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Botschaften im Internet. Muhamed Ciftci verbreitet seine Predigten hauptsächlich online.

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Salafisten-Prediger: Um Himmels Willen

Wer sich vom Islam abwendet, der soll geköpft werden, sagt er. Der Verfassungsschutz hat ihn im Visier. Salafisten-Prediger Muhamed Ciftci versteht die Aufregung nicht: Er will doch nur Allah dienen

Der Mann, der leise das Zimmer durchquert, ist groß und stämmig, mit Handtellern, so breit wie Tischtennisschläger. Wenn er geht, sind seine Schritte weit, wenn er spricht, füllen seine Worte den Raum. Und doch fühlt sich Muhamed Seyfudin Ciftci nicht größer als andere, vermutlich sogar eher klein, im Angesicht dessen, zu dem er aufblickt.

In seiner Welt ist Allah das Maß aller Dinge. Er sagt: „Wer auf Allahs Seite ist, dem wird er das Leben leicht machen.“

Man kann, nach allem, was zu lesen und zu hören ist, nicht behaupten, dass Muhamed Ciftci, 38 Jahre alt, das Leben besonders leicht gemacht wird. Man kann aber auch nicht behaupten, dass er es anderen besonders leicht machte.

Ciftci, geborener Braunschweiger, deutscher Türke und Vater von fünf Kindern, gilt als gefährlicher Mann. Er sei, das schreibt der Verfassungsschutz, der ihn beobachtet, der deutschen demokratischen Grundordnung feindlich gesonnen.

Ciftci ist Salafist. Ein sehr konservativer Muslim, der den Koran möglichst wortwörtlich versteht, für den der Wille Gottes über allem steht; jemand, der sich an der Frühzeit des Islam orientiert, am Propheten und seinen Gefährten, 7. bis 9. Jahrhundert. Weil, so sagt Ciftci, es ja nicht logisch sei, dass jemand, der nach den Gefährten kommt, etwas besser weiß als die. Weswegen auch nichts anderes als ihre Worte die Wahrheit sein könne.

An Ciftcis Glaubwürdigkeit aber wird gezweifelt. Zu Recht? Zu Unrecht? Die Suche nach der Wahrheit über Muhamed Ciftci, alias Prediger Abu Anas, ist keine leichte. Sie führt knapp vorbei an Vorurteilen, durch löchrige Netze von Indizien und zu einem höflichen Mann, der die Aufregung um seine Person nicht versteht.

Der Gebetsraum der Deutschsprachigen Muslimischen Gemeinschaft liegt in einem Hinterhof an der großen Hamburger Straße in Braunschweig. Kein Schild ist zu sehen, kein Hinweis darauf, dass der Eingang durch die gläserne Tür sich nur etwa 20 Schritte von der Straße entfernt und rechts um eine Ecke befindet, gleich neben einer Autowerkstatt.

Neulich haben die Brüder der Gemeinschaft Flugblätter in der Stadt verteilt. Da habe die Polizei, sagt Ciftci, einen Jungen bis nach Hause verfolgt, weil er einen Zettel einsteckte. Wenn du in eine Moschee willst, dann geh woanders hin, hätten die Beamten dem Jungen gesagt. Überall hin, aber bloß nicht in die Hamburger Straße. Er weiß das, weil der Junge nachher trotzdem zu ihm kam und erzählte: Die Polizei hat was gegen euch.

Das Ziel von Salafisten, heißt es im aktuellen Bericht des Verfassungsschutzes, „ist die vollständige Umgestaltung von Staat, Gesellschaft und individuellem Lebensvollzug jedes einzelnen Menschen nach diesen – als ,gottgewollt‘ postulierten Normen“. Ihr Gedankengut könne Nährboden für islamistische Radikalisierung sein. Wann immer in diesem Land ein geplanter Terrorakt aufflog, ausgeführt wurde gar, stets gab es Verbindungen zu den Salafisten.

