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Wettrüsten. 200 Helme, 150 Masken, 160 Schwerter, 40 Rüstungen – drei Mal in der Woche macht Peter Janssen seine Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich.

© Kitty Kleist-Heinrich

Samurai-Museum in Berlin: Im Bann der Krieger

Sein erstes Schwert kaufte er auf dem Flohmarkt – lernte aber, es war nicht das, was man sammelt. Heute gehört dem Berliner Peter Janssen die größte Kollektion an Samurai-Artefakten in Europa.

Die beiden Männer heben eine Holzkiste aus dem großen, schwarzen Wagen. Sie haben sie aus Belgien hergeschafft. Schwer ist sie nicht. Hat die Form eines Würfels, das Holz ist dunkel, der Deckel mit einer Schnur verschlossen, der Lack rissig. Mehrere Jahrhunderte ist sie alt, und was sie beinhaltet, ist so edel und kostbar und hat seinem Vorbesitzer so viel bedeutet, dass es über etliche Generationen aufbewahrt und an die jeweils nachfolgende weitergegeben wurde. Bis jetzt.

Peter Janssen hat lange genug darauf gewartet. Obwohl es nur ein paar Monate waren. Da kaufte der Berliner Sammler das Stück von seinem Freund, dem Belgier, um es in sein Privatmuseum in Zehlendorf bringen zu lassen. Sie fallen einander mit ausladender Herzlichkeit in die Arme.

Peter Janssen ist ein kahlköpfiger Herr mit bleichem Teint und runden Gesichtszügen und dem unscheinbaren Gang eines 69-Jährigen, der seine Umwelt lieber nicht bedrängen möchte. Ganz anders Philippe Leemans. Gut gebräunt ist er seinem SUV entstiegen, mit kurzen weißen Haaren und einem Bart, aus dem die dunklen Töne noch nicht restlos verschwunden sind.Er hat das harte Lachen eines Menschen, dem man nichts vormachen kann. Denn mit einem Spaßvogel ist es leichter, ins Geschäft zu kommen, als mit einem Besserwisser. Von Brüssel aus organisiert er einen exquisiten Handel mit Kunstgegenständen der Samurai. Seine Verbindungen reichen bis tief nach Japan hinein.

An die Spree ist er an diesem Sommersonntag nicht alleine gekommen, er hat einen Freund mitgebracht, ebenfalls mit Namen Philippe, dem er die Sammlung Janssens zeigen will. Der Begleiter, der noch am Anfang einer möglichen Sammlerkarriere steht, soll mit eigenen Augen sehen, wie weit man es treiben kann. Und worauf es ankommt.

„Es ist das beste Privatmuseum für Samurai-Kunst in Europa“, sagt Leemans vollmundig. Er scheint es auf der Autofahrt schon ein paar Mal betont zu haben. Der andere nickt zustimmend.

Über Treppen steigen sie beladen mit der Kiste und beeindruckt von der Bedeutung des Ortes, die sie ja nun mit ihrer Lieferung noch vermehren, in das großzügige Untergeschoss des Gebäudes hinab, das Peter Janssen um sein Samurai Art Museum hat herumbauen lassen. Er führt seine Gäste in einen schmalen, dunklen Nebenraum, das Depot. Kahle Betonwände und Leuchtstoffröhrenlicht an der Decke. Auf etlichen Regalen liegen Artefakte, für die sich im Museum gerade kein Platz findet. An einem langen Tisch sitzt bereits Thomas Schulze, Janssens Berater, selbst ein Händler, der sich auf Klingen und Schwerter spezialisiert hat. „All das Zeug“, stöhnt er. Es nehme kein Ende.

Noch unbekannt: Im Untergeschoss der "Villa Clay" (Clayallee 225), nahe der U-Bahnstation Oskar-Helene-Heim, befindet sich eine der besten Samurai-Sammlungen der Welt.
Noch unbekannt: Im Untergeschoss der "Villa Clay" (Clayallee 225), nahe der U-Bahnstation Oskar-Helene-Heim, befindet sich eine der besten Samurai-Sammlungen der Welt.

