zum Hauptinhalt
Um ihn geht es: Stanislaw Tillich. Der Name steht gar nicht auf dem Plakat

© Reuters

Sachsen wählt einen neuen Landtag: Tillich und die Seinen

Heute wählt Sachsen. Nach Umfragen kann die CDU nicht allein regieren. Ministerpräsident Stanislaw Tillich braucht einen Koalitionspartner. Doch welche Partei wird es sein? SPD? Grüne? AfD?

Stanislaw Tillich und Angela Merkel – sie können ganz gut miteinander. Den 55-jährigen Sorben und die 60-jährige Brandenburgerin verbindet ein bisschen mehr als nur die Partei. Auch Tillich gehört zu den eher Vorsichtigen und Abwartenden, beide haben, er Ingenieur für Getriebetechnik, sie kommt aus der physikalischen Chemie, ein recht sachliches Verhältnis zum Politikbetrieb. Tillich ist keineswegs „Muttis Liebling“, er hält schon Distanz, aber er ist verlässlich und loyal. Und so hat die Kanzlerin im Wahlkampf ein bisschen mehr geholfen, als es bei der aktuellen Weltlage vielleicht passend war. Immerhin vier Marktplatztermine hatte sie sich Ende August in den Kalender notiert: Grimma, Bautzen, Dresden, Annaberg-Buchholz. Tillich freute sich über die prominente Unterstützung - die er möglicherweise dringender brauchte als man vor Monaten gedacht hat, als der Wahlkampf geplant wurde.

 Eine runde Karriere

Seit 2008 ist Tillich Ministerpräsident in Sachsen, davor war er Finanzminister, Umweltminister, Staatskanzleichef, Minister für Bundesrat und Europa, Abgeordneter im Europaparlament (und stellvertretender Vorsitzender des Rats des Kreises Kamenz, für eine kurze Weile vor der Wende, es gehört auch zur politischen Biographie). Es ist eine ziemlich runde Karriere. Die Krönung sollte wohl die eigene Mehrheit der CDU bei der Landtagswahl am 31. August sein. So wie einst unter Kurt Biedenkopf. Kein Koalitionspartner mehr, keine lästige FDP, keine unangenehme SPD, keine zudringlichen Grünen. Nur Tillich und die Seinen.

Tillich und Merkel.
Tillich und Merkel.

© dpa

Doch nach den Umfragen braucht die CDU wieder einen Koalitionspartner. Sie ist im jüngsten Politbarometer auf 40,5 Prozent gekommen, das ist unter den Erwartungen. Und eigentlich wenig für eine Partei, deren nächstbeste Konkurrentin nur halb so viele Prozentpunkte bekommt. 40,2 Prozent waren es bei der Wahl 2009 für die Union, das schwächste Ergebnis seit 1990. Tillich selbst hat 42, 43 Prozent als Ziel für den Wahlsonntag ausgegeben. Er wollte das mit einem Wahlkampf in den Sommerferien erreichen, themenfrei, kantenlos, unaufgeregt, ein klassischer Weiter-So-Wahlkampf, der allein auf seine hohe Popularität und die gute Stimmung im Wahlvolk setzt, mit einer ausgedehnten Landesbereisung im schicken schwarzen Bus („Tourismus-Wahlkampf“ ulkte der SPD-Spitzenkandidat Martin Dulig).

 Die AfD nimmt Stimmen weg

AfD-Spitzenkandidatin Frauke Petry.
AfD-Spitzenkandidatin Frauke Petry.

© dpa

Und nun muss Tillich damit rechnen, dass es nicht so kommt wie gewünscht. Ein Grund ist die Alternative für Deutschland. Sie schafft es nach den Umfragen in den Landtag, sieben Prozent standen da zuletzt. Weil sie auch bei CDU-Wählern Stimmen hamstert (und offenbar weniger bei der NPD, die jetzt wieder auf fünf Prozent taxiert wird und möglicherweise zum dritten Mal in den Landtag einrückt). Die AfD-Spitzenkandidatin Frauke Petry hat sich einige Parolen einfallen lassen für den Wahlkampfendspurt, die Schlagzeilen machen, zuletzt die „Drei-Kind-Familie“. Die AfD-Slogans kopieren mal linke Wahlkampfslogans („Rettungsschirme für Schulen statt Banken“), mal klingen sie plump populistisch („GEZ abschaffen“) oder auch deutschnational. Das Wahlkampfvolk war mit angemieteten Trabis unterwegs, mit dem Parteilogo drauf. Trabis stehen für Ostalgie. AfD-Plakate hängen überall. „Woher haben die bloß das Geld“, fragen sie in der CDU, in der SPD, bei den Linken. Die neue Konkurrenz ist ihnen nicht geheuer, weil die AfD ihre Stimmen zusammenkratzt, wo es nur geht. Petry glaubt, dass ihre Partei sogar zweistellig abschneiden kann. Die anderen fürchten es. Lange ließ Tillich offen, wie er mit der AfD umgehen wolle. Erst am Ende des Wahlkampfes lehnte er eine Kooperation, ab wie vom Bundesvorstand beschlossen.

