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Politik: Santo subito

Von Claudia Keller

Mit dem Pfingstfest endet für die christlichen Kirchen die Osterzeit. Es beginnt der Alltag des Kirchenjahres. Wie wird dieser Alltag aussehen – hat sich die Welt des Glaubens in den vergangenen Wochen nachhaltig verändert? Immerhin, die Osterzeit war wie kaum in einem Jahr zuvor von religiöser Aufwallung und von einer überraschenden Zuwendung zu Fragen des Christentums geprägt. Viele sahen selbst im säkularisierten Abendland ein neues Zeitalter des Glaubens anbrechen: Die Anteilnahme der Weltöffentlichkeit am Sterben und am Tod von Papst Johannes Paul II., die Wahl Benedikts XVI., haben selbst die katholische Kirche total überwältigt. Millionen Menschen pilgerten nach Rom, um persönlich einen letzten Blick auf den toten Papst zu werfen und bei der Weihe von Benedikt XVI. dabei zu sein. 20jährige Mädchen gestanden ihre Liebe zu einem Papst, der ihnen die Pille verboten hat. Afrikaner küssten Benedikt XVI. die Hand, der wie sein Vorgänger Kondome zur Verhütung von Aids streng ablehnt. In Berlin wurde zur gleichen Zeit so erbittert über den Werteunterricht gestritten, als ginge es um ewige Verdammnis oder Erlösung.

Ihre Kirche in Szene setzen, das konnten die Katholiken schon immer. Jetzt hat der Vatikan noch dazu gelernt, wie man auch die Medien in den Dienst der heiligen Sache stellt. Die nächsten Großereignisse des Glaubens lassen sich schon in die Programmhefte schreiben: der Kirchentag der evangelischen Kirche Ende Mai in Hannover, der Weltjugendtag der katholischen Kirche im Sommer in Köln, an dem Papst Benedikt XVI. teilnimmt. Es wird die Seligsprechung seines Vorgängers im Expresstempo folgen – santo subito. Und auf einmal wird auch wieder möglich, was die vergangenen zwei Jahre nicht zuletzt am Widerstand von Kardinal Joseph Ratzinger scheiterte: Es werden Pläne für einen neuen Ökumenischen Kirchentag geschmiedet.

Was wird davon bleiben? Jeder weiß nun, wer Benedikt XVI. ist. Den Gemeindepfarrer um die Ecke kennt trotzdem keiner, geschweige denn seine Arbeit: Zwei Drittel der Berliner gehören keiner Kirche an. Schön wäre es, wenn der Aufbruch der diesjährigen Osterzeit daran etwas ändern würde, wenn er die Dickfelligkeit des Senats gegenüber den Kirchen milderte. Wahrscheinlich ist das nicht.

Die Gesellschaft wird daran nicht zugrunde gehen. Auch ohne konfessionelles Bekenntnis sagen die meisten die Wahrheit, haben Mitleid und vertragen sich mit ihren Nächsten: Die abendländischen, die christlichen Werte haben sich in der säkularen Welt verselbstständigt. Zwar sieht der neue Papst den Garanten dieser Werte immer noch im Glauben, doch hat sich die Mehrheit der Gesellschaft längst davon emanzipiert. Und sie gedenkt, dem drohenden Werteverfall anders zu begegnen, als das den etablierten Religionsgemeinschaften lieb ist. Das beklagen die Kirchen zu Recht. Ändern werden sie es nicht. Die derzeitige Konjunktur des Themas Glauben wird an den Fakten nichts ändern. Und die sind nun einmal in diesen Breitengraden für die Kirchen eher deprimierend.

Pfingsten ist nicht nur das Ende der Osterzeit. Pfingsten ist die Geburtsstunde der Kirche. Nach christlicher Überlieferung sandte Gott den Jüngern an diesem Tag den Heiligen Geist. Er schickte die Jünger aus, damit sie die christliche Botschaft verbreiten, damit sie sich den Mühen der Ebene aussetzen. Der Heilige Geist bewirkte auch, dass sie diese Botschaft plötzlich in vielen verschiedenen Sprachen verkünden konnten, dass die Menschen sie verstanden haben. Damit ist gemeint: Es gibt viele Wege, auf denen der Glaube zu den Menschen kommen kann. Einer davon sind sicher die Großereignisse der vergangenen und der kommenden Wochen und Monate. Andere sind ein lebendiges Gemeindeleben oder – zweifellos – ein guter Religionsunterricht. Wenn es aber wie jetzt in Berlin darüber keinen Konsens mehr gibt, dann müssen vielleicht auch die Kirchen die Sprache der Mehrheit wieder lernen. Auch und gerade, weil es um die Werte geht.

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