© Kitty Kleist-Heinrich

Seit 30 Jahren sammelt Janssen. In dieser Zeit hat er etwa 40 Rüstungen, 200 Helme, 150 Masken und 160 Schwerter sowie zahllose weitere Schätze der japanischen Kriegerkaste zusammengetragen. Nur eine andere Kollektion in Dallas, Texas, hat einen vergleichbaren Umfang. Das Asiatische Museum in Berlin verfügt über keinerlei Expertise auf diesem Gebiet. Es besaß einmal eine beeindruckende Sammlung an Stichblättern, die aber, nie gezeigt, 1945 als Kriegsbeute nach Russland verschwand.

Der Samurai ist ein Mythos. Vor allem die Nachkriegsfilme von Akira Kurosawa und Masaki Kobayashi hatten großen Einfluss auf das Bild, das man sich von diesem japanischen Ritter macht. Sie zeigten ihn als tragische Figur, als den seinen Idealen und seinem Stand verpflichteten Außenseiter, zu dem ihn die Geschichte gemacht hat. Heute ist das Internet voll von Angeboten billiger Replika, Fake-Waffen und Kopien opulenter Samurai-Garderoben. Rapper wie Bushido beziehen sich vermeintlich auf seine Lehren, lassen sich japanische Schriftzeichen in die Haut stechen und verherrlichen ihn als Ikone ihres Einzelkämpfertums.

Janssen spricht dagegen von einer „Lebensschule“, die er dem Samurai-Wesen zuschreibt. Sie bindet auch ihn. Er wendet ein Vermögen auf, um das Rätsel ihres anhaltenden Einflusses zu lösen. Seine Halle mit ihren Vitrinen, im Oktober 2017 eröffnet, ist beinahe schon wieder zu klein.

"Zumindest habe ich es nicht übertrieben."

Es ist ein großer Moment, wenn neue Erwerbungen eintreffen. Erstanden hat Janssen sie lange vorher. Bis die Ausfuhrpapiere beschafft sind, der Zoll die Exponate freigegeben hat oder eben ein Vermittler wie Philippe Leemans sich auf den Weg machen kann, lebt Janssen in einem Zweifel. Fügt sich das Stück so gut in seine Sammlung ein, wie er gehofft hat? Kann es den Zweifel zerstreuen? Denn ist es nicht schon verrückt genug, für etwas so Fremdartiges immer wieder große Summen auszugeben? Da muss jedes weitere Stück seinen Wert noch einmal ganz besonders unter Beweis stellen.

„Ihr habt ja noch gar nicht ausgepackt?“, sagt Janssen, als er aus der Teeküche mit einem Tablett und Tassen zurückkehrt.

„Darf ich das“, fragt Leemans zurück, „ohne Befehl?“

Sie schnüren die Kiste auf. Zum Vorschein kommt ein Brustpanzer, schwarzes, dünnes Metall, der von einem berühmten Schmied stammen soll. Auch eine eigentümliche Eisenmaske mit weit vorspringender Nase hat er gefertigt, dazu gehört ein Helm, der die Form einer Aubergine besitzt. Janssen hebt die Einzelteile vorsichtig heraus, trägt sie zu einem Stativ, das mit schwarzem Tuch bespannt ist, und setzt sie zusammen. Nur für den ersten Eindruck.

Er tritt einen Schritt zurück. Wie sich jetzt schon vor seinen Augen das Bild eines Kriegers zusammensetzt, der alles, wie es ist, genau so schon vor mehr als 350 Jahren haben wollte, da ist sich Peter Janssen vollkommen sicher, das Richtige getan zu haben.

Übertreiben dürfe man es nicht, sagt er ein paar Wochen vorher in einen tiefen Ohrensessel gelehnt. Das Treffen findet in einem als Bibliothek dekorierten Aufenthaltsraum seiner Seniorenresidenz statt, die er über seinem Museum errichten ließ. Mit solchen Häusern hat er sein Geld verdient.

