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Martin Dulig - hier an der Elbe bei Bad Schandau - ist SPD-Landeschef, Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident in Sachsen.

© Britta Pedersen/dpa

Sachsens SPD-Chef Dulig zu Heidenau: "Pegida ist die Stimmung, die entstanden ist"

Die CDU in Sachsen müsse sich klar von der AfD abgrenzen, fordert der stellvertretende Ministerpräsident Martin Dulig (SPD). Ein Interview ein Jahr nach den Krawallen in Heidenau.

Von Matthias Meisner

Die Krawalle in Heidenau liegen ein Jahr zurück. Die Stadt bei Dresden wurde nach tagelangen Ausschreitungen gegen Flüchtlinge zum Synonym für Fremdenfeindlichkeit in Deutschland. Was hat das mit dem Freistaat Sachsen gemacht?

Einerseits war Heidenau so etwas wie ein Katalysator im negativen Sinne: Menschen nehmen sich das Recht heraus, nicht nur mit Sprache Hass und Verachtung zu säen, sondern gehen auch mit Gewaltakten gegen Geflüchtete, Polizisten, Politiker oder Helfer vor. Diese Ereignisse haben bei vielen in der Politik und der Gesellschaft eine neue Nachdenklichkeit darüber ausgelöst, für welche Werte unsere Gesellschaft steht und wie sie gefestigt werden können. 

Stellen Sie diese Nachdenklichkeit auch bei der CDU fest, die in Sachsen seit 1990 ohne Unterbrechung an der Macht ist?

Ja. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob alle in der Partei – so wie es der Ministerpräsident tut – immer daraus die richtigen Konsequenzen ziehen. 

Müssten Sie die Koalition mit der CDU nicht eigentlich aufkündigen?

Natürlich sind wir nicht immer einer Meinung. Aber es ist eine Zeit, die verlangt, Verantwortung zu übernehmen und genau das tun wir. Wir drücken uns nicht vor klaren Aussagen.

Sie haben mal gesagt, die CDU sei verantwortlich dafür, dass Sachsen ein demokratiepolitisches Entwicklungsland ist.

In Sachsen war man immer ganz schnell ein Nestbeschmutzer, wenn man öffentlich Kritik äußerte. Immer mehr Menschen zogen sich daher in eine Konsumentenhaltung zurück. Doch Demokratie ist kein Pizzadienst - ich bestelle, ihr liefert. Die SPD sieht sich in der Regierung nun in der Verantwortung für das gesellschaftliche und politische Klima, was die Wertschätzung für demokratisches Engagement betrifft.

Tillich gab zu, dass Sachsen ein Problem mit Rechtsextremismus und Rassismus hat. 

Er hat wirklich bemerkt, dass etwas ins Rutschen gekommen ist und auch in zwei Regierungserklärungen klar Haltung gezeigt. Ich erwarte aber, dass ihm an diesem Punkt seine ganze CDU folgt.

Haben Sie den Eindruck, die Sachsen-CDU will die CSU rechts überholen?

Die Sachsen-CDU muss klarmachen, wo sie in diesem politischen Diskurs steht. Sie muss sich klar von der AfD abgrenzen. 

Sie haben die AfD angesprochen. Im Vergleich etwa zu anderen ostdeutschen Landesverbänden, wo Alexander Gauland, Björn Höcke oder André Poggenburg den Ton angeben, wirkt der von Frauke Petry geführte sächsische Landesverband fast wie eine „AfD light“. Täuscht das?

Auch die Sachsen-AfD ist nicht bürgerlich-demokratisch, und Petry, die ja auch Bundesvorsitzende ist, schon gar nicht. Für mich stellt sich die Frage, wie die AfD-Landtagsfraktion aussehen würde, wenn heute Landtagswahlen wären? 2014 zog eine AfD in den Landtag in Dresden ein, als in der Partei noch Bernd Lucke den Ton angab. Damals gab es auch schon nationalistische und rechtspopulistische Tendenzen, aber es ging vor allem um die Kritik am Euro. Damals wurden Kandidaten aufgestellt, die heute vermutlich in der Partei nicht mehr mehrheitsfähig wären. Die AfD ist eindeutig auf Rechtskurs. Sie hat ein eindeutiges Geschäftsmodell: Das nennt sich Angst! Und Angst ist ja gerade das vorherrschende Thema. Gefolgt von einem Rückwärtskurs in ein Gesellschaftsbild der 50er Jahre.

