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© dpa

Sacharow-Preis: Russlands bedrohte Wächter

Sie war längst überfällig: Die Vergabe des Sacharow-Preises an die russische Bürgerrechtsbewegung Memorial. Denn der Namensgeber der höchsten Auszeichnung, die das Europäische Parlament für den Schutz von Menschenrechten zu vergeben hat, ist einer der Gründer von Memorial: Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow.

Die Idee zu dem Preis war Sacharow, in jungen Jahren einer der Väter der sowjetischen Atombombe, später jedoch einer der unerbittlichsten Kritiker von Sowjetmacht und Kommunismus, schon in der Verbannung an der Wolga gekommen. Kaum, dass Michail Gorbatschow ihn 1988 nach Moskau zurückkehren ließ, gingen er und andere prominente Dissidenten ans Werk: Ludmila Alexejewa, die Chefin der Moskauer Helsinki-Gruppe oder Oleg Orlow, der heute den Vorsitz innehat. Beide werden den Preis im Dezember entgegennehmen.

Memorial war die erste nichtstaatliche Organisation der Sowjetunion überhaupt. Unter Sacharows Führung sah sie ihre wichtigste Aufgabe zunächst in der objektiven Aufarbeitung der Geschichte – vor allem des Terrors in der Stalin-Ära – und der Rehabilitierung der Opfer. Für sie wurde auf Betreiben von Memorial im Oktober 1990 vor der KGB-Zentrale auf dem Moskauer Lubjanka-Platz auch ein Gedenkstein enthüllt, der von den Soloewzki-Inseln im Eismeer stammt. Dort hatten die Bolschewiki schon 1920 das erste Lager errichtet.

Heute kümmert Memorial sich vor allem um Menschenrechtsverletzungen und Demokratiedefizite im postkommunistischen Russland. Auch in Tschetschenien sind die Menschenrechtler aktiv. Memorial, das sich wie kaum eine andere Organisation in Russland schon für die Rehabilitierung der 1944 von Stalin kollektiv deportieren Tschetschenen einsetzte, begleitete auch Moskaus zehnjährige Strafexpedition gegen die Rebellen im Kaukasus mit vernichtender Kritik und prangerte Kriegsverbrechen russischer Soldaten ebenso unparteiisch an wie die der Separatisten. Dazu recherchierten Mitarbeiter – fast ausschließlich ehrenamtlich – unter Lebensgefahr auf beiden Seiten der Front. Unter ihnen war auch die im Juli ermordete Natalja Estemirowa. Der Sacharow-Preis sei daher auch „ein wichtiges Zeichen der Solidarität“ mit russischen Menschenrechtlern, deren Situation „immer bedrohlicher“ werde, sagte der Russlandexperte der deutschen Sektion von Amnesty International, Peter Franck.

In der Tat: Nicht Ramsan Kadyrow, Moskaus Statthalter in Tschetschenien, in dessen Umfeld Memorial die Mörder Estemirowas vermutet, musste sich vor Gericht verantworten, sondern Memorial-Chef Orlow. Er wurde wegen Verleumdung und Beleidigung Kadyrows zu einer Geldstrafe verurteilt. Auch er wurde bereits tätlich angegriffen.

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