Stück Verunsicherung der Menschen aus Sorge um die Sicherheit im Alter, um die Sicherheit des Arbeitsplatzes. Darin steckt auch ein Stück Enttäuschung über die große Koalition. Wenn wir diesen Menschen aber dokumentieren, dass nur mit unseren Konzepten Arbeit gesichert, demografische Stabilität erreicht werden kann und die sozialen Sicherungssysteme stabilisiert werden, dann können wir für diese Leute wieder ein attraktives Angebot werden.

Enttäuschung über die große Koalition - Sie haben Angela Merkel zu mehr "CDU pur" geraten. Was heißt das eigentlich?

CDU pur heißt beispielsweise: Leistungsgerechtigkeit geht vor Verteilungsgerechtigkeit. Wir haben in den letzten Monaten sehr intensiv über gerechte Verteilung geredet. Das ist ja auch nicht falsch. Wir haben aber viel zu wenig darüber geredet, wie wir dafür sorgen wollen, dass Leistungsträger dieser Gesellschaft ein Stück zusätzliche Anerkennung ihrer Leistung, ein Stück Entlastung angesichts wachsender Kosten erhalten. Da wäre zum Beispiel die Rückkehr zur alten Pendlerpauschale ein richtiges Signal. Wir müssen auch weiter auf Senkung der Sozialversicherungsbeiträge dringen. Wir müssen uns stärker um die kümmern, die mit ihrer Hände Arbeit das erwirtschaften, was wir brauchen, um denen zu helfen, die sich selbst möglicherweise nicht helfen können.

Klingt als Theorie plausibel. Aber sobald es konkret wird, geht in der CDU der Flügelstreit los.

Die CDU ist eine Volkspartei. Dazu gehört eine Bandbreite an Positionen. Die Haltung des Wirtschaftsrats und die Haltung der CDA sind natürlich nicht zwingend deckungsgleich. Aber es ist der Union immer gelungen, aus dieser Spannung heraus gemeinsame politische Konzepte zu entwickeln.

Gelingt ihr das denn wirklich noch?

Ich bin sicher, dass uns das auch in Zukunft gelingen wird. Der nächste Praxistest wird das Bundestagswahlprogramm sein. Und ich sage Ihnen voraus: Das wird mit riesengroßer Mehrheit einvernehmlich beschlossen.

Kommen nicht die Praxistests viel früher? Zum Beispiel beim Mindestlohn?

Auch da sehe ich im Grundsatz in der Union eine vernünftige gemeinsame Linie. Wir sind gegen einheitliche gesetzliche Mindestlöhne. Das ist vernünftig, weil solche Einheitslöhne entweder wirkungslos sind oder Arbeitsplätze vernichten. Und wir sagen:Wir können uns einzelne Mindestlöhne dort vorstellen, wo die Tarifautonomie vorrangig gesichert bleibt, wo die Mindestlöhne produktivitätsorientiert festgesetzt werden und wo branchenbezogen vorher geklärt wird, ob es eine überwiegende Tarifbindung gibt. Das ist ein pragmatisches Konzept, hinter dem sich alle in der Union versammeln können, vom Vorsitzenden des Wirtschaftsrats bis zum CDA-Vorsitzenden.

Ganz konkret: Mindestlöhne für die Zeitarbeit - ja oder nein?

Ich sehe keine Notwendigkeit. Die Zeitarbeit ist nahezu vollständig in Tarifverträgen geregelt. Wenn wir noch einen Rest von Respekt vor Tarifautonomie haben, sehe ich nicht, warum wir in dieser Branche in die Tarifhoheit eingreifen sollen.

Noch mal zum "CDU pur". Was stört Sie eigentlich daran, dass die Kanzlerin die Erfolge ihrer Regierung verteidigt?

Nichts. Überhaupt nichts. Die Erfolge wären aber noch größer, wenn wir CDU pur umsetzen könnten. Es geht da nicht nur um Themen aus dem Bereich Wirtschaft. Ich nenne mal als Stichwort die Spätabtreibungen. Das ist etwas, was mit Identität der CDU zu tun hat. Da ist in dieser großen Koalition der Spielraum minimal. Um so wichtiger ist es, das Bewusstsein dafür zu schaffen, dass wir, wenn wir könnten, weiter gehen würden. Wir alle beklagen, dass immer weniger Menschen in den Parteien eine Heimat findet. Aber wir müssen eine solche geistige und emotionale Heimat dann auch bieten können.

Ist das Aufgabe der Kanzlerin?

Die Kanzlerin ist Regierungschefin und muss dieser Rolle gerecht werden. Sie muss Positionen der Koalition vertreten, Moderationsaufgaben wahrnehmen und die Koalition zusammenhalten. Das macht sie großartig.

Aber die Parteivorsitzende ...?

Ich glaube nicht, dass wir eine schizophrene Trennung vornehmen können nach dem Motto: Heute redet Angela Merkel als Kanzlerin, morgen redet sie als Parteivorsitzende. So was geht nur in sehr begrenztem Umfang. Deshalb muss es eine Rollenverteilung innerhalb der CDU geben.

Wer soll denn dann für CDU pur sorgen?

Denkbarerweise die Ministerpräsidenten, aber natürlich auch der Fraktionsvorsitzende und der Generalsekretär.

"CDU pur" in Ihrem Verständnis heißt ja auch: Lieber die große Koalition vorzeitig beenden als ein Jahr Tatenlosigkeit.

Es wird sich nach der Sommerpause zeigen, ob die große Koalition noch handlungsfähig ist. Auf dem Tisch liegen eine Reihe von Vorhaben: Erbschaftsteuer, Föderalismusreform II, Mindestlöhne, Umsetzung der Gesundheitsreform. Wenn die Koalition die Kraft hat, das noch zu tun, dann hat sie eine Berechtigung. Wenn nicht, hat sie keine mehr. Ob insbesondere der Koalitionspartner in seinem derzeitigen desolaten Zustand diese Kraft hat - na ja. Da zerlegt sich ja regelrecht eine Volkspartei!

Aber auch in der CDU sagen viele: Große Koalition - das reicht, nie wieder!

Formulierungen wie "Nie wieder" oder "Auf immer und ewig" sind mir in der Politik grundsätzlich suspekt. Ob es zu einer großen Koalition noch einmal kommt, ist von vielen Bedingungen abhängig. Schon beim Blick auf die möglichen Alternativen kann eine große Koalition das kleinere Übel sein. Aber auch die Frage nach gemeinsamen Vorhaben und handelnden Personen kann entscheidend sein. Ohne ein ausreichendes Maß an gegenseitigem Vertrauen ist keine Koalition zu machen, weder eine große noch irgendeine andere. Allerdings hat eine große Koalition zur Voraussetzung auch die Existenz zweier großer Parteien. Da habe ich so meine Zweifel, ob wir davon in Zukunft noch ausgehen können.

Vor all diesen Fragen könnten Sie nach der Landtagswahl stehen, wenn es heißt: große Koalition oder Linksbündnis.

Wir reden vor der Wahl nicht über Koalitionen, sondern darüber, was das Beste für das Land wäre. Das Beste für das Saarland ist eine absolute Mehrheit für die CDU.

Sie sind mir ja ein fröhlicher Optimist!

Aber selbstverständlich!

Das Gespräch führte Robert Birnbaum.

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