Über seine Sammelleidenschaft zu reden, fällt dem Unternehmer nicht leicht. Wenn man von einer Sache schon viel besitze, wolle man immer mehr, sagt er. Man denke, das kriegst du nie wieder angeboten. Man denke, wenn ich das jetzt nicht bekomme, ist es für mich verloren. Man sei enttäuscht, wenn auf einer Versteigerung mehr geboten wird, als man selbst bereit war anzubieten. Oder man geht über sein Limit viel zu weit hinaus. „Ich kann nachvollziehen, wenn jemand unvernünftig wird“, sagt Janssen. „Zumindest habe ich es nicht übertrieben.“

Mehr als Kriegswaffen

Hauptsache. In Regalen des Depots lagern etliche Helme mit prächtigen Verzierungen. „Bei vielem, was ich gekauft habe, ist mir die Tragweite noch gar nicht bewusst“, sagt Janssen.
Hauptsache. In Regalen des Depots lagern etliche Helme mit prächtigen Verzierungen. „Bei vielem, was ich gekauft habe, ist mir die Tragweite noch gar nicht bewusst“, sagt Janssen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Eine Sammlung baut einer nicht alleine auf. Sie ist das Ergebnis von Beziehungen. Von einem japanischen Sammler etwa hat er das Versprechen, dass der „niemand anderem etwas anbieten werde“. Und ohne seine Freunde, den Belgier, und Thomas Schulze, dessen Laden sich in der Schöneberger Motzstraße befindet, hätte Janssen seiner Sammlung die Güte nicht geben können, die sie heute besitzt.

Das Hauptproblem sei, meint Schulze, ein großer, breiter Mann mit dem mächtigen Kopf einer Kurosawa-Figur, dass man selbst nach jahrelanger Beschäftigung wenig über japanische Qualitätsstandards wisse. Man werde schnell schräg angesehen, wenn man die spirituellen Dimensionen von Schwertern zu erläutern versuche. „Das ist am schwersten zu begreifen“, sagt Schulze, „dass Religion, Philosophie und Handwerk für das Samurai-Wesen von entscheidender Bedeutung sind.“

Janssens Sammelleidenschaft fing profan an: mit einem Irrtum und einer leeren Ecke. Als er sein erstes Samurai-Schwert auf dem Trödelmarkt an der Straße des 17. Juni kaufte, für nicht eben bescheidene 1500 Mark, da merkte er später, dass es ein Nachbau aus dem Zweiten Weltkrieg war. Eine von geschätzten zwei Millionen maschinell gefertigten Klingen, mit denen die Offiziere der kaiserlichen japanischen Streitmacht ausgestattet worden waren. Nach der Kapitulation des Landes 1945 betrachteten die US-Besatzer solche Schwerter als Waffen und nicht als Symbole einer tief verwurzelten Treue. Sie mussten ausgehändigt werden. Wenn auch der größte Teil eingeschmolzen wurde, gelangten einige über Umwege immer wieder auf den Markt. Sie sahen gut aus. Jedoch: „Nicht das, was man sammelt“, musste Janssen lernen.

Doch er hatte einen Anfang gemacht. Das Fieber war da, weckte etwas in ihm, das ihn als Kind ständig vor die Tür getrieben und als Abiturienten für drei Jahre durch Europa hatte reisen lassen. Und dann war da die leere Ecke in seiner Berliner Wohnung, die sich gut für ein größeres Objekt eignete, fand er. Eine Rüstung vielleicht?

Bei der einen sollte es nicht bleiben.

Der Fluch verborgener Werte

Es war, als würde Janssen ein Muster wiederholen. Er hatte lange genug Karate gemacht, hatte sich bis zum Schwarzen Gürtel, Erster Dan, hochgearbeitet und war nun durch hartes, aufopferungsvolles Training geübt darin, immer denselben Schlag auszuführen, hundertmal, tausendmal mit nicht nachlassender Präzision. Nun würde er nach den Ursprüngen dieser Hingabe und dieses Eifers suchen.

