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"Scharia-Polizei": So gefährlich sind die Salafisten

Eine selbsternannte "Scharia-Polizei" auf Patrouille in Wuppertal löst Empörung aus. Sie rekrutiert sich aus Salafisten. Die gelten als die am schnellsten wachsende Gruppe unter den Islamisten. Wie groß ist das Problem in Deutschland?

Von Frank Jansen

Kein Alkohol, keine Musik, kein Glücksspiel: Selbst ernannte „Scharia-Polizisten“ predigen in Wuppertal ihre strengen Regeln – die radikalislamischen Salafisten treten in orangefarbenen Westen auf und patrouillieren nachts durch die Straßen. Die Scharia ist das islamische Recht. Von Salafisten wird es extrem konservativ ausgelegt. Die Politik sucht nach angemessenen Antworten.

Wie groß ist die Salafistenszene in Deutschland?

Das Bundesamt für Verfassungsschutz spricht in seinem Jahresbericht 2013 von 5500 Salafisten. Vermutlich werden es jetzt mehr als 6000 sein, etwa zehn Prozent sind Konvertiten. „Der Salafismus bleibt in Deutschland die dynamischste islamistische Bewegung“, sagt der Nachrichtendienst. Allein von 2012 bis 2013 wuchs die Szene um 1000 Personen. Ursache für die steigenden Zahlen sei die „beträchtliche Anziehungskraft, die der Salafismus insbesondere auf junge Menschen, häufig Konvertiten, ausübt“. Außerdem wanderten junge Anhänger anderer islamistischer Organisationen verstärkt zu den Salafisten ab. Das Wachstum der Szene scheint demnach auch ein Indiz für einen Umbruch im islamistischen Spektrum zu sein. Vergleichsweise brave  Organisationen, wie die türkische Milli Görüs, sind offenbar für junge Muslime, die den radikalen Kick suchen, zu langweilig.

Wo sind ihre Hochburgen?

Brennpunkt ist derzeit vor allem  Nordrhein-Westfalen. Fast ein Drittel der salafistischen Szene, 1800 Personen, hält sich hier auf. In mehreren Städten erregten die frommen Fanatiker Aufsehen, darunter in Wuppertal,  Solingen, Bonn und Dinslaken. Die Patrouillen einer selbst ernannten "Scharia-Polizei" in Wuppertal sind noch ein vergleichsweise harmloses Phänomen. Im Mai 2012 waren Solingen und Bonn Schauplatz salafistischer Krawalle anlässlich provokativer Auftritte der islamfeindlichen, rechtsextremen Kleinpartei „Pro NRW“. Aus Dinslaken zog offenbar 2013 ein Trupp Salafisten nach Syrien. Einer der Männer posierte im Februar dieses Jahres auf einem Foto im Internet mit dem Kopf eines enthaupteten Mannes. Das Opfer war mutmaßlich ein Kämpfer einer mit der Terrormiliz „Islamischer Staat“, damals noch „Islamischer Staat im Irak und Großsyrien“ rivalisierenden Gruppierung.  Außerhalb von Nordrhein-Westfalen gibt es salafistische Milieus vor allem in Berlin, Hamburg und Frankfurt am Main. 

Wie gefährlich sind sie?

Den ersten und bislang einzigen vollendeten islamistischen Anschlag in Deutschland hat ein Salafist verübt. Der aus dem Kosovo stammende Arid Uka erschoss am 2. März 2011 am Flughafen Frankfurt am Main zwei amerikanische Soldaten und verletzte zwei weitere schwer. Bei den Ausschreitungen im Mai 2012 in Solingen und Bonn attackierten Salafisten die Polizei so heftig wie nie zuvor. Zunächst flogen Steine, in Bonn ging dann ein Extremist mit einem Messer auf Beamte los. Zwei Polizisten wurden durch Stiche schwer verletzt. Den Täter Murat K. verurteilte das Landgericht Bonn im Oktober 2012 zu sechs Jahren Haft. Der Vorsitzende Richter bezeichnete den Salafisten als „Prototyp des Fanatikers und brandgefährlich“. Weitere Beispiele für lebensgefährdende Kriminalität sind mutmaßlich der nur knapp gescheiterte Bombenanschlag auf den Bahnhof in Bonn und die geplante Ermordung des Vorsitzenden der Partei Pro NRW, Markus Beisicht. 

Wer sind die führenden Köpfe?

Einige der mehr oder minder religiös versierten Prediger und Agitatoren haben deutschlandweit Einfluss auf die Szene. Bekannt ist vor allem der ehemalige Boxer Pierre Vogel, der im Internet und bei öffentlichen Veranstaltungen mit einer lockeren Sprache versucht, junge Muslime in das strenggläubige Milieu zu ziehen. Drahtzieher der Scharia-Polizei in Wuppertal ist offenbar Sven Lau, einst Feuerwehrmann und wie Pierre Vogel ein Konvertit. In Mönchengladbach war Sven Lau einer der Wortführer im salafistischen Verein „Einladung zum Paradies“. Im Februar sagte Lau dem WDR, er habe im syrischen Bürgerkrieg humanitäre Hilfe geleistet. Kurz darauf wurde Lau festgenommen. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart warf ihm vor, er habe im Oktober 2013 einen Deutschen dazu angestiftet, nach Syrien auszureisen und für „dschihadistische Truppen“ zu kämpfen. Die Beweise waren aber offenbar dünn, im Mai kam Lau wieder frei und tummelt sich jetzt in Wuppertal.