Ciftci sagt, er wolle die freiheitlich-demokratische Grundordnung weder gefährden noch beseitigen. Er ruft nicht zu Gewalt auf, Terrorismus hält er für unislamisch. Aber ein junger Mann, der für die Sauerland-Gruppe Zünder nach Braunschweig schmuggelte, besuchte Ciftcis Moschee; der Attentäter Arid U., der im März zwei US-Soldaten am Frankfurter Flughafen tötete, listete laut Verfassungsschutz auch Ciftci als Freund bei Facebook. Eine Online-Plattform, auf der vernetzt ist, wer sich vielleicht nicht kennt – vielleicht aber doch. Für die Behörde ist auch das ein Stück zum Puzzle, das die Gefahr „Salafismus“ erkennbar machen soll.

Der Mann, von dem befürchtet wird, er wolle Deutschland in einen islamistischen Gottesstaat verwandeln, geht voran in ein Büro, fensterlos und klein. Schmale Bücherregale säumen die Wand zu seiner Linken. Hinter ihm hängt eine Deutschlandkarte an der Wand, daneben ein Kalender. Vor dem Schreibtisch steht ein niedriges Ledersofa. Wer dort sitzt und mit dem Imam spricht, der schaut zu ihm auf – oder auf seine Füße in den schwarzen Socken.

Muhamed Ciftci trägt ein weites, weißes Gewand über seiner hellen Hose, auf dem Kopf eine weiße Mütze und im Gesicht Bart. Die Augen in seinem runden Gesicht sind klein. Er sieht müde aus.

In Braunschweig betreibt er eine Islamschule, etwa 250 Studenten lehrt er im Fernstudium. Außerdem ist er Inhaber eines Verlags, der religiöse Schriften vertreibt. Er reist viel, predigt in Mazedonien, dann in Wuppertal, am Tag darauf in Neuss, dann in Braunschweig, dann wieder im Rheinland. Anfang Juli hielt er einen Vortrag in Paris, nun sind die Franzosen bei ihm zu Besuch. „Ich habe nicht viel Zeit“, sagt er. „Ich muss mich um die Gäste kümmern.“ Er ist gefragt.

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Für seine Anhänger sind seine Predigten eine Inspiration. Weil er nicht überall zugleich sein kann, stellt Ciftci Vorträge online zur Verfügung. „Ist ein Muslim ein Fundamentalist?“, heißen sie, „Islam lieben: wie bringe ich es meinen Kindern bei?“ oder „Hast du schon deinen Platz im Paradies reserviert?“. Selten sind die Predigten kürzer als 40 Minuten. „Der Salafismus“, schreibt der Verfassungsschutz, „entfaltet seine Breitenwirkung durch das Internet.“

Immer schon, erzählt Ciftci, sei es sein Wunsch gewesen, Prediger zu werden. Er wurde islamisch erzogen, bereits mit fünf Jahren lernte er, den Koran zu lesen. Das Buch, in dem es heißt, Sure 3, Vers 19 und folgende: „Und sprich zu jenen, denen die Schrift gegeben ward, und zu den Unbelehrten: Werdet ihr Muslime? Und so sie Muslime werden, sind sie geleitet; kehren sie sich jedoch ab, so liegt dir nur die Predigt ob.“ Und Ciftci versucht, die Menschen zu leiten – zu ihrem eigenen Glück, sagt er, der das Buch so gut kennt, in dem auch steht, Sure 18, Vers 28: „Wer nun will, möge glauben, und wer will, möge nicht glauben!“

Wenn Muhamed Ciftci davon spricht, dann sieht er manchmal nachdenklich auf seine großen Hände. Er ist es leid, merklich, sich rechtfertigen zu müssen für seine Religion – und tut es dann doch.

„Ich stehe zu meiner Religion, ich schäme mich nicht, Muslim zu sein“, erklärt er. Und: „Ich versuche, gottesfürchtig zu sein.“ Weder von seiner Hand noch von seiner Zunge werde einem Menschen Schaden zugefügt, sagt er. Es klänge wohl energischer, wenn er es nicht schon so oft gesagt hätte, in den vergangenen zwölf Monaten insbesondere.