Seine Frau habe nur nicht gewollt, dass er die Sachen in die Wohnung stelle. So richtete er sich im Büro ein Japanzimmer ein, lagerte Helme, Masken, Stichblätter und Griffschmuck hinter Glas in hohen Schränken. Doch irgendwann konnte Janssen all die Erwerbungen aus den Kisten gar nicht mehr auspacken, es fehlte der Platz. Alles drängte sich. „Das sah nicht mehr schön aus“, sagt Janssen. Da war er wirklich zum Sammler geworden.

Ihm drohte das Schicksal vieler Sammler, deren Reichtum an ihre Person gebunden bleibt, weil nichts ihn in der Gesellschaft verankert. Er musste einen Weg finden, sein Erbe vor der Zerfledderung durch ahnungslose Angehörige zu bewahren, indem er ihm Öffentlichkeit verschafft. An drei Tagen in der Woche ist das Samurai Art Museum unterhalb der Villa Clay für Publikum geöffnet.

„Der Plan, ein Museum zu bauen, war für mich die beste Entschuldigung, noch mehr einzukaufen“, sagt Janssen.

Maskerade. Einerseits galten die metallischen Masken der Samurai als Gesichtsschutz. Doch um Gegner und Rivalen zu beeindrucken, wurden sie fratzenhaft überstilisiert.
Maskerade. Einerseits galten die metallischen Masken der Samurai als Gesichtsschutz. Doch um Gegner und Rivalen zu beeindrucken, wurden sie fratzenhaft überstilisiert.

© Kitty Kleist-Heinrich

Vergangenen Monat ist er in Japan gewesen. Er pflegt die Reise zweimal im Jahr zu unternehmen. Diesmal suchte er einen betagten japanischen Sammler in dessen Wohnung über einem Restaurant in Fukushima auf. Der präsentierte ihm ein Stück. Er sprach durchaus über weitere, die sich in seinem Besitz befänden, aber sehen durfte der Deutsche nur das eine, ausgewählte. Die Rüstung eines Schmieds, der zu den besten seiner Zeit gehört haben musste und Unkai Mitsunao hieß. „Für mich gibt es zwei Kategorien: die alten Sachen vor 1600 und die künstlerisch wertvollen aus späteren Epochen“, sagt Janssen.

Was nicht heißt, dass die beiden Männer sich gleich einig wurden.

Janssen hat durchaus erlebt, dass sein Gegenüber plötzlich einen Rückzieher machte. Er könne doch nicht verkaufen, hieß es. Nicht jetzt. Das fragliche Stück bedeute ihm noch zu viel. „Ich habe zwar noch nie ein Stück verkauft“, sagt Janssen, „aber wenn ich es müsste, wüsste ich auch nicht, welches ich zuerst abstoßen würde oder in welcher Reihenfolge.“

Um zu demonstrieren, worum es ihm geht, erhebt sich Janssen aus seinem Bibliotheksessel und geht in seinem Museum zwei Stockwerke tiefer von Rüstung zu Rüstung. Sie sind nach einem Baukastenprinzip gefertigt, setzen sich aus hunderten von Einzelteilen zusammen, die je nach Belieben variiert werden konnten. Die ältesten stammen aus dem 6. Jahrhundert. Besonders prachtvolle sind vor allem aus der Edozeit nach 1600 erhalten, benannt nach der 270-jährigen Friedensperiode, in der sich das Land von der Außenwelt abschottete – um den Preis einer Militärdiktatur. Einmal pro Jahr reiste der Schwertadel damals nach Edo, dem Sitz des herrschenden Tokugawa-Klans, um dem Shogun die Aufwartung zu machen und am Hof durch Selbstdarstellung zu beeindrucken. Ihr Auftreten unterstrich den Status, militärischen Rang, Kunstsinn und Bildungsgrad. Wobei ein durchschnittliches Schwert drei Bruttojahresgehälter kostete.

Es war der Moment, da der Krieger in Ermangelung kriegerischer Konflikte zum Künstler seines Heldenbildes wurde. „Wer in solchen Waffen nur die Gewalt sieht“, sagt Janssen, „versteht nicht, wie tiefgreifend die Samurai das japanische Volk als Lehrer und Mäzene geprägt haben. Ihr Ziel war es, einen Kampf ohne Waffen zu führen.“ So traten hochgestellte Samurai als Akteure im No-Theater auf, ließen sich in der Schmiedekunst und anderen Gewerken unterweisen, und auch die Tee-Zeremonie geht auf sie zurück.