Für den Freistaat wird in der Außenwahrnehmung immer wieder das Bild vom „braunen Sachsen“ gewählt. Ärgert Sie das – oder trifft es einfach zu?

Pauschale Urteile über ein ganzes Land sind immer falsch. Denn entweder sagt man: „Es stimmt nicht“ und relativiert damit. Oder man sagt: „Es stimmt“ und redet damit alles klein, was an Vielfalt und Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit durchaus vorhanden ist. Dennoch dürfen wir die Probleme nicht kleinreden, wie das von einigen jahrelang in Sachsen geschehen ist. Sachsen ist eben nicht immun gegen Rechtsextremismus.

Das aber hat der frühere Ministerpräsident Kurt Biedenkopf mehrfach behauptet. 

Hier hat Biedenkopf offensichtlich geirrt. Allerdings hat Sachsen das Recht, über mehr definiert zu werden als über die Ausschreitungen von Heidenau oder darüber, dass hier zehn Jahre lang, bis 2014, die NPD im Landtag saß, und dass nun die Bundesvorsitzende der AfD im sächsischen Landtag sitzt. Es gibt ein großartiges solidarisches Engagement vieler Sachsen gegen Menschen- und Demokratiefeindlichkeit – und das trotz wahrlich schwieriger Bedingungen. In Ostdeutschland fehlte es vielerorts – außer in den Ballungszentren – an einer Zivilgesellschaft. Trotzdem gab es selbst in kleinsten Dörfern Initiativen, wo Flüchtlingen geholfen wird. 

August 2015 - fünf Tage nach den ersten Krawallen gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in Heidenau protestieren Bürger gegen den Besuch von Kanzlerin Angela Merkel
August 2015 - fünf Tage nach den ersten Krawallen gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in Heidenau protestieren Bürger gegen den Besuch von Kanzlerin Angela Merkel

© Tobias Schwarz/AFP

Wie erleben Sie das, wenn Sie im Ausland sind? Als Wirtschaftsminister werben Sie um Investoren – und werden womöglich damit konfrontiert, dass etwa Wissenschaftler wegen Pegida und Co. nicht nach Sachsen kommen wollen. 

Was Pegida seit Herbst 2014 hier veranstaltet, hat einen nachhaltigen Schaden hinterlassen. Und die fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Sachsen haben dieses Bild noch verstärkt. Das ist nicht nur ein Imageschaden, sondern hat reale Auswirkungen. Doch es ist meine Aufgabe als Wirtschaftsminister, Vertrauen wieder zu gewinnen und für den guten Wirtschaftsstandort zu werben. Forschungsinstitute, die auf Wissenschaftler aus dem Ausland angewiesen sind, müssen auch in Zukunft ein attraktiver Arbeitgeber für internationale Wissenschaftler sein. Unsere Universitäten sollen auch zukünftig ausländischen Studierenden anziehen. Unternehmen, die internationale Fachkräfte haben wollen, müssen diese weiterhin finden. Ich begrüße deswegen die Gründung des Vereins „Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen“, der sich eben mit Nachdruck dafür einsetzt. 

Wie sehen Sie die Rolle der SPD in der Diskussion um Flüchtlinge, haben Sie selbst und ihre Partei Fehler gemacht?

In Sachsen haben wir beim Thema Integration fast bei null angefangen. Mit einer eigenen Ministerin für den Bereich Integration konnte die SPD einen Schwerpunkt setzten, schon bevor so viele Menschen bei uns Hilfe suchten. Das hilft uns jetzt. Klar ist aber, dass  wir bei diesem Thema alle ein Stückweit Lernende sind. 

