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Politik: Saubermänner an der Macht

Die Palästinener erwarten von der Hamas einen Politikwechsel – doch die hat noch gar nicht das Personal dafür

Erst nachdem der erste Schock über das Wahlergebnis verdaut war, wurde es in Ramallah offiziell verkündet: Eine absolute Mehrheit für die islamistische Hamas, den Neuling in der Politik auf nationaler Ebene. Und eine demütigende Niederlage für die seit zehn Jahren allein regierende Fatah. Doch das Wahlergebnis ist mehr als ein einfacher Mannschaftswechsel auf höchster politischer Ebene.

Die von Jassir Arafat gegründete Fatah, die stärkste Fraktion in der PLO, hat 40 Jahre lang die Interessen der Palästinenser vertreten. Mit mehr oder weniger Erfolg, aber unangefochten. Seit der Schaffung der Autonomiebehörde hat die Fatah den „Staat“ übernommen, ihre Kämpfer haben die Sicherheitsdienste gestellt, ihre Bosse die Wirtschaftsmonopole erhalten. Die Hamas kann nun nicht das gesamte Personal auswechseln, die Fatah-Loyalisten werden unter Hamas-Ministern arbeiten. Wenn alles gut geht, könnte der Wechsel an der Spitze dazu führen, dass sich auch in höheren Ämtern und in den Sicherheitsdiensten ein Bewusstsein des „neutralen“ Staatsbeamten herausbildet, der seinem Staat, egal unter welcher Führung, dient. Bisher war die Autonomiebehörde eine Verlängerung des PLO-Apparates gewesen.

Die Fatah wird eine politische Denkpause einlegen und die Fehler analysieren, die selbst ihre Führer einräumen. Der Konflikt zwischen so genannter alter Garde und neuer Garde kann in Ruhe ausgetragen werden. Er wird wahrscheinlich mit einem Generationswechsel enden – wenn die alte Garde nicht doch durchsetzt, sich an der Regierung zu beteiligen. Damit wäre allerdings der nötige Reflektionsprozess erneut verschoben. Die Fatah ist zwar geschwächt, aber sie ist noch die stärkste Kraft in der PLO. Und sie hat ein organisatorisches Rückgrat und eine lange Geschichte, die ein Verschwinden von der politischen Landkarte ausschließt.

Die islamistische Hamas war von ihrem absoluten Wahlsieg wohl ebenso überrascht wie alle Palästinenser. Ihr größtes Problem ist der Mangel an Führungspersonal – gerade in der Westbank, wo die meisten Ministerien und das Parlament angesiedelt sind. Die Organisation war immer im Gaza-Streifen stark, in der Westbank sind erst seit den Gemeinderatswahlen im vergangenen Jahr neue Gesichter aufgetaucht. Die Hamas hat durch ihr soziales Netzwerk und ihre karikativen Einrichtungen solide Organisationserfahrung, allerdings nicht in der Größenordnung einer Autonomiebehörde mit 140 000 Angestellten. Doch in den 2004 eroberten Gemeinderäten hat die Hamas sich durch Neuorganisation und Effizienz Respekt verschafft. Es ist nicht undenkbar, dass sich dies auch auf die Ebene der Autonomiebehörde übertragen lässt. Ihren Wahlerfolg verdankt die Hamas hauptsächlich dem „Saubermann“-Image, das sie bei den Palästinensern genießt – die Organisation soll in der Autonomiebehörde „aufräumen“, heißt es.

Die größten Schwierigkeiten sind wohl auf internationaler Ebene zu erwarten. Hier hat die Hamas überhaupt keine Erfahrungen. Viele Hamas-Führer kennen die Welt nur aus dem Fernsehen, da Israel sie nicht ausreisen ließ. Der in der Charta der Bewegung enthaltene Aufruf zur Zerstörung Israels und die Anschläge führen dazu, dass Israel und die USA Beziehungen zu einer Hamas-Regierung ablehnen, so lange diese nicht der Gewalt abgeschworen hat. Auch wenn die pragmatische Hamas ihre Ideologie an bestimmte Sachzwänge anpassen und dafür eine religiöse Rechtfertigung finden wird – eine Anerkennung Israels wird es ohne den Abzug aus allen besetzten Gebieten nicht geben. Israel wird daher seine unilaterale Politik des Mauerbaus und des Ausbaus der Westbank-Siedlungen fortsetzen. Von einer Verhandlungslösung war auf israelischer Seite schon seit Jahren keine Rede mehr. Gestorben ist im Augenblick vielleicht eher die Hoffnung, dass es bald wieder überhaupt zu Verhandlungen kommen könnte.

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