 Fehler in der Schulpolitik

Doch das relative Schwächeln der CDU hat noch einen Grund. Und da trägt Tillich die Verantwortung. Im März 2012 knallte es zwischen ihm und seinem Kultusminister Roland Wöller. Der wollte mehr Geld für neue Lehrer, bekam es nicht, zapfte daher den Haushaltstitel für Sport und Vereine an, der zu seinem Ressort gehörte. Und kritisierte Tillich öffentlich. Der entzog ihm daraufhin die Zuständigkeit für den Sport, Wöller trat zurück. Die Entscheidung gegen die Lehrer fällt Tillich nun schwer auf die Füße. Nach dem Politbarometer bewegt  im Schulvergleich-Siegerland Sachsen die Schulpolitik, der Lehrermangel und der Unterrichtsausfall nicht zuletzt an Gymnasien,  die Wähler mehr als jedes andere Problem. SPD-Mann Dulig sagt, es sei pures Missmanagement der CDU. „Tillich hatte lange keinen Überblick über die Situation und die Zahlen, und dann hat die CDU angefangen zu tricksen.“ Selbst der Koalitionspartner FDP verlangte auf Wahlplakaten: Mehr Lehrer.

Sächsischer Liberalismus vor dem Aus?

Holger Zastrow.
Holger Zastrow.

© dpa

Mit den Liberalen würde Tillich am liebsten weiterregieren. Nicht weil man sich sonderlich mag im schwarz-gelben Bündnis, die Union hätte die Partnerin gern bequemer und bisweilen auch professioneller gehabt. Aber man ist einigermaßen über die Runden gekommen. Das Zurückfallen der FDP in den Umfragen auf nur noch drei fünf Prozent hat in der CDU jedoch kein Helfergefühl geweckt. Holger Zastrow musste alleine kämpfen. Der FDP-Chef tourte die letzten Tage vor der Wahl im Pulk einer FDP-Motorradgang durch Sachsen, die Liberalen Biker. Zastrow ist mit seiner schweren BMW dabei. Es ist der Männerwahlkampf einer Männerpartei. Auf den ersten 15 Listenplätzen stehen nur drei Frauen.

Bodenständig und halbtags

Zastrow hat seine Partei deutlich rechts der Mitte positioniert, er nennt das sächsischen Liberalismus. Bodenständigkeit ist ihm wichtig, aber das bietet die CDU auch, neuerdings geht sogar die Linke („weltoffen und sächsisch“) damit hausieren. Von der Bundesführung wollte er im Wahlkampf wenig wissen. Die sächsische FDP sollte sich nicht anstecken mit der Abstiegspest. Aber es nützt wohl nichts. Das liegt auch an Zastrows Fehlentscheidung von 2009, nicht ins Kabinett zu gehen, wo er neben dem Ministerpräsidenten besser wahrgenommen worden wäre. Er führte statt dessen die Fraktion, halbtags, um weiter Zeit zu haben für seine Werbeagentur mit 15 Angestellten. Es war das Signal eines Mittelständlers. Aber es kam nicht an. Im Kabinett saßen zwei eher stille Freidemokraten. 

Die Grünen wollen regieren - kommt Schwarz-Grün?

Volkmar Zschocke und Antje Hermenau.
Volkmar Zschocke und Antje Hermenau.

© dpa

Angesichts des Abschmierens der FDP zeigte sich Tillich zuletzt offen für eine schwarz-grüne Koalition. Dann hätte er Antje Hermenau am Kabinettstisch. Sie gilt im Landtag als politische Dampfmaschine. Die resolute Leipzigerin, gerade 50 geworden, führte die Grünen 2004 nach zehn Jahren Abwesenheit zurück in den Landtag, übernahm den Fraktionsvorsitz  und damit das Kommando. Sie ist eine bekennende „Schwarzgrüne“. Die Partei hat ihr daher für den Wahlkampf den eher linken Parteichef Volkmar Zschocke in einer „Doppelspitze“ an die Seite gestellt. So sind die Grünen offiziell nach beiden Seiten offen. Hermenaus Ziel aber ist die Koalition mit der Union. Sie nennt es „mit der CDU auf Arbeit gehen“, und wer hört, wie sie das sagt, der versteht, warum CDU-Fraktionäre dann doch lieber den netten Dulig und die SPD hätten.

