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Grenzöffnung

© dpa

Schengen: Offene Grenzen sorgen für gefühlte Verunsicherung

100 Tage nach dem Wegfall der Grenzkontrollen im Osten klagen einige Bürgermeister über mehr Kriminalität. Andere Stadtväter sehen das deutlich gelassener - und betonen vor allem die guten Seiten der unbeschrankten Nachbarschaft.

Die Wachhäuschen an den Grenzen zu Polen und Tschechien sind verwaist. Seit einhundert Tagen herrscht Bewegungsfreiheit ohne Kontrollen im erweiterten Schengenraum. Am 21. Dezember sind die letzten Schlagbäume Deutschlands abgebaut worden. Keine Pass- oder Visumsprozeduren, keine Zollschranken, die das Einkaufen erschweren. Und keine Beamten, die Fahrzeugpapiere und Führerschein überprüfen. Doch in der östlichsten Stadt des Landes werden seit der Grenzöffnung immer mehr Autos gestohlen. Hat sich die Furcht vor den bösen Buben, die ungescholten über die Grenzen kommen und nachts die Schlösser deutscher Autos knacken, also bewahrheitet? Der Bürgermeister von Görlitz, Stefan Holthaus, nimmt die Ängste ernst. Alle Beteiligten müssten jetzt unaufgeregt ihre Arbeit machen, sagt er. „Das ist der Preis der Freiheit.“

Dabei erzählt Holthaus viel lieber von den positiven Entwicklungen. An den vier Grenzübergängen zur Schwesterstadt Zgorzelec sei deutlich mehr Verkehr zu sehen. Vor allem der Handel und der Tourismus würden vom Wegfall der Passkontrollen profitieren. „Wir sehen uns als eine Stadt zweier Nationen“, sagt Holthaus. Schon längst gibt es gemeinsame Stadtratssitzungen, Vereine und Institutionen. Seit es gemeinsame Einkaufszentren gibt, hat sich allerdings die Lage für Autodiebe verbessert. 42 Fahrzeuge wurden seit Dezember in Görlitz gestohlen. Mehr als zehnmal so viele wie im Vorjahreszeitraum. Nur einige hundert Meter sind es über die Neiße in die Zuständigkeitsbereiche der polnischen Polizei. Die Zusammenarbeit mit den Nachbarn müsse gerade in solchen Situationen verfestigt und verbessert werden, sagt Holthaus. Wahrscheinlich, so Holthaus, handele es sich bei der Diebstahlserie nicht um Einzeltäter. Die Autoschieber profitieren auch von deutschen Touristen in den Nachbarländern. Polnische und tschechische Kollegen meldeten ebenfalls steigende Diebstahlzahlen.

Zwei Stunden nördlich von Görlitz hat auch die 20 000-Einwohner-Stadt Guben mit Gubin einen polnischen Zwilling. Über Sicherheit wurde auch hier vor der Grenzöffnung viel gesprochen, Vorbereitungen gemeinsam mit der Bundespolizei getroffen. Nachdem feste Grenzposten überflüssig wurden, sollten Zoll und Grenzbeamte vor allem in einem dreißig Kilometer breiten Grenzstreifen deutlich sichtbarer auftreten. Bürgermeister Klaus-Dieter Hübner ist erstaunt, dass die Bürger überwiegend positiv reagieren. „Beide Seiten nutzen parallel die Möglichkeiten für Spaziergänge“, sagt er. Die Touristen bereichern vor allem Museen und öffentliche Einrichtungen der Stadt. Ganz problemlos sind die neuen Freiheiten jedoch nicht. „Der Vandalismus hat deutlich zugenommen“, sagt Hübner. Die Beleuchtung der neuen Fußgängerbrücke wurde innerhalb kürzester Zeit zweimal zerstört. Anwohner fühlen sich zunehmend von Jugendgruppen aus beiden Ländern belästigt. Um die Zusammenarbeit mit der polnischen Polizei zu verbessern, wird es ab dem 1. Mai gemeinsame Streifenfahrten geben. So will man mit binationaler Präsenz die Lage beruhigen und nicht darauf warten, bis die Bundespolizei ihre Beamten abzieht.

Für die Bundespolizei bedeutet ein erweiterter Schengenraum auch ein verändertes Einsatzgebiet. „Mit dem Wegfall der stationären Grenzkontrollen wird das dafür eingesetzte Personal dort so nicht mehr benötigt“, heißt es aus dem Bundespolizeipräsidium in Potsdam. In einem offenen Europa könne die Polizeiarbeit nicht mehr an nationalen Grenzen enden. Innenminister Wolfgang Schäuble will die Bundespolizei an anderen Stellen einsetzen. So sollen noch in diesem Jahr 1000 der 4000 in Sachsen stationierten Beamten umgesiedelt werden. Eine Ankündigung, die von polnische Bürgermeistern begrüßt wird. Viele seiner Amtskollegen hätten sich bereits beschwert, dass die Präsenz der Bundespolizei zu massiv sei, sagt Zittaus Bürgermeister Arnd Voigt.

Gerade in den letzten drei Monaten habe sich in Zittau aber eben auch die Einbruchsrate verdreifacht. Straftaten, die man zwar nicht so einfach Polen oder Tschechen zurechnen könne. „Doch die Sensibilität ist da“, sagt Voigt. Mütter beschweren sich über Männer in Autos mit tschechischem Kennzeichen, die ihre Töchter fotografieren und auf der Straße ansprechen. Autoschieberei ist im Dreiländereck ebenfalls ein bekanntes Phänomen. Es gebe zwar eine enge kommunale Zusammenarbeit, sagt Voigt. „Solange die Aufklärungsquote aber nicht steigt, sollte die Bundespolizei jedoch weiterhin präsent sein.“

Gerade einmal fünfzehn Kilometer westlich von Zittau liegt Ebersbach, ebenfalls an der deutsch-tschechischen Grenze. Nach der Wiedervereinigung wurden neue Satellitenschüsseln hier mit Stacheldraht gesichert, Trabbis über den Grenzfluss getragen und reihenweise Wachhunde besorgt. „Das Problem der Grenzkriminalität haben wir schon seit 17 Jahren“, sagt Bürgermeister Bernd Noack. Deshalb sei die Anzahl der Delikte seit dem Wegfall der Grenzposten auch nicht sonderlich gestiegen. Sorgen mache man sich allerdings wegen der Umstrukturierung der Bundes- und der Landespolizei, sagt Noack. Die Präsenz habe auch Einfluss auf die gefühlte Sicherheit. Gerade deshalb wird man hier besonders auf das erste Resümee nach 100 Tagen Schengen achten, das Innenminister Schäuble heute mit seinem polnischen Amtskollegen in Zittau vorstellen wird.

Alexander Glodzinski

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