Während derer zog sein alter Verein, „Einladung zum Paradies“ von Braunschweig nach Mönchengladbach – unter Protesten der dortigen Bürger. Die „Fanatiker“, wünschten die, sollten schön in Niedersachsen bleiben. Nun löst sich der Verein – Mitglied war auch „Hassprediger“ Pierre Vogel – auf. Ciftci war bereits im März aus dem Vorstand ausgetreten.

In Zeitungsberichten fühlte er sich verkannt. Er nutzt Medien, um seine Botschaft zu verkünden, und verurteilt sie, wenn sie diese infrage stellen. Anschließend mag er zwar manches so gesagt haben, aber nicht so gemeint. Jetzt zeichnet er Gespräche mit Journalisten lieber auf.

Muhamed Ciftci ist überzeugt: Glückseligkeit kann nur der Islam bringen. Er wünscht, dass dies auch andere erkennen. Überreden aber will er niemanden. Brauche er auch nicht, es sei schließlich offensichtlich. Und er bemüht eine Fabel – vom Fisch, der auf dem Land leben will. „Wir sagen zu dem Fisch: Wenn du auf dem Land lebst, dann wirst du nicht glücklich werden. Und der Mensch wird glücklich, nach unserer Auffassung, wenn er für seinen Herrn Allah die Anbetung ausführt. Das ist unsere Mission, das ist unsere Einladung.“

Ciftci rückt die Mütze auf seinem Kopf mit beiden Händen zurecht. Vor ihm auf dem Tisch stehen dicke Bücher, auf dem Rücken goldene arabische Schrift. Auch viele der Schriften in den Regalen sind arabisch. Seine Kleidung, diese Sprache, die so anders klingt als die des Landes, in dem er lebt, deren Schrift aus Strichen und Punkten besteht, die aussehen wie ein verrätseltes Gemälde. Die Angst vor dem Fremden – Ciftci und seine Glaubensbrüder bedienen sie, ob sie wollen oder nicht. Es ist die Angst der freien und toleranten Gesellschaft, auf die sich auch die Braunschweiger Salafisten gern berufen. Es ist Toleranz, die Ciftci immer wieder beschwört, auch wenn es ihm manchmal schwer fällt, selbst an sie zu glauben.

Wenn seine Frau auf der Straße angepöbelt wird oder seine Kinder in der Schule: „Der Ciftci, ist das dein Vater? Der ist doch gewalttätig.“ Wenn er, mal wieder, eine Morddrohung erhält. „Diese Islamophobie hat in den letzten fünf Jahren sehr stark zugenommen“, sagt er.

Fremd ist das, was jenseits einer Ordnung ist. Einer, die bestimmt wird von der Mehrheit, geregelt in Gesetzen. Gesetze, von denen Muhamed Ciftci nicht sagt, dass er sie für falsch hält. Dank ihrer darf er seinen Glauben ausüben. „Ciftci akzeptiert Gesetze, wenn sie mit Allahs Willen übereinstimmen“, erklärt Maren Brandenburger vom Niedersächsischen Verfassungsschutz. Demokratie als Staatsform und die rechtsstaatliche Ordnung des Grundgesetzes, die Souveränität des Volkes zum Beispiel, trage er nur insoweit mit, als die vom Koran auferlegten Regeln dem nicht widersprechen.

Nie sagt Ciftci, dass er die geltende deutsche Rechtsordnung nicht akzeptiere. Er geht auch zur Wahl. In einem Vortrag aber erklärte er zum Beispiel, jene, die sich vom Islam abwenden, sollten geköpft werden. Wenn ein Staat den Auftrag dazu gibt. Es war derselbe Vortrag, in dem er sagte : „Allah ist der beste Gesetzgeber, es gibt keinen besseren.“ Sein Verlag vertreibt ein Buch, „Die ideale Muslima“, das den unbedingten Gehorsam der Frau gegenüber ihrem Ehemann verlangt. Ein Buch, das laut Verfassungsschutz Gewalt gegen Frauen rechtfertigte, nahm er angeblich aus dem Sortiment. Auch dies sind Puzzlestückchen für die Behörde.

