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Im April brannte der Dachstuhl einer zukünftigen Unterkunft für Asylbewerber in Tröglitz aus.

© Hendrik Schmidt/dpa

Sachsen-Anhalt: Fast doppelt so viele rechte Gewalttaten

Zwei Drittel der Angriffe waren rassistisch motiviert, sagt die Beratungsstelle und kritisiert das unzureichende Verhalten der Polizei. Ähnliche Entwicklungen gibt es in anderen Bundesländern

Von Frank Jansen

In Sachsen-Anhalt haben rassistische und andere rechte Angriffe im vergangenen Jahr drastisch zugenommen. Die im ganzen Land aktive „Mobile Beratung für Opfer rechter Gewalt“ meldet für 2015 insgesamt 217 Delikten mit 316 „direkt Betroffenen“. Die Zahl der Taten ist damit fast doppelt so hoch wie 2014. Damals wurden 120 Attacken registriert. Die aktuelle Zahl wird wahrscheinlich auch noch steigen, da die Beratungsstelle erfahrungsgemäß von manchen Vorfällen erst später erfährt. Die Mobile Beratung gehört zu dem in Magdeburg ansässigen Verein „Miteinander“ und wird vom Land Sachsen-Anhalt sowie dem Bundesfamilienministerium gefördert.

„Wir haben seit Beginn des unabhängigen Monitorings im Jahr 2003 noch nie so viele Fälle rechter und rassistischer Gewalt registriert wie im vergangenen Jahr“, sagte eine Sprecherin der Beratungsstelle. Zwei Drittel der 217 Angriffe seien rassistisch motiviert gewesen. In der Gesamtzahl sind mehr als 170 Körperverletzungen sowie zehn Brandstiftungen enthalten. Zumindest ein Fall erregte Empörung über Sachsen-Anhalt hinaus. In Tröglitz brannte am 4. April 2015 ein Wohnhaus, in dem Flüchtlinge untergebracht werden sollten. Zuvor hatte der Bürgermeister des Ortes seinen Posten aufgegeben, nachdem Rechtsextremisten vor seinem Privathaus demonstrieren wollten.

 71 Angriffe auf Flüchtlingsheime

Die Mobile Opferberatung erwähnt zudem den Brandanschlag auf ein von Migranten bewohntes Gebäude in Merseburg am 14. August. Die Bewohner hätten sich wegen der starken Rauchgasentwicklung auf ein Vordach flüchten müssen. Die Sprecherin beklagte eine „sich rasant ausbreitende rassistische Gewalt“ und „rechte Dominanz im Alltag“. Flüchtlinge würden auch beim Einkaufen im Supermarkt, bei der Fahrt in der Straßenbahn oder auf offener Straße angegriffen.

Aus Sicht der Beratungsstelle reagiert die Polizei nur unzureichend. Obwohl den Behörden mindestens 157 Angriffe bekannt seien, habe das Landeskriminalamt bislang lediglich etwas mehr als die Hälfte als rechts motiviert eingestuft. „Wir sehen ein erschreckendes Wahrnehmungsdefizit der Strafverfolgungsbehörden bei der Anerkennung von rechten Tatmotiven“, sagte die Sprecherin. Das Innenministerium widersprach. „Auch wir sehen einen deutlichen Anstieg rechter Gewalttaten“, sagte ein Sprecher in Magdeburg. Die endgültige Bilanz für 2015 liege aber noch nicht vor, werde jedoch noch im März veröffentlicht. Eine drastische Zahl nannte der Sprecher allerdings schon vorab. Im vergangenen Jahr habe die Polizei 71 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte registriert. 2014 waren es nur acht, im Jahr davor zwei.

Ähnliche Entwicklungen in anderen Bundesländern

Auch in anderen Bundesländern stieg die Zahl rechter Gewaltdelikte stark an. Der Verein Lobbi, der sich um Opfer rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern kümmert, sprach am Dienstag von 130 Gewalttaten im Jahr 2015. 220 Menschen seien dort betroffen gewesen. Die Zahl der Angriffe sei so hoch „wie noch nie in der 15-jährigen Vereinsgeschichte“. Mehr als jede zweite Tat sei rassistisch motiviert gewesen. Der Verein meldete zudem eine „rassistische Mobilisierung bisher nicht gekannten Ausmaßes“. Rechte hätten mehr als 150 Aufmärsche und Kundgebungen gegen Flüchtlinge veranstaltet, „mitunter direkt vor oder in der Nähe geplanter oder bereits bezogener Unterkünfte“. Sachsen verzeichnete einen Anstieg rechtsmotivierter und rassistischer Angriffe um 86 Prozent. In Berlin stieg die Zahl der Angriffe, wie die „Koordinierungsstelle Berliner Register" am Dienstag meldete, von 179 auf 320, also um knapp 80 Prozent.

Schon aus den vorläufigen Zahlen der Bundesregierung für 2015 lässt sich schließen, dass rassistische und weitere rechte Gewalttaten stark gestiegen sind. Von Januar bis Dezember 2015 stellte die Polizei deutschlandweit 921 einschlägige Delikte fest. Das ist fast doppelt soviel, wie die Regierung nach vorläufigen Erkenntnissen im Jahr 2014 gemeldet hatte. Die Angaben waren den Antworten auf monatliche Anfragen von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau und ihrer Linksfraktion zu entnehmen.

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