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Politik: Schatten der Vergangenheit

Für Frankreich ist der Völkermord in Ruanda erledigt: Verantwortlich sei das heutige Regime in Kigali

Anklage steht gegen Anklage. 14 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda, bei dem 800 000 Menschen ums Leben kamen, gibt es zwischen dem afrikanischen Land und Frankreich weiter keine Annäherung in der Frage, wie sie mit der schweren Last der Vergangenheit umgehen sollen. Frankreich war mit Ruanda damals durch militärischen Beistand verbunden. Nachdem die ruandische Regierung in dieser Woche den Bericht der Untersuchungskommission unter Vorsitz ihres früheren Justizministers Jean de Dieu Mucyo veröffentlichte, haben sich die Fronten zwischen Kigali und Paris sogar noch weiter verhärtet. Frankreich, so lautet das Fazit der Kommission, habe nicht nur von den Vorbereitungen der Massaker Kenntnis gehabt, bei dem Angehörige der Tutsi-Minderheit von fanatisierten Hutus regelrecht abgeschlachtet wurden. Vielmehr habe Paris die Durchführung der Massaker zumindest indirekt begünstigt.

Die französische Regierung hatte der Kommission von sieben Juristen und Historikern mit dem Auftrag, „Beweise für die Verwicklung des französischen Staats in den Völkermord zusammenzutragen“, schon vorher die Legitimität abgesprochen und sie nicht in Paris empfangen. Den Bericht der Kommission hält man jetzt nicht einmal einer Antwort für würdig. Das Außenministerium begnügte sich damit, ihn durch einen Sprecher als „völlig unannehmbar“ zurückweisen zu lassen.

Neu sind die Anschuldigungen nicht. Erstmals wurden diese aber anhand von bisher unbekannten Dokumenten und Zeugenaussagen auf 500 Seiten präzisiert: Mittäterschaft durch Waffenlieferungen und Beistand bei der Ausbildung von paramilitärischen Gruppen, die später zu Mörderbanden wurden, Passivität bei Brandschatzung, Folterung und Mord sowie Komplizenschaft höchster militärischer, diplomatischer und politischer Kreise. Erstmals werden auch die Namen von 33 französischen Politikern und hohen Militärs genannt, denen Ruanda eine Mitverantwortung für den Genozid vorwirft: vom damaligen konservativen Premierminister Edouard Balladur bis über den Generalsekretär des Elysée-Palastes und späteren sozialistischen Außenminister Hubert Védrine bis zu Jean-Christophe Mitterrand, dem Sohn des sozialistischen Präsidenten François Mitterrand, der seinem Vater bis1992 als Afrika-Berater gedient hatte.

Was von diesen Anschuldigungen im Einzelnen zu halten ist, muss eine genauere Analyse des Berichts zeigen. Doch in Paris tat man die „absurden Behauptungen“ (Védrine) sofort als eine Retourkutsche des ruandischen Staatschefs Paul Kagame ab. 1998 hatte eine Kommission des französischen Parlaments unter Vorsitz des ehemaligen sozialistischen Verteidigungsministers Paul Quilès Frankreich von jeglicher Verantwortung freigesprochen. Die langjährige militärische Unterstützung für das frankofone Regime des damaligen ruandischen Präsidenten Juvénal Habyarimana, eines Hutu, gegen die anglofonen Tutsi-Rebellen des heutigen Staatschefs Kagame sei zwar ein „globaler strategischer Irrtum“ gewesen. In den Genozid sei Frankreich jedoch nicht verwickelt gewesen. 2006 drehte der Pariser Untersuchungsrichter Jean-Louis Bruguière den Spieß um. Er machte Kagame für das Attentat auf das Flugzeug verantwortlich, bei dem Habyarimana am 6. April 1994 ums Leben kam und das dann den mörderischen Rachefeldzug der Hutus an den Tutsi auslöste. Gegen Kagame und acht andere Führer seines Regimes erwirkte Bruguière internationale Haftbefehle. Darauf brach Ruanda die diplomatischen Beziehungen zu Frankreich ab.

Bei einem Treffen im vergangenen Dezember in Lissabon glaubte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy zwar, eine „leichte Annäherung“ zwischen Kigali und Paris festzustellen. Doch Präsident Kagame hat den Affront, wie sich jetzt zeigt, nicht verwunden. Bei der Veröffentlichung des Berichts der Untersuchungskommission kündigte sein Justizminister Tharcisse Karugarama die „gerichtliche Verfolgung“ der darin genannten französischen Persönlichkeiten vor der internationalen Justiz an.

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