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 SPD-Übergangsvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel lernt: Wer die Grünen angreift, landet schnell selbst in der Defensive.

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Schäfer-Gümbel in der Defensive: Kann man die Grünen noch kritisieren?

Interims-SPD-Chef Schäfer-Gümbel hat der Klimaschutz-Partei harte Vorwürfe gemacht und Parallelen zur AfD gezogen. Dann erschrak er über sich selbst.

Selten hat eine Partei den öffentlichen Diskurs derart dominiert wie derzeit die Grünen: Als Kämpfer für einen konsequenten Klimaschutz eilen sie von einem Umfragerekord zum nächsten – und kein Kritiker kann sie stoppen. Ihr hehres Ziel schützt die Öko-Partei offenbar zuverlässig vor allen Vorhaltungen, Wer die Grünen angreift, landet schnell selbst in der Defensive.

Das musste nun auch der SPD-Übergangsvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel erleben. Er geriet am Freitagmorgen in den sozialen Netzwerken schwer unter Druck, weil er den Grünen im Tagesspiegel Vorwürfe gemacht hatte.

Was Schäfer-Gümbels Kritiker auf Twitter und Facebook in Rage brachte: Der Sozialdemokrat zog in dem Interview Parallelen zwischen Grünen und AfD. Wörtlich sagte er: „Die Grünen versuchen im Moment alles Elend dieser Welt zu reduzieren auf die Frage des Klimawandels. Das halte ich für falsch.“ Schäfer-Gümbel fügte hinzu: „Die AfD erklärt die Migrationsfrage zum Übel der Welt. Auch das halte ich für grundfalsch.“ Beides verkürze Politik in „grotesker Weise“. Die soziale Frage sei den Grünen „schnurzegal“, sie seien in politischen Prozessen eher „autoritär“.

Damit sprach Schäfer-Gümbel aus, was viele in seiner Partei insgeheim denken, aber nicht öffentlich sagen wollen. Sein Interview war einer der wenigen Versuche von Politikern der SPD, die Grünen frontal anzugreifen. In seiner Partei halten einige die Attacke für womöglich überzogen, aber im Grundsatz für richtig. Viele Sozialdemokraten würden sich aus Angst vor negativen Reaktionen gegenwärtig nicht trauen, Defizite der Ökopartei öffentlich hart zu benennen, hieß es.

Tatsächlich genießen die Grünen den Rückenwind einer machtvollen Bewegung. Laut einer Umfrage des Instituts Kantar Public halten 53 Prozent der Deutschen den Klimawandel für die Herausforderung mit dem größten Handlungsbedarf für die internationale Politik. Seit sechs Monaten protestieren zudem Hunderttausende Jugendliche bei „Fridays for Future“. Auch Wissenschaftler und Industrielle äußern Sympathie.

Bei der Europawahl zeigte das Wirkung: Die Grünen verwiesen die SPD Ende Mai erstmals bei einer bundesweiten Wahl auf den dritten Platz. Als wesentlicher Grund dafür gelten in der SPD die eigenen Defizite in der Klimaschutzpolitik. Allerdings ist die SPD auch in der Zwickmühle, denn im Osten, wo diesen Herbst in Brandenburg, Sachsen und Thüringen gewählt wird, ist engagierter Klimaschutz nicht unbedingt ein Gewinnerthema. So macht der Ausstieg aus der Kohle den SPD-Wahlkämpfern in Brandenburg schwer zu schaffen.

„Überreizung“ in der Klimadebatte

Während die Grünen bei der Klimaschutzpolitik klare Kante zeigen können und dafür in den Umfragen belohnt werden, muss die SPD also einen schmerzhaften Spagat aushalten. Auch das dürfte Schäfer-Gümbel zu seiner scharfen Attacke auf die Grünen im Tagesspiegel bewegt haben. Doch schon bald ruderte der SPD-Interimschef zurück. Schon am Freitagmorgen versicherte er auf Twitter, dass er die Ökopartei im Gegensatz zur AfD schätze. „Manchmal gibt man ein Interview und ist am nächsten Morgen erschrocken über die Überschrift und die Kritik daran. Genau das ist mir heute passiert“, erklärte er und fügte hinzu: „Zur Klarstellung: @Die_Gruenen sind in meinen Augen eine wichtige politische Kraft.“

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Ex-Umweltminister und Grünen-Urgestein Jürgen Trittin befand gleichwohl, die „verzweifelte Suche der SPD nach einem Ausweg aus der selbstverschuldeten Misere“ sei grotesk. Die SPD versuche sich in „faktenfreiem Gelaber“.

Nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Wolfgang Schroeder vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) liegt Schäfer-Gümbel aber nicht ganz falsch. Zwar seien Grüne und AfD „natürlich ganz unterschiedlich“, sagte Schroeder, der selbst Sozialdemokrat ist. Beide Parteien wiesen „aber eine strukturelle Ähnlichkeit auf, weil beide Projektionsflächen für unterschiedliche gesellschaftliche Lager sind“. Außerdem sei die Diskrepanz riesig zwischen der Wertschätzung für die Grünen „und ihrer Fähigkeit, ihre Klimaschutzziele mit wirtschaftlichen und sozialen Belangen hinreichend belastbar zusammenzudenken“.

Dass man mit Kritik an den Grünen schnell Empörung auslöst, hat vor Schäfer-Gümbel bereits FDP-Chef Christian Lindner gemerkt. Er sprach von einer „Überreizung“ in der Klimadebatte und unterstellte, die Grünen wollten den Leuten das Schnitzel verbieten. Auch Sachsens Ministerpräsident, der Christdemokrat Michael Kretschmer, sah sich heftigem Gegenwind ausgesetzt, nachdem er Grüne und AfD beschuldigt hatte, in Deutschland „politische Hysterie“ zu verbreiten. Den Grünen haben diese Angriffe nicht geschadet.

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