Ein weiterer Wortführer der Szene ist der Österreicher Mohamed Mahmoud. Er saß von 2007 bis 2011 in seinem Heimatland wegen terroristischer Aktivitäten in Haft und war danach Chef der Gruppierung Millatu Ibrahim, die im Juni 2012 vom damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) verboten wurde. Anhänger von Millatu Ibrahim hatten sich im Mai 2012 an den Krawallen in Solingen und Bonn beteiligt. Im März 2013 nahm die türkische Polizei Mahmoud fest, der offenbar zu Dschihadisten in Syrien reisen wollte.  

Wie viele sind von Deutschland in den Dschihad gezogen?

Der Berliner Verfassungsschutz spricht in einer aktuellen Lageanalyse von mehr als 400 Islamisten aus Deutschland, „die überaus meisten davon Salafisten“, die in den syrischen Bürgerkrieg gereist seien. Es gebe Hinweise, „dass bereits 40 dort verstorben sind“. Sicherheitsexperten berichten zudem, dass sich kaum noch Salafisten in die pakistanische Region Wasiristan begeben, die Hochburg der islamistischen Terrorszene an der Grenze zu Afghanistan.

Syrien und jetzt auch Irak sind weit attraktiver, weil diese Schlachtfelder des heiligen Krieges leichter zu erreichen sind, vor allem über die Türkei. Außerdem begeistert sich die Szene in Deutschland für die militärischen Erfolge islamistischer Gruppierungen, insbesondere die Eroberungen der Terrormiliz  „Islamischer Staat“.

Bei ihr ist auch der Berliner Denis Cuspert gelandet, der vom Rapper „Deso Dogg“ zu einer Art Parade-Dschihadist mutiert ist. Cuspert steht im Mittelpunkt der Lageanalyse des Berliner Verfassungsschutzes. Der 38-jährige Salafist verfüge inzwischen „über direkten Zugang zu Führungskreisen des IS“, schreibt der Nachrichtendienst. Die extremistische Karriere Cusperts erscheint auf makabere Weise atemberaubend. Der Mann habe sich „innerhalb von vier Jahren von einem zwar beachteten, aber wirtschaftlich wenig erfolgreichen ,Gangsta-Rapper’ zu einem international wahrgenommenen, dschihad-salafistischen Propagandisten“ entwickelt, heißt es in der Studie. Zumal Cuspert im September 2013 bei einem Luftangriff in Syrien eine schwere Kopfverletzung erlitt und knapp überlebte. Der Mann gilt in der Szene  jetzt auch als Kriegsheld.

Aus Sicht des Verfassungsschutzes ist Cuspert ein Vorbild gerade für junge Salafisten, die sich weiter radikalisieren. Populär sind bei ihnen vor allem Cusperts Kampfgesänge. Im Juli 2013 veröffentlichte er von Syrien aus einen solchen „Nashid“ mit dem Titel „al Jannah, al Jannah“ (das Paradies, das Paradies). Cuspert beschreibt seine Sehnsucht, als Selbstmordattentäter zu sterben. „Ich wünsch’ mir den Tod und kann ihn nicht erwarten, bewaffnet mit Bomben und Granaten“, singt er, „in die Kaserne der Kreuzzügler, drück’ auf den Knopf, al Jannah, al Jannah, ich zünd’ die Bombe inmitten der Menge, drück’ auf  den Knopf, al Jannah, al Jannah“. Und er nennt Ziele mutmaßlich außerhalb Syriens und des Irak, „in der U-Bahn, drück’ auf den Knopf“.

Cusperts Beispiel könnte Schule machen

Gerade diese Zeile verdeutlicht die Gefahr für die Heimatländer der nach Syrien und Irak gereisten Dschihadisten. Die Sicherheitsbehörden sorgen sich, zurückkehrende Salafisten – bislang sind mehrere Dutzend nach Deutschland zurückgekehrt - könnten hier schwere Anschläge begehen. Ein mutmaßlicher Syrienkämpfer, der Franzose Mehdi Nemmouche, hatte im Mai im Jüdischen Museum in Brüssel vier Menschen erschossen. Cuspertes Propaganda könnte aber auch, befürchten Experten,  junge Salafisten in Europa motivieren, hier selbst als Terroristen aktiv zu werden. Einen Fall gibt es bereits. Der Kosovo-Albaner Arid Uka soll sich laut Verfassungsschutz vor dem Attentat auf US-Soldaten in Frankfurt auch mit Kampfgesängen von Cuspert aufgeputscht haben.    

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