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Politik: Scharping fürchtet eine offene Debatte um die Bundeswehr - und schadet sich selbst (Kommentar)

Es war einmal ein Finanzwissenschaftler namens Bareis. Der hat mit seiner Kommission dem Bundesfinanzminister Theo Waigel einen Vorschlag für eine Steuerreform unterbreitet.

Von Robert Birnbaum

Es war einmal ein Finanzwissenschaftler namens Bareis. Der hat mit seiner Kommission dem Bundesfinanzminister Theo Waigel einen Vorschlag für eine Steuerreform unterbreitet. Waigel hat das Gutachten der Bareis-Kommission als anregende Lektüre gelobt - und schnurstracks in den Wiedervorlagen-Ordner unter "N" abgelegt: Erneut vorzulegen am Sankt-Nimmerleins-Tag.

Richard von Weizsäcker und seine Wehrstruktur-Kommission konnten also wissen, welches Schicksal unabhängigen Kommissionen hierzulande blüht. Erst recht, wenn sie Vorschläge unterbreiten, die im besten Sinne radikal sind, also an der Wurzel des Problems ansetzen. Der Weizsäcker-Kommission ergeht es freilich noch übler als dem Bareisschen Expertenkreis. In dem Augenblick, in dem sie ihren Bericht übergibt, verkündet der Verteidigungsminister Rudolf Scharping, dass er sich nicht daran zu halten gedenke. Das ist nicht nur stillos. Das ist dreist. Und vor allem unklug.

Die Kommission hat ein Konzept vorgelegt, das in vieler Hinsicht das Prädikat "beachtlich" verdient. Die - inklusive Sondervoten - gut 150 Seiten sind so ziemlich das Klarste und übrigens auch Allgemeinverständlichste, was seit langem über die Bundeswehr gesagt worden ist. Dem Papier ist eine große Leserschaft zu wünschen, besonders im Bundeskabinett.

Umstrittendster Punkt ist das Modell der "Auswahlwehrpflicht": Im Regelfall nur noch 30 000 junge Männer will die Kommission für jeweils zehn Monate einberufen lassen. Das sei, rufen die Kritiker, keine Wehrgerechtigkeit mehr. Aber das Argument der Kommissionsmehrheit, Gerechtigkeit könne nicht nur nach dem Prinzip "Entweder alle oder keiner" definiert werden, ist nicht von der Hand zu weisen. Wenn die Bundeswehr mehr als diese 30 000 Mann tatsächlich nicht braucht - worüber gesondert zu reden wäre -, dann wäre es in der Tat ja ungerecht, wenn der Staat mehr junge Männer zum Dienst nur um des Dienstes willen zwingen würde.

In den vier Wochen, die der Verteidigungsminister sich selbst und der Regierung Zeit geben will, um über die Zukunft der Bundeswehr zu entscheiden, ist das nicht ernsthaft zu diskutieren. Das ist leider genau der Grund für Scharpings Eile: Er will sich den Schneid als der größte Wehrreformer nicht abkaufen lassen. Darum nennt er in dem Moment, in der Weizsäcker ihm seinen Bericht überreicht, seine eigene Zielzahl, die natürlich höher ist. Scharping sollte aber den Ex-Kollegen Waigel zu Rate ziehen. Der kann ihm erzählen, dass die Wiedervorlage "N" kein sicheres Endlager für politisch unliebsame Empfehlungen ist. Das Bareis-Papier hat ein Wiedergänger-Dasein geführt. Es ist noch heute Richtmaß in der Steuerdebatte.

Das Weizsäcker-Papier hat das Zeug zum Richtmaß in der Wehrdebatte. Scharping ist - anders als damals Waigel - in der Tat willens, Reformen anzugehen. Aber die Art und Weise, wie er seine eigene Kommission für überflüssig erklärt, hat nichts mit Führungsstärke zu tun. Sondern mit Angst vor einer Debatte mit ungewissem Ausgang. Und genau diese Debatte hat der Bericht, hat die Bundeswehr, hat diese Gesellschaft verdient.

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