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Politik: Schatten des Irakkriegs

Von Clemens Wergin

Es ist viel von Waterloo die Rede in Britannien und Frankreich. Am Tag, als der EUGipfel scheiterte, jährte sich die Niederlage Napoleons I. zum 190. Mal. Parallelen zur Niederlage, die Tony Blair dem französischen Präsidenten Jacques Chirac beigebracht hat? Wer nach Gründen sucht für die gegenwärtige Krise, tut besser daran, sich an einen anderen Krieg zu halten. Was Europa gerade erlebt, ist nicht etwa eine Wiederauflage von Waterloo, sondern eine Folge des Irakkriegs und der Spaltung Europas, die er mit sich brachte.

Die deutsch-französische Achse auf der einen, Großbritannien und einige Neueuropäer auf der anderen Seite: Diese Konstellation lähmt Europa seit mehr als zwei Jahren. Und es ist einigermaßen absurd, dass Blair heute mit ähnlichen Argumenten gegen die EU-Agrarsubventionen kämpft wie einst Schröder, während der Kanzler die Seiten gewechselt hat. Beim Kopenhagener EU-Gipfel im Oktober 2002 hatte der Kanzler einen Pakt mit Frankreich geschlossen, der die französischen Bauern weitgehend ungeschoren ließ. Danach stand Chirac seinerseits fest zu Schröder in Sachen Irak, was Deutschland vor der internationalen Isolierung bewahrte und beide Staaten zum Zentrum der Antikriegsbewegung machte. Seither halten beide in Nibelungentreue zusammen – was eine deutsche Vermittlerrolle in der EU-Krise unmöglich macht.

Auch Blairs Halsstarrigkeit geht auf die Verletzungen der vergangenen Jahre zurück, als man ihn besonders in Paris wie einen Paria behandelte, der Europas Identität mit seiner engen Anbindung an die USA bedrohe. Im Vorfeld des Irakkriegs war Blair im Herbst 2002 eben auch nicht stark genug, den Agrarkompromiss zu verhindern. Damals, vor dem Beitritt der osteuropäischen Länder, wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, die berechtigten Fragen nach der Zukunftsfähigkeit Europas zu stellen. Jetzt erschüttert der Konflikt ein ohnehin geschwächtes Europa.

Unter diesen Vorzeichen droht die von Blair ausgelöste Grundsatzdebatte zum Opfer nationaler und persönlicher Eitelkeiten zu werden. Dennoch muss die EU diese Auseinandersetzung führen. Im Kern geht es um zwei Fragen: Wie machen wir Europa fit für den schärfer werdenden internationalen Wettbewerb? Und wie soll sich Europa außenpolitisch zeigen, als Partner oder Konkurrent der USA? Die zweite Frage ist schon gegen Chirac entschieden worden: Mit dem gescheiterten Referendum in Frankreich ist die Idee vom gaullistischen Europa, das sich als Gegengewicht zu den USA positioniert, hinfällig. Nun hält Blair den richtigen Zeitpunkt für gekommen, die EU auch wirtschaftlich „britischer“, sprich dynamischer, machen zu können.

Wenn Blair den langen Hebel des Britenrabatts dafür einsetzt, dass Europa weniger Geld für die Vergangenheit ausgibt und mehr für die Zukunft, dass mehr Mittel in Forschung und Entwicklung fließen und weniger in Agrarsubventionen, dann können ihm die Europäer nur dankbar sein. Allein: Im Kampf gegen Chirac hat Blair überzogen und Osteuropäer vergrätzt, die auch in der Wirtschaftspolitik die natürlichen Verbündeten der Briten wären. Selbst wenn Schröder bald abtreten sollte, Chirac bleibt lange genug im Amt, um Blair, der am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, sein Waterloo beizubringen. Dynamisch scheint die EU im Moment nur in einem Sektor zu sein: bei der Produktion von Niederlagen. Damit sich das ändert, braucht Europa eine neue Generation von Politikern. Die alten tragen zu viel von dem Gift in sich, das der Irakkrieg nach Europa brachte.

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