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Politik: Schläger mit Milizausweis

Die Ukraine bestimmt einen Nachfolger für Präsident Kutschma. Die Opposition protestiert gegen die unlauteren Mittel des Regimes

Der gesundheitlich angeschlagene Kandidat zeigte sich bei der Großdemonstration in Kiew ungebrochen. „Ich habe keine Zweifel, in einer Woche die Wahl zu gewinnen. Wir werden nicht zulassen, dass Kriminelle über das Los der Ukraine entscheiden“, sagte der ukrainische Oppositionschef Wiktor Juschtschenko. Vor über 100 000 Anhängern verbreitete er bei der Großdemonstration in Kiew am Wochenende Siegeszuversicht.

Seine Wähler forderte der 50-Jährige auf, sich in ihren Wahllokalen persönlich von der korrekten Auszählung der Stimmen zu überzeugen: „Denn Schaben und Schwindler scheuen das Licht.“ Das orangefarbene Banner der Opposition hatten sich die Demonstranten um den Arm, den Hals oder die Stirn gebunden. „Eine starke Nation gegen Lüge und Verfälschung“ lautete das Motto der Kundgebung, mit der die Opposition die Behörden ein letztes Mal vor Manipulationen bei dem als Richtungswahl geltenden Urnengang warnen wollte.

Tatsächlich mehren sich die Merkwürdigkeiten in dem mit harten Bandagen geführten Wahlkampf. In ihrer Furcht, dass sich Premier Wiktor Janukowitsch mit unlauteren Mittel die Nachfolge des scheidenden Staatschefs Leonid Kutschma sichern will, fühlt sich die Opposition bestärkt. Nicht erst seit der mysteriöses Erkrankung von Juschtschenko Anfang September, hinter der sie einen gezielten Vergiftungsversuch vermutet. Auch bei der Kundgebung am Samstag gab es Anlass zu Zweifeln: Nach der Demonstration vor dem Gebäude der Wahlkommission in Kiew griffen mit Messern, Hämmern und abgebrochene Flaschen bewaffnete Rowdys eine Gruppe von Oppositionellen an. Dutzende Menschen wurden verletzt. Drei der Angreifer konnten von Oppositionsabgeordneten überwältigt werden: Zwei trugen Ausweise der Miliz und Dienstwaffen bei sich. Der Bürgermeister von Kiew, Oleksandr Omeltschenko, sagte dann am Sonntag, er werde keine Demonstrationen mehr genehmigen. Kiew dürfe nicht zum Schauplatz politischer Unruhen werden.

Omeltschenko selbst ist einer der 24 Kandidaten für die Präsidentenwahl am kommenden Sonntag. Doch nur Janukowitsch und Juschtschenko werden Aussicht auf die Nachfolge des umstrittenen Staatschefs Kutschma eingeräumt. Lag der als Reformer geltende Juschtschenko in Prognosen lange vorn, hat der von Industrie-Oligarchen sowie von Russland unterstützte Janukowitsch nach der Verdoppelung der Mindestrente in den allerdings wenig verlässlichen Umfragen merklich an Boden gewonnen.

Das sich abzeichnende Kopf- an Kopf-Rennen lässt Beobachter neben Wahlmanipulation auch Unruhen und die Ausrufung des Ausnahmezustand nach einem verfälschten Urnengang fürchten. In der Ukraine kursieren immer häufiger Berichte über die Verstärkung der Polizei-Einheiten in Kiew und Truppenbewegungen im Süden der Hauptstadt.

Thomas Roser[Kiew]

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