Für Hermenau ist Umweltpolitik Mittelstandsförderung

Hermenau ist eine Mittelstandsgrüne, Umweltpolitik ist für sie Wirtschaftspolitik. „Windparks sind gut für strukturschwache Gebiete“, sagt sie. „Bei der lausigen Ausbauquote in Sachsen ist da noch einiges zu machen.“ Da weiß sie mittlerweile auch schwarze Kommunalpolitiker hinter sich. Der Widerstand gegen Windräder bröckelt, wenn sie der Gemeinde Einnahmen bringen. Die Union dagegen setzt auf die sächsische Braunkohle. „Da aber haben wir Überproduktion“, wettert Hermenau. Und wenn Tillich auf die Arbeitsplätze verweist, die an der Braunkohle hängen, dann stellt sie dagegen, dass die Energiewende neue Arbeitsplätze schaffe.

Eine fast völlig neue Fraktion

Tillich und Hermenau könnten wohl miteinander. Beide stehen für solide Haushaltspolitik und geringe Schulden. Entscheidend wären klare Vereinbarungen zur Energiepolitik im Koalitionsvertrag. Hier müsste die CDU weit mehr entgegenkommen als bei der SPD. Noch dominieren die Unsicherheiten, auf beiden Seiten. „Wir wissen nicht, wie die neue Grünen-Fraktion tickt. Da gibt es Unwägbarkeiten“, heißt es etwa aus Tillichs Umfeld. In der Tat werden wohl nur zwei Abgeordnete der alten Grünen-Fraktion in den neuen Landtag einziehen, Hermenau selbst und die Parteilinke Eva Jähnigen. Bei den Grünen heißt es hingegen, die Fraktion werde „regierungsorientiert“ sein, eine Koalition werde an ihr nicht scheitern. 1994 gab es schon einmal einen Anlauf der Grünen Richtung Union. Er ging schief, die Partei flog aus dem Landtag. Auch an diesem Sonntag kann es knapp werden, das Politbarometer maß zuletzt 5,5 Prozent.

Duligs Wahlkampf - so gar nicht typisch SPD

Martin Dulig und Sigmar Gabriel.
Martin Dulig und Sigmar Gabriel.

© dpa

Wäre Schwarz-Rot günstiger für die CDU? Ein langjähriger Beobachter der Dresdner Szene glaubt das nicht: „Warum sollte Tillich denn Dulig in der Regierung hochpäppeln, ihm eine Plattform zur Profilierung geben, damit der ihn dann 2019 ablösen kann?“ Martin Dulig ist ein lockerer Typ. Er wirkt jünger als seine 40 Jahre, fast ein bisschen jungenhaft, manchmal auch schelmisch. Der Pfarrersohn war das Nesthäkchen, was man ihm anmerkt – die Jüngsten nehmen das Leben nicht so schwer. Sechs Kinder hat er mit seiner Frau, einer Schulkameradin.

 Küchentisch im Mittelpunkt

Dulig hatte seiner SPD (er führt Partei und Fraktion) auch einen reinen Personenwahlkampf verordnet. Kern der Inszenierung war der Küchentisch der Duligs, der seit Wochen kreuz und quer durchs Land kutschiert wurde. Man konnte sich dann bei den Wahlkampfterminen drum herum setzen, oder auch nicht, und Dulig sammelte Unterschriften auf der Tischplatte. Weil es ein Ferienwahlkampf war, hat er sich ins Auto gesetzt, ist an die Ostsee gefahren, wo viele Sachsen Urlaub machen, und hat in Ahlbeck am Strand fotogen in ein Fischbrötchen gebissen. Mit dem Komiker Ingo Appelt machte er auch einige Aktionen. In der „Süddeutschen“ stand, es sei der beste SPD-Wahlkampf seit Willy Brandts Zeiten. Da muss selbst Dulig grinsen. „Die Adelung“ nennt er es vergnügt.

 "Kein Spaßwahlkampf"

In der CDU nennen sie Dulig einen eitlen Schauspieler. Aber die Selbstdarstellung ist kühl kalkuliert. „In der Landespolitik gibt es nur einen Fixpunkt, den Ministerpräsidenten“, stellt Dulig nüchtern fest. „Also muss man mit Personalisierung dagegenhalten.“ Es muss einen Herausforderer geben, und wenn der aus einer Partei kommt, die bei der letzten Wahl nur gut zehn Prozent bekam und nur die dritte Kraft im Landtag ist, dann muss man eben ein bisschen mehr auf den Putz hauen. Gerhard Schröder hat verstanden, dass da einer am Zaun rüttelt, und Dulig mit einigen Auftritten in Sachsen unterstützt. Zuletzt noch am Freitag in Dresden. Die Frage, ob das alles nicht ein bisschen bei der FDP abgekupfert sei, wehrt der SPD-Spitzenkandidat ab. „Ein lockerer Wahlkampf ist kein Spaßwahlkampf“, sagt er, „es gibt ja kein Projekt 18 oder ähnliches.“

