zum Hauptinhalt

Politik: Schily: Karlsruhe ist schuld

Der Innenminister wirft dem Verfassungsgericht vor, es habe den Aufstieg der NPD ermöglicht

Von

Berlin - Die Wahlen haben noch gar nicht stattgefunden, aber Otto Schily hat einen Schuldigen für eines ihrer Ergebnisse schon mal ausgemacht. „Eine Partei mit deutlich ausländerfeindlicher und antisemitischer Propaganda kommt in die Parlamente“, hat der Bundesinnenminister im Gespräch mit der „Financial Times Deutschland“ konstatiert. Gemeint war die NPD, von der es Demoskopen für möglich halten, dass sie bei der Landtagswahl in Sachsen drittstärkste Kraft vor der SPD wird. Gängige Erklärungen führen das vor allem auf den Unmut zurück, der sich am Symbol Hartz IV entzündet. Schily aber hat eine andere Theorie parat: „Das ist das Ergebnis einer sehr problematischen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.“

Die roten Roben in Karlsruhe verantwortlich für bräunliche Abgeordnete in Dresden? Tatsächlich hatte das höchste deutsche Gericht Schily im Jahr 2003 eine herbe Niederlage bereitet. Der Innenminister hatte – neben anderen – ein Verbot der NPD beantragt. Die Richter hatten das Verfahren aber eingestellt, als sich nach und nach herausstellte, dass etliche als Zeugen benannte NPD-Spitzenkader für den Verfassungsschutz arbeiteten. Ein Umstand, den die Kläger dem Gericht lange verschwiegen hatten.

Schily hatte damals kein Hehl daraus gemacht, dass er die Entscheidung der Richter falsch fand. Auch andere Kläger aus den Ländern und dem Bundestag waren nicht glücklich damit. Auf die Idee, das damalige Urteil mit dem drohenden Wahlerfolg zu verbinden, ist allerdings außer dem bayerischen Innenminister Günther Beckstein und Otto Schily noch niemand gekommen. Eine Sprecherin des Verfassungsgerichts, um einen Kommentar gebeten, übt vornehme Zurückhaltung: „Das Gericht nimmt dazu nicht Stellung.“ Der inzwischen ausgeschiedene Bundesverfassungsrichter Berthold Sommer, der 2003 selbst an der NPD-Entscheidung beteiligt war, wird deutlicher. „Ich kann diesen Vorwurf nicht verstehen“, sagte Sommer dem Tagesspiegel. Schließlich habe Karlsruhe in der Sache über ein NPD-Verbot gar nicht entschieden, sondern das Verfahren wegen Fehlern eingestellt, „die der Exekutive zuzurechnen waren“. Sommer gehörte seinerzeit zu den Richtern, die diese Fehler für nicht so gravierend gehalten hatten und eine Entscheidung über das Verbot treffen wollten. Trotzdem sagt er: „Es ist voreilig und kurzschlüssig, einen möglichen Wahlerfolg der NPD in Sachsen schon vorbeugend auf das Verfassungsgericht abzuschieben.“

Auch Politiker finden Schilys These abseitig. „Unverfroren“ nennt sie der Justizminister von Rheinland-Pfalz, Martin Mertin (FDP). Wer einen Parteiverbotsantrag schlecht vorbereite, solle sich an die eigene Nase fassen – und wer die Hartz-IV-Reform den Menschen nicht vermittle, dürfe sich über Protestwähler nicht wundern. Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz geht ebenfalls auf Distanz. Sicher, die NPD gehöre verboten, sagt Wiefelspütz der „Netzeitung“. Aber: „Nicht die Richter wählen NPD.“

Zur Startseite