Es hört nicht auf

Die eigentliche Kostbarkeit japanischer Schwerter sind die Stichblätter, aus einem Edelstahl, wie ihn nur absolute Könner schmiedeten, nachdem sie gefastet hatten. Aber auch Schaft und Griff, die es zu mancher Klinge in unterschiedlicher Ausführung gibt, je nach Anlass, zu dem die Waffe getragen wurde, sind höchst kunstvoll gearbeitet und kosteten den Auftraggeber mehrere Jahresgehälter.
Die eigentliche Kostbarkeit japanischer Schwerter sind die Stichblätter, aus einem Edelstahl, wie ihn nur absolute Könner schmiedeten, nachdem sie gefastet hatten. Aber auch Schaft und Griff, die es zu mancher Klinge in unterschiedlicher Ausführung gibt, je nach Anlass, zu dem die Waffe getragen wurde, sind höchst kunstvoll gearbeitet und kosteten den Auftraggeber mehrere Jahresgehälter.

© Kitty Kleist-Heinrich

Da jeder Samurai für seine Ausstattung selbst aufkommen musste, war er frei in der Gestaltung. Keiner glich äußerlich dem anderen. Was sich für einen Sammler durchaus als Fluch erweist. Von Unikaten hat man nie genug. Es hört einfach nicht auf, aus jedem Stück die individuelle Handschrift des Auftraggebers herauslesen zu wollen. Die Helme sind mit Schwalbenköpfen, Strahlenkränzen, Tier- und Pflanzensymbolen verziert, mit Bärenfell und Haaren bespannt und mit Baumharz kunstvoll lackiert. „Bei vielem, was ich gekauft habe, ist mir die Tragweite noch gar nicht bewusst“, sagt Janssen, „die Stücke müssten richtig erforscht werden.“

So verbindet sich die Vertiefung des Wissens für Sammler wie Janssen mit dem Stolz des Besitzens. Eines seiner Lieblingsstücke ist ein Helm mit zwei hoch aufragenden geschwungenen Hörnern. Sie ergeben über dem Kopf des Kriegers das Bild einer Sonnenfinsternis. Die sich verjüngenden Bögen bilden den Glutrand. Dieser Helmschmuck eines Feldherrn sollte den Träger im Getümmel einer Schlacht weithin sichtbar sein lassen, aber vor allem war seine Botschaft symbolischer Natur: Der sich vor die Sonne schiebende Mond, den man nicht sehen kann, steht für die Einheit der Gegensätze, Licht und Schatten, Feuer und Gestein, Leben und Tod. „Da der Tod jeden Augenblick eintreten konnte“, sagt Janssen, „waren sich die Schwertkämpfer der Gegenwärtigkeit des Lebens sehr bewusst. Sie wollten das Beste draus machen.“

Blinde Flecke in der japanischen Geschichte

Janssen hat seine Ansprüche im Lauf der Jahre immer weiter nach oben geschraubt. In einer Welt voller Grimassen, Selbstüberhöhung und Verstellung,in der alles auf den Effekt zielt, trachtet er nach dem Meisterstück, das seinen Charakter von sich aus offenbart.

Als Philippe Leemans in Japan auf die Maske mit der langen Nase stieß, die dem legendären Rüstungsmacher Kunitaka zugeschrieben wird, reichte ein Anruf, und es war wieder mal um Janssen geschehen. Er deutet auf die an der Kinnpartie eingeritzte Signatur. „Das soll Kuni heißen?“, fragt eine Mitarbeiterin, die Japanologie studiert und als einzige im Raum die Sprache beherrscht. Sie eilt davon, um eine der Inventarlisten zu holen, in denen die Maske erwähnt worden ist.