 Möglichst nah an die Linke ran

Gibt es aber doch, gewissermaßen. Dulig hat zwar offiziell keine Marke gesetzt, die er erreichen will, aber die SPD muss deutlich besser werden als bei der letzten Wahl. Da waren es nur 10,4 Prozent. Möglichst nah an die Linke soll sie jetzt ran, damit man später leichter überholen kann. Die Umfragen deuten auf 15 Prozent für die Sozialdemokraten, aber 19 Prozent für die Linke. Doch Dulig hat vor allem 2019 im Blick. Dann will er Ministerpräsident in einer rot-rot-grünen Koalition werden. Für die kommende Wahlperiode lässt er alles offen. Schwarz-Rot ist nur dann ein Muss, wenn es für Schwarz-Grün nicht reicht. Kommt es zu einer Koalition mit der CDU, wird Dulig ins Kabinett gehen. Kommt es nicht dazu, wird er als Fraktionschef den Oppositionsführer geben. Dass er das streng genommen gar nicht ist und auch nach dem Wahlsonntag vermutlich nicht sein wird, kümmert Dulig wenig.

Die Linkspartei muss warten

Rico Gebhardt.
Rico Gebhardt.

© dpa

Der eigentliche Oppositionsführer heißt Rico Gebhardt und führt die Linksfraktion im Landtag. Die politischen Aussichten seiner Partei in Sachsen sind traditionell nicht so gut, noch nie regiert, noch nie toleriert, der sächsische Landesverband ist das Aschenbrödel der Linkspartei. So wird es wohl vorerst bleiben. Für den Fall, dass am Ende Rot-Rot-Grün doch knapp vor der CDU liegt (wobei dann neben der FDP auch die AfD und die NPD scheitern müssten), für diesen Fall hat sich Gebhardt zwar mal aufschreiben lassen, was man bei Sondierungen so zu beachten habe. Aber der 51-Jährige, von Beruf Koch, dann Fischgroßhändler, später Landesgeschäftsführer seiner Partei, blaue, muntere Augen, rechnet nicht ernsthaft damit. „Im Fall des Falles“, meint er, „werden SPD oder Grüne schon Gründe finden, die Koalition jetzt nicht zu wollen“. Und fügt hinzu: „Es gibt ja auch noch einige Differenzen, manche reichen bis 1989 zurück.“ In der SPD, vor allem in Leipzig, gibt es bis heute Widerstände gegen jede Kooperation mit den SED-Nachfolgern. Auch die Grünen mit ihrer Bündnis-90-Vergangenheit stören sich an ideologischen Relikten und vergangenheitsseligen Verhaltensmustern nach der Wende. Und wenn Gebhardt sagt, die Programme von SPD, Linken und Grünen überschnitten sich zu 80 Prozent, dann beschreibt er nicht nur die Chance, sondern auch ein Problem. Die Schnittmenge ist eben sehr groß. Rot-Rot-Grün würde im Profilierungsstreit enden, wenn die Sache nicht gründlich vorbereitet ist.

 Rot-Rot-Grün ist nicht vorbereitet

Bundestags-Fraktionschef Gregor Gysi sagt über Gebhardt, der sei lange Zeit auch in der eigenen Partei unterschätzt worden – "weil er in seinem Auftreten nicht so den klassischen politischen Alphatieren entspricht". Diese Sicht teilen sie bei Grünen und der SPD in Sachsen. Doch mit seiner "Abwesenheit jeglicher Eitelkeit", sagt Gysi, sei er ein idealer Brückenbauer zu anderen Parteien. Aber da muss Gebhardt warten. Denn vorbereitet ist Rot-Rot-Grün in Sachsen noch nicht. Linke, SPD und Grüne im Dresdner Landtag haben die Wahl 2019 im Blick. Bis dahin sind sie Konkurrenten. Dulig will seine SPD dann vor der Linken platzieren, Hermenau ihren Grünen Regierungserfahrung verschaffen, um als kleinster Partner trumpfen zu können, und Gebhardt muss schauen, dass seine Linke nicht abrutscht. Weshalb er sie Richtung Mitte bewegt, mit mehr Wirtschaftsfreundlichkeit, offen für Anliegen des Mittelstands. „Vor einigen Jahren hätten wir noch nicht den Slogan „Leistungswille und Solidarität“ auf ein Plakat geschrieben“, sagt er. Das könnte von der CDU stammen – tut es sogar, die Floskel steht in deren Grundsatzprogramm von 2007, auf Seite 48, so definiert die Union ihre Soziale Marktwirtschaft.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false