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Halberstadt

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Sachsen-Anhalt: Halberstadt: Hort für rechte Schläger

Die Attacke auf Mitglieder einer Schauspielgruppe in Halberstadt wirft erneut einen braunen Schatten auf Sachsen-Anhalt - die Liste rechtsextremer Übergriffe in dem Bundesland ist lang. Nun räumte der Innenminister ein, es gebe Defizite bei der politischen Bildung der Polizei.

Bei rechtsextremistischen Straftaten kommt Sachsen-Anhalt ebenso wenig aus den Schlagzeilen wie bei den Ermittlungen dazu. Jüngstes Beispiel ist der Überfall von Neonazis auf eine Schauspielergruppe in Halberstadt. Kurz nach der brutalen Tat hatten Polizeibeamte den Hauptverdächtigen gestellt, ihn nach Überprüfung der Personalien aber wieder laufen lassen. Dabei war der 22-Jährige erst vor einem Jahr zu einer Jugendstrafe mit Bewährung wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft räumte ein, die Polizei hätte den Verdächtigen beim Abgleich mit ihren Informationssystemen sofort erkennen können.

Zuletzt war Halberstadt im Frühjahr 2006 bundesweit in die Schlagzeilen geraten, nachdem dort ein Konzert des Liedermachers Konstantin Wecker nicht stattfinden konnte. Der Landrat hatte seine Genehmigung für eine Schule als Veranstaltungsort nach Drohungen der rechtsextremen NPD zurückgezogen.

Angriff auf Schwarzafrikaner normales Alkoholdelikt?

Am Himmelfahrtstag 2005 waren in Halberstadt ein Schwarzafrikaner und ein ihm zu Hilfe eilender BGS-Beamter von angetrunkenen Rechtsradikalen attackiert worden. Bei der Urteilsbegründung im anschließenden Prozess sprach der Richter von einem normalen Alkoholdelikt.

Im Mai dieses Jahres sah sich die Dessauer Polizei mit Vorwürfen konfrontiert. Der Vizechef der Polizeidirektion Dessau, Hans-Christoph Glombitza, soll versucht haben, die Bekämpfung rechtsextremer Straftaten zu bremsen. Einem Medienbericht zufolge hatte er drei Staatsschützern der Direktion im Februar bei einer Besprechung nahe gelegt, dass man diesbezüglich "nicht alles sehen müsse", weil sonst das Ansehen des Landes Sachsen-Anhalt Schaden nehmen könne.

Hilferufe überhört

In Dessau sorgt derzeit ein weiterer Fall bundesweit für Schlagzeilen. Dort sitzen seit März zwei Polizisten wegen des Todes eines Asylbewerbers in einer Dessauer Polizeizelle auf der Anklagebank. Den 46 und 44 Jahre alten Männern wird Körperverletzung mit Todesfolge und fahrlässige Tötung vorgeworfen.

Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft wiegen schwer: Bei einem rechtzeitigen Eingreifen der Beamten hätte das Leben des 23-Jährigen aus Sierra Leone, der am 7. Januar 2005 in der Zelle verbrannte, gerettet werden können. Die Beamten sollen die Hilferufe des an Händen und Füßen gefesselten Afrikaners überhört und das Signal des Rauchmelders ignoriert haben, heißt es in der Anklageschrift. Frühestens im Oktober könnte in diesem international beachteten Prozess ein Urteil fallen.

Bewährungsstrafen für Buchverbrenner

Vor einem Jahr hatte die Verbrennung des "Tagebuches der Anne Frank" in Pretzien bundesweit für Empörung gesorgt und die Debatte über neonazistische Aktivitäten neu entfacht. Am 24. Juni 2006 waren bei einer "Sonnenwendfeier" in dem 1000-Einwohner-Ort eine Ausgabe des Tagebuchs und eine amerikanische Flagge verbrannt worden. Das Gericht verhängte inzwischen gegen die Täter wegen Volksverhetzung und der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener mehrmonatige Haftstrafen auf Bewährung. Dagegen legten die Männer Berufung ein.

Auch in diesem Fall hatte es zu Beginn der Ermittlungen Verzögerungen gegeben, wie Magdeburgs Polizeipräsidentin Monika Liebau-Foß damals einräumen musste. Beamte, die in den Ort gefahren waren, hatten keine Reste der Verbrennung gefunden. Einer der Beamten kannte offenbar das "Tagebuch der Anne Frank" nicht. Der andere Polizist meldete zwar den Vorfall dem Lagezentrum. Der Polizist dort kannte das Buch ebenfalls nicht und vermerkte eine Ruhestörung. Erst drei Tage später gab es eine Anzeige, und die Polizei begann zu ermitteln.

Innenminister: Defizite bei politischer Bildung

Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann (SPD) räumte inzwischen Defizite bei der politischen Bildung der Polizeibeamten ein. Der Umgang mit Extremismus werde erst seit 2006 als eigenes Fach an der Fachhochschule der Polizei gelehrt, sagte Hövelmann. Es sei nicht zu erwarten, dass sich der Ausbildungsstand von heute auf morgen bessere. Dies sei ein dauerhafter Prozess. (Mit dpa, ddp)

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