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Matthias Schrade, Bundesvorstand der Piratenpartei, wird sein Amt nach dem Parteitag in Bochum aufgeben.

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Scheidender Bundesvorstand im Interview: „Die Piraten sind anders, und das ist gut so“

Matthias Schrade, Bundesvorstand der Piratenpartei, wird sein Amt nach dem Parteitag in Bochum aufgeben - wegen persönlicher Differenzen mit Spitzenpirat Johannes Ponader. Im Interview spricht Schrade über die Chancen seiner Partei - und die größten Gefahren auf dem Weg in Richtung Bundestag.

Herr Schrade, vor ein paar Wochen haben Sie noch angekündigt, zurücktreten zu wollen, wenn der politische Geschäftsführer Johannes Ponader weiter im Amt bleibt. Er bleibt – und Sie?

Ich werde wie angekündigt nach dem Bundesparteitag aus meinem Amt ausscheiden. Aber die Organisation des Parteitags werde ich noch zu Ende führen und dann außerhalb des Bundesvorstandes meine Arbeit für die Piratenpartei fortsetzen.

Das heißt, Sie sehen keine Entwicklung, die Sie bewegen könnte, doch zu bleiben?

Veränderungen wären natürlich möglich gewesen. Und ich hätte mir gewünscht, dass es anders läuft. Im alten Bundesvorstand hatten wir ein echtes Dreamteam, aber so ein Glück hat man einfach nicht jedes Mal.

Was genau kritisieren Sie denn?

Es geht ausschließlich um Probleme in der Zusammenarbeit und nicht um politische Fragen. Es macht einfach keinen Sinn, das fortzusetzen und so die eigene Produktivität und die des gesamten Bundesvorstandes zu reduzieren. Es geht dabei um persönliche Differenzen zwischen Johannes und mir, mehr will ich dazu nicht mehr sagen.

Sind Sie enttäuscht, dass sich der Rest ihres Vorstandes für Johannes Ponader und damit gegen Sie entschieden hat?

Das ist ja keine Entscheidung des Bundesvorstandes, sondern er persönlich hat sich entschieden, weiter im Amt zu bleiben. Es ist sein Recht, so zu entscheiden, und das akzeptiere ich. Meine Lebensplanung ist trotzdem darauf ausgerichtet, bis zur Bundestagswahl voll für die Piraten da zu sein.

Das heißt, Sie haben auch ihren Beruf aufgegeben, obwohl sie zurücktreten?

Ich habe mich zumindest aus meiner Firma, die ich mitgegründet habe, als Geschäftsführer zurückgezogen und bin seit Jahresanfang nur noch freiberuflich aktiv. Das ist mit heftigen Einkommenseinbußen verbunden. Aber ich will bei der Entstehung und Entwicklung dieser neuen Partei dabei sein. So etwas passiert nur alle 30 bis 40 Jahre und ich hatte die Wahl, entweder jetzt mitzumachen oder als 70-Jähriger noch mal voll aufzudrehen. Da habe ich mich für jetzt entschieden.

Für ihren Bundesparteitag gibt es 650 Programmanträge, und es ist noch ziemlich unklar, welche davon überhaupt diskutiert werden. Besteht bei dieser Methode nicht das Risiko, am Ende wieder keine Beschlüsse zu aktuellen Themen treffen zu können?

Die Mitglieder entscheiden bei uns, was sie diskutieren wollen. Und das ist kein Risiko, sondern unsere Stärke. So beantworten wir nicht die gleichen Fragen, die die anderen Parteien auch haben. Ohne diesen Mechanismus wäre das Thema Transparenz gar nicht so groß und zu unserem Alleinstellungsmerkmal geworden.

Welches Signal soll von diesem Parteitag dann ausgehen?

Wir werden natürlich einige Themenfelder, die wir im Bundesprogramm noch nicht haben, abdecken. Ich erwarte aber vor allem, dass wir demonstrieren, wie konstruktiv wir arbeiten können. Uns wird ja immer wieder vorgeworfen, das sei alles so chaotisch bei uns. Aber wir sind in der Lage, einen Bundesparteitag reibungslos abzuwickeln, der mit an die 2000 Teilnehmern um ein Mehrfaches größer ist als bei anderen Parteien. Und das mit einem deutlich geringeren Budget. Wir müssen mit 64000 Euro hinkommen, zum Vergleich: Die FDP hatte bei ihrem Parteitag in Rostock etwa 1,5 Millionen Euro und nur 660 Delegierte. Wir werden aber auch zeigen, dass wir inhaltliche Debatten basisdemokratisch führen. Es werden sich wieder Leute bis zu einer Stunde lang in eine Schlange stellen, um einen Redebeitrag von 60 Sekunden abzuliefern. Das funktioniert, man muss es nur wollen. Entscheidend ist bei den Piraten eben nicht, was eine Handvoll Bundesvorständler macht, sondern die 34 000 Mitglieder.

Das heißt, Personen spielen bei den Piraten nach wie vor keine entscheidende Rolle?

Personen spielen schon eine Rolle, weil über Personen oder Gesichter auch Themen transportiert werden. Aber wir sind nicht von ein paar prominenten Köpfen abhängig.

Aber ehrlich gesagt, mit Frau Weisband ging es ihnen besser als mit Herrn Ponader.

Mag sein. Aber das war auch eine andere Zeit. Als Marina Weisband noch Politische Geschäftsführerin war, schwebten wir auf einer Beliebtheitswolke. Jetzt wird von uns verlangt zu liefern. Und so ein Prozess verläuft nicht ohne blaue Flecken und persönliche Differenzen. Da werden kleine Streitereien auch mal zum großen Skandal aufgeblasen. Aber wir werden unserer Art treu bleiben. Wir sind anders, und das ist auch gut so.

Schafft es die Piratenpartei in den Bundestag?

Wir haben eine reelle Chance, in den Bundestag zu kommen. Aber es ist noch viel zu früh für eine Prognose. Falls wir reinkommen, erklimmen wir eine ganz neue Stufe. Viele halten uns ja schon für eine Bundestagspartei und sind ganz überrascht, wenn sie erfahren, dass wir noch gar nicht drin sind. Der Einzug wäre ein Meilenstein.

Was ist die größte Gefahr auf dem Weg dorthin?

Die größte Gefahr ist, dass wir uns nur mit uns selbst beschäftigen. Und dass wir uns zu sicher fühlen. Aber mit den momentanen Umfragewerten dürfte zumindest diese Gefahr gebannt sein – ich finde die deshalb gar nicht so schlecht.

Matthias Schrade (33) ist seit Mai 2011 Vorstandsmitglied der Piratenpartei. Er ist Finanzanalyst und derzeit freiberuflich tätig. Das Gespräch führten Karin Christmann und Christian Tretbar.

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