Für die Salafisten ist letztlich Gott der einzige Souverän, sein Gesetz ihr Maßstab. Der Islam ist ihnen also nicht nur Religion, er ist ihnen auch Ordnung. Und schon scheint den Salafisten so einiges fremd, was außerhalb ihrer Ordnung liegt. Das eigentlich Gefährliche, sagt Jeanette Spenlen, eine Religions- und Islamwissenschaftlerin, sei denn auch diese Aufteilung: wir gegen die.

Zwischen den Welten, dem niedrigen Sofa, dem Schreibtisch, stehen ein Butterkuchen und zwei Gläser schwarzer Tee. Es ist eine wacklige Brücke, aber auch eine Handreichung. Eine, die vor allem junge Menschen annehmen. Er wisse nicht, sagt Ciftci, wie viele er schon überzeugt habe, Muslim zu werden. „Zähle ich nicht“, sagt er. „Ist auch nicht so wichtig.“ Mehr als 100 Gläubige kämen in die Moschee.

Vier Millionen Muslime leben in Deutschland, die Zahl der Salafisten wird auf 3000 bis 5000 geschätzt. Wie viele Deutsche überhaupt konvertieren, bleibt unklar, denn Übertritte werden nicht schriftlich dokumentiert.

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Einer von denen, die in Braunschweig konvertierten, ist Oliver. Sein Bekenntnis zum Islam haben sie in der Moschee gefilmt. Nun steht das Video auf Ciftcis Webseite. Oliver ist vielleicht Mitte 20, er trägt ein schwarzes T-Shirt und schaut betreten, kratzt sich am Ohr.

Ciftci fragt ihn: Bist du bereit?

Ja.

Ciftci nickt. Er spricht vor, auf Arabisch. Oliver spricht nach. Shahada, das Glaubensbekenntnis.

So, jetzt bist du Muslim geworden. Hast du den Koran gelesen?

Ja, komplett.

Hast du innerlich etwas gefühlt?

Freude, sagt Oliver, Trauer auch. Und Erleichterung.

Ich gratuliere dir, sagt Ciftci. Alle Sünden seien ihm vergeben, er sei jetzt Gott sehr nahe, könne sich auch etwas wünschen von ihm. Oliver sagt, er habe nur einen Wunsch: glücklich werden.

Die meisten, meint Muhamed Ciftci, kommen zu ihm und konvertieren, weil sie unzufrieden sind. Sie sind auf der Suche – nach Struktur vielleicht, nach einem Rahmen, nach jemandem, der ihnen sagt, was falsch und was richtig ist.

Für Maren Brandenburger vom Verfassungsschutz ist jeder Jugendliche, der sich dem Salafismus zuwendet, einer mehr, der dem demokratischen Meinungsprozess und den Bemühungen um Integration verloren geht. Für Muhamed Ciftci ist es wieder einer, der die Wahrheit gefunden hat.

Im Angebot der üblichen Moscheevereine fänden die jungen Menschen offenbar nicht das, was sie zu finden hofften, sagt Jeanette Spenlen. „Sie suchen Geselligkeit, Zugehörigkeit und eine Identität.“ Dass die Salafisten ein innerislamisches Problem geworden seien, hält Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime in Deutschland „angesichts deren geringer Anhängerzahlen“ für übertrieben.

Muhamed Ciftci wirft sich einen dunklen Umhang über sein weißes Hemd und geht wiegenden Schrittes ins Gebetszimmer, hinauf auf ein kleines Podest vor einer holzvertäfelten Wand. Vor ihm auf dem Boden hocken Gläubige, junge Männer in Jeans und T-Shirt, alte mit Bart und Kaftan, Familienväter, Großväter. Um sie herum toben Kinder. Ciftci predigt von Körperpflege, von Sinn und Zweck der Rasur und der Beschneidung, von Vorschriften zur Sauberkeit.

Leise schlüpfen diejenigen, die zu spät kommen, aus ihren Schuhen und stellen sie in ein weißes Regal am Eingang. Kleine Schuhe stehen dort, große Schuhe, schmale Schuhe, breite Schuhe, Turnschuhe, Lederschuhe und Sandalen. Aus dem Gebetsraum dringt Ciftcis Stimme. „Allahs Willen erfüllen“, sagt er, „das ist der Sinn des Lebens.“ Alles andere wäre vermessen.

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