Japanische Familien bewahren Rüstungen ihrer Vorfahren über viele Generationen auf. Das Wissen um die Handwerkskunst geht langsam verloren.
Japanische Familien bewahren Rüstungen ihrer Vorfahren über viele Generationen auf. Das Wissen um die Handwerkskunst geht langsam verloren.

© Kitty Kleist-Heinrich

„Das Problem ist“, spottet Thomas Schulze derweil, „dass viele Schmiede in Japan gar nicht schreiben konnten. Nicht mal ihren eigenen Namen.“

Sollte das auch hier der Fall gewesen sein? Unter Janssens Freunden entbrennt eine Diskussion über den Bedeutungsgehalt solcher Signaturen. So haben Schmiede nicht nur ihren eigenen Namen für die Echtheit ihrer Arbeiten verwendet, Schüler griffen auf die Signatur ihrer Lehrer zurück, um sie zu ehren, Unterschriften berühmter Schmiede wurden später als Huldigung ihres anhaltenden Einflusses adaptiert. Und dann gibt es noch Meister desselben Namens zu unterschiedlichen Zeiten. Es ist ein Durcheinander.

Mit der Verwandlung Japans in eine moderne Industrienation ab 1860, wird das Tragen von Schwertern in der Öffentlichkeit verboten und der Samurai zum Gegenstand romantischer Verklärung. 1873 nimmt das restitutionierte Kaierreich an der Weltausstellung in Wien teil. Japanische Kulturgüter üben sofort einen starken Einfluss auf den französischen Jugendstil aus. Da Handlungsreisende sich nun ungehindert im Land bewegen können, gelangen zahlreiche Samurai-Artefakte in den Besitz europäischer Kunstliebhaber. So entstehen ab 1880 umfangreiche Kollektionen außerhalb Japans. Und in Kalifornien schreibt der Agrargelehrte Inazo Nitobe während eines Kuraufenthalts das Buch, „Weg des Kriegers“ (Bushido), das der untergegangenen Epoche nachträglich huldigt.

„Alles, was heute noch zu haben ist, stammt aus den vor hundert Jahren aufgebauten Sammlungen“, sagt Thomas Schulze, der Händler. „Das Zeitfenster schloss sich schon nach 20 Jahren wieder.“ Heute seien die Bestände dezimiert durch die Rückkaufwelle, mit der der japanische Staat ab den 70er Jahren den Markt „ausgetrocknet“ hat. Dass für einen Europäer trotzdem noch Kulturgüter zu haben sind, verdankt sich dem Umstand, dass gewisse Phasen der japanischen Geschichte in Japan selbst kam Beachtung finden. Leemans sagt, das sei wie mit den Werken von Rubens. Jahrelang habe der an ihnen gearbeitet und Standards gesetzt, die eine Epoche prägten. Van Gogh habe nur eine Woche für seine Bilder gebraucht, aber sie stünden heute viel stärker im Fokus.

Philippe, der Jüngere, ist ganz benommen von der Fülle dessen, was er sehen darf. Er streift alleine durch die Ausstellungshalle, mustert die Schilder an den Exponaten. Einerseits sei er erleichtert darüber, dass er seine eigenen Erwerbungen neben die von Janssen in die Depotregale legen könnte, und sie würden nicht weiter auffallen. Er habe sich also auf diesem Gebiet bewährt und könne beruhigt wieder nach Brüssel zurückkehren.

Andererseits staunt er über die Zeit, die Janssen aufgewandt haben müsse. Um einen Sinn für Qualität zu bekommen, müsse er bestimmt das Hundertfache dessen angesehen haben, was er schließlich kaufte. So sei das wohl, wenn man die Arbeit von Leuten wertschätze, „die genau wussten, was sie taten.“ Immer wieder.

Der Wert hinter den Dingen. Peter Janssen, 69, hat ein Vermögen und 30 Jahre Sammelleidenschaft aufgewandt, um die Samurai-Kultur zu verstehen.
Der Wert hinter den Dingen. Peter Janssen, 69, hat ein Vermögen und 30 Jahre Sammelleidenschaft aufgewandt, um die Samurai-Kultur zu verstehen.

© Kitty Kleist-Heinrich

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