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Politik: Schlechte Mischung

In der EU wächst die Furcht vor einem zunehmenden Antisemitismus – und vor importiertem Extremismus

Fast war es eine Art Wiedergutmachung. Am Donnerstag richtete die EU-Kommission in Brüssel ein Seminar aus, dessen Titel wie ein Appell klang: ,,Europa gegen den Antisemitismus". EU-Kommissionspräsident Romano Prodi und seine Kommissare waren nämlich im November vergangenen Jahres gleich zweimal kräftig ins Fettnäpfchen getreten. Zuerst veröffentlichte die EU-Kommission eine europaweite Umfrage, wonach Israel von einer beunruhigenden Zahl von Europäern als „Gefahr für den Weltfrieden“ bezeichnet wurde – noch vor Nordkorea, Iran und Libyen. Die Empörung in Israel über die schiefe Sicht auf den Nahost-Konflikt war groß. ,,Die Europäer sind blind für die Opfer der mörderischen Selbstmordattentate in Israel", beklagte sich der israelische Botschafter in Brüssel. Und wenige Tage nach der peinlichen Veröffentlichung wurde bekannt, dass die EU-Kommission seit Monaten eine Untersuchung unter Verschluss hält, deren Ergebnis nicht weniger beunruhigend war. Tenor: Unter islamischen Gruppierungen in Europa, besonders unter muslimischen Jugendlichen, nimmt ein aggressiver Antisemitismus auf geradezu dramatische Weise zu.

Dass eine Politik des Verschweigens und Verdrängens die Probleme nicht löst, hat der Präsident der EU-Kommission inzwischen wohl eingesehen. ,,Wir müssen gegen jede Erscheinung des Antisemitismus vorgehen und den Hintergrund, auf dem er wächst, frank und frei beim Namen nennen“, sagte Romano Prodi vor den Teilnehmern des Antisemitismus-Seminars, das die EU-Kommission mit jüdischen Organisationen in Brüssel veranstaltete. ,,Es gibt keinen Platz für Rassismus und Antisemitismus in der EU“.

Die Worte des Präsidenten sind jedoch mehr Wunsch als Wirklichkeit. Tatsächlich nimmt die Aggression gegen Juden auf beängstigende Weise zu. In Frankreich vergeht fast kein Tag, an dem jüdische Kinder nicht von nordafrikanischen Mitschülern beschimpft, beleidigt, körperlich attackiert werden. ,,In den jüdischen Gemeinden in Europa grassiert die Furcht“, berichtete der Nobelpreisträger von 1986, Elie Wiesel. In einer bewegenden Rede stellte der Schriftsteller, dessen Lebensthema der Holocaust ist, eine Frage, auf die in Brüssel keiner eine Antwort wusste: ,,Wenn Auschwitz den Antisemitismus nicht heilen konnte, was dann?“

Für den Präsidenten des jüdischen Kongresses in Europa, Cobi Benatoff, ist 60 Jahre nach dem Mord an den europäischen Juden ,,das Monster des Antisemitismus wieder da“. Durch Europa müsste ein Alarmschrei gehen, meinte er. Doch davon sei nicht die Rede: ,,Was am meisten beunruhigt, ist die Gleichgültigkeit der europäischen Gesellschaft.“ Sorgen macht vielen in Brüssel die explosive Mischung ganz unterschiedlicher Ideologien: Von den islamischen Extremisten über linke Globalisierungsgegner bis hin zur alten Rechten werde Hass gegen Israel gepredigt. Die Seminarteilnehmer waren sich einig: Kritik an der Politik der israelischen Regierung dürfe kein Tabu sein. Im Übrigen werde Scharon nirgendwo so hart kritisiert wie in Israel selbst. Wer aber das Existenzrecht Israels in Frage stelle und den Hass predige, überschreite die ,,rote Linie" zum Extremismus.

Nach dem Holocaust sei in einigen Staaten Europas ein ,,Antisemitismus ohne Juden“ entstanden, sagte Elie Wiesel. ,,Antisemitismus ist eine europäische Krankheit.“ Die einzige Möglichkeit, das Übel an der Wurzel zu packen, sei die bessere Information und breitere Bildung. Je ungebildeter eine Gesellschaft, desto anfälliger sei sie für Demagogie, Extremismus und auch Antisemitismus.

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