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Deutsch-Polnische Grenze

© ddp

Schengen-Erweiterung: Grenzenlose Freiheit in Europa

Heute, Punkt Mitternacht, fallen die Grenzkontrollen zu neun neuen EU-Staaten weg. Für die einen ist die neue Reisefreiheit zwischen Ost und West die endgültige Überwindung des Eisernen Vorhangs, für die anderen ein Unsicherheitsfaktor.

1950 setzten die ersten  Pro-Europäer Schlagbäume an der deutsch-französischen Grenze in Brand und stellten Schilder auf: „Sie bleiben in Europa“. Damals hätten sich die Aktivisten vermutlich nicht träumen lassen, dass es gut ein halbes Jahrhundert später in fast ganz Europa keine Grenzkontrollen mehr gibt. Beim Festakt in Zittau am Freitag werden Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Kollegen Donald Tusk aus Polen und Mirek Topolanek aus Tschechien die historische Dimension des Tages würdigen und sich gegenseitig auf die Schulter klopfen.

Neun weitere EU-Staaten treten dann offiziell dem Schengener Abkommen bei. Es handelt sich um alle EU-Neu-Mitglieder von 2004 außer Zypern. Der Vertrag wurde 1985 im luxenburgischen Schengen unterzeichnet. Er regelt die Reisefreiheit innerhalb der EU, Grenzkontrollen werden abgeschafft.

Angst vor Zwangsprostitution und Menschenhandel

Für einige ist das ein Grund zur Besorgnis: Vor allem die Polizeigewerkschaft GdP sieht die Erweiterung des Schengen-Raumes durchaus skeptisch. Josef Scheuring, der Chef des Bezirks Bundespolizei der GdP fürchtet, dass die illegale Einwanderung aus osteuropäischen Nicht-EU-Staaten und damit auch die organisierte Kriminalität zunehmen werde. Drogenhandel, Waffenschiebereien und illegale Prostitution seien Probleme, mit denen zu rechnen sei, so Scheuring im Gespräch mit Tagesspiegel.de. „Wir müssen davon ausgehen, dass die illegale Einwanderung über den Osten ansteigen wird.“

Gefahr geht nicht so sehr von den EU-Außengrenzen aus, glaubt Burkhard Haneke vom Aktionsbündnis gegen Frauenhandel. „Die Außengrenzen werden mit dem neuen Grenzregime, das über Jahre hinweg aufgebaut wurde, eher dichter.“ Er sieht die Gefahren eher innerhalb der Europäischen Union. Auch Litauen und die Slowakei gälten beispielsweise als Herkunftsländer für Frauenhandel und Zwangsprostitution. „Wenn es keine Grenzkontrollen mehr gibt, wird es für diejenigen, die das organisieren, künftig deutlich einfacher.“

Frühere Bedenken haben sich nicht erfüllt

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, der nicht im Ruf steht, bei Fragen der inneren Sicherheit und der illegalen Einwanderung nachlässig zu handeln, teilt keine dieser Bedenken. Er beruft sich auf seine Erfahrungen, als vor gut zehn Jahren die Kontrollen an der deutsch-französischen Grenze wegfielen. „Da gab es in den 90er Jahren vor der Schengen-Öffnung ganz ähnliche Befürchtungen, die sich alle nicht erfüllt haben“, so Schäuble. Für ihn sei die Erweiterung des Abkommens „die Vollendung dessen, was vor 18 Jahren mit dem Fall der Mauer begonnen hat“, erklärte Schäuble, kurz nachdem seine Ministerkollegen in Brüssel die Grenzöffnung beschlossen hatten.

Der Verzicht auf Personenkontrollen habe auch in der Vergangenheit „nicht zu feststellbaren Beeinträchtigungen der inneren Sicherheit der Partnerstaaten geführt“, heißt es in einem Papier des Innenministeriums. Die Gegenmaßnahmen funktionieren, ist die Behörde überzeugt und verweist auf das Schengener Informationssystem, die intensivierte Sicherung der Außengrenzen und die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit.

Flexiblere Kontrolle im Innern, Schutz nach Außen

Künftig sollen die Grenzen zwischen Deutschland und den Nachbarn im Osten sogar noch sicherer werden: „Wir bauen keine Polizei ab, nur weil es keine Grenzkontrollen mehr gibt“, heißt es im Ministerium. Fahnder dürfen künftig in einem 30 Kilometer breiten Korridor diesseits und jenseits der Grenze nach Straftätern suchen.

Im Innenministerium äußern sich die Verantwortlichen daher zuversichtlich: Die neuen Schengen-Mitglieder seien vor der Entscheidung über den Beitritt gründlich „auf Herz und Nieren geprüft“ worden. Rund 960 Millionen Euro hat außerdem die EU den neuen Mitgliedern für die Verstärkung der EU-Außengrenzen seit dem Beitritt zur Verfügung gestellt.

Scheuring glaubt nicht, dass das reicht: „Außengrenzen, die man mit demokratischen Mitteln schützt, sind nicht dazu geeignet, illegale Migration in seiner Gänze zurück zu drängen.“ So lange das Einwanderungsproblem bestünde, bräuchte man auch noch die EU-Binnenkontrollen, so die Meinung Scheurings. „Der Wegfall der Grenzkontrollen kommt einfach zu früh“, kritisiert der GdP-Mann.

Internationale Kriminalität macht nicht an Schlagbäumen halt

Damit spielt Scheuring auf die Verzögerung des neuen Schengener Informationssystem an, einer Datenbank, in der etwa Fahndungsdaten gespeichert werden. Um Pannen zu vermeiden, wurde vereinbart, dass das neue Informationssystem vor der Schengen-Erweiterung fertig gestellt sein sollte. Die Neuauflage der Datenbank war bereits für das vergangene Jahr geplant. Nun schätzt die Polizeigewerkschaft, dass das neue System nicht vor Ende 2008 realisiert werden kann, die EU-Kommission geht von Anfang 2009 aus. Für die Übergangszeit wurde jetzt das alte System um die neuen Mitglieder erweitert.

Doch manchmal scheitert die Zusammenarbeit eben auch an ganz kleinen Dingen: Etwa daran, dass Polen bereits Digitalfunk benutzt, die Deutschen aber noch längst nicht so weit sind. „Es ist peinlich, aber die Polen funken bereits mit dem modernen Digitalfunk-System, wir haben immer noch den alten Analogfunk. Deshalb funktioniert die Kommunikation zwischen Polen und deutschen Beamten nicht“, kritisiert der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft Konrad Freiberg in einem Zeitungsinterview. Sein Kollege Scheuring weist auf ein weiteres Problem hin: Manchmal läge es eben einfach nur an der Sprache.

Organisierte Kriminalität, Prostitution oder auch Niedriglohnkonkurrenz - die Bedenken der Grenzbewohner sind vielfältig. Beim letzten der drei Aspekte besteht kein Anlass zur Sorge: Die Arbeitnehmerfreizügigkeit bleibt weiterhin eingeschränkt. Das heißt, dass Jobsuchende aus den neuen EU-Staaten noch bis mindestens 2009 nur unter bestimmten Voraussetzungen legal hier arbeiten dürfen und Schwarzarbeit gab es schon immer. Mit Schengen hat das nichts zu tun. Was die Sicherheit betrifft, bringt es ein Sprecher aus dem Innenministerium auf den Punkt: „International operierende Kriminalität macht nicht vor Schlagbäumen halt.“

Nicole Meßmer

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