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Politik: „Sagen sechs Länder Nein, ist die Verfassung tot“

Der Präsident des EU-Parlaments warnt aber davor, den Vertrag bereits für gescheitert zu erklären

Brüssel - Wenn 20 der 25 EU-Staaten bis Ende 2006 die europäische Verfassung ratifizieren, dann sieht EU-Parlamentspräsident Josep Borrell noch eine Chance, dass sie 2007 in Kraft treten kann. In einem Gespräch mit Journalisten wies er darauf hin, dass Artikel 30 in der Schlussakte auf Seite 472 der Verfassung für die Staats- und Regierungschefs politisch bindend sei. Darin wird festgelegt, dass Ende 2006 eine Bilanz des Ratifizierungsprozesses gezogen werden muss. Wenn vier Fünftel der Mitgliedsländer zugestimmt haben, muss der Europäische Rat zusammentreten, um das weitere Vorgehen der EU zu beraten. Der Vertragsartikel enthält aber keinen Hinweis, wie die Regierungen einen Ausweg aus der Sackgasse finden könnten. Um in Kraft zu treten, benötigt der EU-Verfassungsvertrag nämlich grundsätzlich die Zustimmung aller 25 EU-Staaten.

„Auch wenn die Niederländer Nein sagen, müssen wir den Ratifizierungsprozess fortsetzen“, forderte Borrell. „Im Herbst 2006 müssen wir dann sehen, was wir machen“. Er warnte: „Wenn am Ende sechs Länder Nein gesagt haben, ist die Verfassung definitiv tot.“ Zudem komme es aber darauf an, in welchem Land der Ratifizierungsprozess gescheitert sei – ob in einem neuen kleinen Mitgliedsland oder in einem EU-Gründungsland im Herzen Europas. Ohne Frankreich, betonte Borrell, werde es keine EU-Verfassung geben.

Im Übrigen rate er zur Gelassenheit. Die EU könne auf Grundlage der bestehenden Verträge im Tagesgeschäft problemlos weiter arbeiten. Weder sie noch der Verfassungskonvent seien gescheitert. Auch der Fraktionschef der Europäischen Sozialdemokraten, Martin Schulz, warnte, den Verfassungsvertrag voreilig für tot zu erklären.

Die Parlamentarier sagten, es sei nach ersten Analysen offensichtlich, dass die Franzosen keineswegs dafür gestimmt haben, den europäischen Einigungsprozess zu stoppen. Entscheidend seien bei den Verfassungsreferenden vor allem innenpolitische Gründe gewesen. Zudem habe die EU-Osterweiterung „wie eine Art Zeitbombe“ gewirkt: Zunächst hätten alle euphorisch vom Fall des Eisernen Vorhangs und von der Vereinigung Europas nach 40 Jahren Kalter Krieg gesprochen. Erst mit zeitlicher Verzögerung habe man die wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen wahrgenommen.

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