Die Teilnehmerzahlen bei Pegida gehen zurück. Erledigt sich das Problem womöglich von selbst?

Man darf das nicht an der Frage der Teilnehmerzahl festmachen. Pegida, das ist ja längst nicht nur die montägliche Demonstration. Pegida ist die Stimmung, die entstanden ist. Pegida wäre ohne Facebook nichts geworden – und ist nach wie vor in den sozialen Netzwerken sehr präsent. Ungefiltert werden dort die abstrusesten Verschwörungstheorien diskutierte. Leute nutzen Informationskanäle, die wir kaum noch erreichen können, wo es keine Aufklärung und Einordnung von Problemen mehr gibt. Pegida hat die Stimmung nachhaltig beeinträchtigt und uns zum Teil in die Defensive gebracht. Da müssen wir raus. 

Der Ministerpräsident von Sachsen, Stanislaw Tillich (CDU, rechts) und der SPD-Landesvorsitzende Martin Dulig präsentieren im Oktober 2014 den ausgehandelten Koalitionsvertrag.
Der Ministerpräsident von Sachsen, Stanislaw Tillich (CDU, rechts) und der SPD-Landesvorsitzende Martin Dulig präsentieren im Oktober 2014 den ausgehandelten Koalitionsvertrag.

© Matthias Hiekel/dpa

Wenn Sie Innenminister wären, würde Pegida dann – anders als es derzeit in Sachsen gehandhabt wird – vom Verfassungsschutz beobachtet?

Ja. An führender Stelle bei Pegida gibt es einige Leute, bei denen ich erwarte, dass wir mit allen Möglichkeiten des Rechtsstaats überprüfen, ob diese sich noch auf dem Boden des Grundgesetzes bewegen. 

Was halten Sie von der Pegida-Partei, deren Gründung Lutz Bachmann mehrfach verkündet hat?

Das ist nicht ernst zu nehmen. Bachmann ist jemand, der sich nicht ohne Grund dem Vorwurf des „Lügen-Lutz“ aussetzen muss. Das ist nicht mehr als ein PR-Gag.

Sie haben vor einigen Monaten Teilen der sächsischen Polizei eine Nähe zu AfD und Pegida unterstellt. Was haben Sie mit dieser Diskussion ausgelöst?

Natürlich gab es ganz heftige Reaktionen danach. Aber ich habe diese Frage nicht ohne Grund gestellt und ich sehe deshalb auch keinen Anlass, etwas zurückzunehmen. Ich bin ja auch nicht allein bei der Kritik stehen geblieben. Unmittelbar danach haben wir im Kabinett beschlossen, den Stellenabbau bei der Polizei zu stoppen und sogar zusätzliche Stellen zu schaffen. Was mir vor allem wichtig war und ist: das Thema politische Bildung bei der Polizei. Künftig wird es in der Polizeischule Rothenburg wieder eine Professur für politische Bildung geben.

Es geht ja nicht nur um organisierte Rechtsextreme. Sondern es gibt eine Vermischung mit den sogenannten „besorgten Bürgern“, die nicht nur gegen Flüchtlinge hetzen, sondern zum Teil auch gewalttätig werden. Wie muss die Politik hier reagieren?

Der Rechtsextremismus ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Es gibt Menschen, die übernehmen nicht nur Sprechweisen, sondern auch Haltungen, die eindeutig rechtsextrem beziehungsweise menschenverachtend sind. Sie empfinden das als normal und denken und bestätigen sich gegenseitig – glauben, sie seien die Mehrheit. Ich gehe immer noch davon aus, dass die anständigen Sachsen die Mehrheit sind. Wir brauchen keine Hochglanzbroschüren, um die Menschen aufzuklären. Was wir tun müssen, ist Vertrauensarbeit leisten und gesprächsbereit sein, aber immer mit klarer Haltung auftreten.

Martin Dulig (42), ist SPD-Landeschef, Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident in Sachsen. Er ist verheiratet und hat sechs Kinder. Das Gespräch führte Matthias Meisner.

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