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Was nun? Der britische Premier David Cameron fährt ein hartes Sparprogramm, das bei den Wählern nicht gut ankommt. Foto: AFP

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Politik: Schlechte Stimmung bei den Tories

Die erste Nachwahl seit Mai trifft nicht die Liberaldemokraten, sondern die Partei des Premierministers

Die britische Regierungskoalition ist in der ersten Nachwahl seit der Unterhauswahl im Mai abgestraft worden. Das Wahlergebnis ist ein Nasenstüber für Konservative und Liberaldemokraten und eine sehnlich erwartete Hilfe für Labour-Chef Ed Miliband. Der wird seit seiner Wahl im September von Freund und Feind wegen Ideenmangels angezweifelt und lächerlich gemacht.

Überraschend war, dass bei den Koalitionsparteien nicht die Liberaldemokraten die Prügel für Sparmaßnahmen, Studiengebühren, hohe Bankerboni und den Abbau der Sozialleistungen einsteckten – alles „gebrochene Versprechen“ der Partei –, sondern die Tories. Denn Partei- und Regierungschef David Cameron hatte schützend die Hand über den angeschlagenen Koalitionspartner gehalten, