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Politik: Scharons politischer Urknall

Israels Parteienlandschaft ordnet sich neu – Palästinenser hoffen auf Chance für gemäßigtere Politik

Ariel Scharon hat sich entschieden. Für eine von der breiten Öffentlichkeit in Israel befürwortete Politik, gegen seine von ihm gegründete Likud-Partei. Die von ihm angestrebte und von der Knesset am Montag beschlossene Parlamentsauflösung kommt seinem Rücktritt und damit demjenigen seiner Regierung gleich, und führt direkt zu vorzeitigen Neuwahlen, wohl im März.

Zwei Ereignisse sind es, die Scharon dazu veranlasst haben: die Weigerung der parteiinternen „Rebellen“, nach Abschluss des Abzuges aus dem Gazastreifen wieder ins Regierungslager zurückzukehren. Und die überraschende Wahl des Gewerkschaftsbosses Amir Peretz zum neuen Chef der Arbeitspartei, die er sofort aus der Regierung herausführte. Regieren war unter diesen Umständen unmöglich, Scharon weit von einer parlamentarischen Mehrheit entfernt.

Der „Urknall“, von dem seit Monaten die Rede war, wurde so unvermeidlich. Der „große Urknall“ ist ausgeblieben, nämlich eine Spaltung sowohl des Likud als auch der Arbeitspartei, und die Gründung einer aus den Abspaltern beider Gruppierungen gebildeten neuen Partei. Der nun erfolgte „kleine Urknall“ bringt immerhin auch die Abspaltung eines Drittels der Likud-Fraktion unter Scharon, aus dem sich die neue Partei „Nationale Verantwortung“ bildet. Als deren wahrscheinlich einziger wesentlicher Zuzug aus der Arbeitspartei dürfte sich Minister Haim Ramon ihr anschließen. Nicht aber der über seine Niederlage gegen Peretz grollende Schimon Peres.

Der Likud geht mit dem Austritt seines Gründers und Vorsitzenden Scharon nicht unter. Doch schon die seit längerem anhaltenden und sich nun explosionsartig ausweitenden Diadochenkämpfe lassen erahnen, wie schwer es den Restbeständen der Partei fällt, auch nur den Anschein von Einigkeit, eines „Zusammenschlusses“ (hebräisch: Likud) zu erwecken.

Schon jetzt gibt es nicht weniger als sieben Kandidaturen für das von Scharon geräumte Amt des Parteivorsitzenden und Spitzenkandidaten. Obwohl für jedermann feststeht, dass sechs gegen Ex-Ministerpräsident Benjamin „Bibi“ Netanjahu keine echte Chance haben. Netanjahu als Likud-Chef ist der Wunschgegner sowohl Scharons als auch Peretz’. Denn Netanjahu hat als Finanzminister unter Scharon einen radikal neoliberalen Kurs gesteuert – mit verheerenden gesellschaftlichen Folgen. Nicht nur Peretz macht ihn für Armut verantwortlich, für die Ausbreitung der Arbeitslosigkeit, die Angst um den Arbeitsplatz, die weit geöffnete Schere zwischen Arm und Reich und die verheerende Kürzung von Renten und Sozialhilfe. Scharon wird versuchen, den Wähler zu überzeugen, dass für all dieses von seiner Regierung abgesegnete Unheil allein sein ehemaliger Finanzminister Netanjahu geradezustehen hat.

Das heißt auch, dass beim bevorstehenden Wahlkampf erstmals seit Staatsgründung die soziale Frage, also ein innenpolitisches Thema, im Zentrum stehen wird. Entweder allein, wie es Arbeitsparteichef Amir Peretz hofft. Oder, wahrscheinlicher, zusammen mit den außen- und sicherheitspolitischen Aussagen, in denen sich Scharon und Peretz einander zunehmend annähern und gleichzeitig deutlich von Netanjahus Kurs absetzen.

In der noch amtierenden Knesset hatte Scharon für seine im Ausland – vor allem in Washington – gelobte und von der Bevölkerungsmehrheit getragene Politik gegenüber den Palästinensern über keine Mehrheit mehr verfügt. Im künftigen Parlament wird er wohl eine bilden können – mit seiner Partei „Nationale Verantwortung“ und der Arbeitspartei als mächtigem Kern. Der Rest-Likud, so hat es den Anschein, wird sich auf den Oppositionsbänken wiederfinden, zusammen mit der noch militanteren äußersten Rechten.

Das wiederum dürfte nicht nur die Palästinenser erfreuen, die plötzlich wieder Chancen für eine gemäßigtere israelische Politik sehen. Es wird sicherlich auch die um Demokratie und Rechtsstaat bangende Mehrheit der Israelis erfreuen. Jahrelang litt der jüdische Staat unter einer fast diktatorischen Solo-Führung durch Scharon, der demokratische Entscheidungen seiner eigenen Partei ignorierte, Versprechen gleich reihenweise brach, seine Minister nicht über seine Pläne informierte und sie höchstens im Nachhinein abstimmen ließ, vorher aber noch deren Widerstand mittels Entlassungen brach. Doch als noch weit schlimmer erwies sich die unter Scharons Herrschaft wuchernde Korruption, die Vetternwirtschaft des Likud-Zentralkomitees. Gegen elf Regierungsmitglieder und Abgeordnete laufen gegenwärtig Ermittlungen – zum Beispiel gegen Ariel Scharon. Erste stehen bereits vor ihrer Verurteilung – zum Beispiel sein Sohn Omri Scharon.

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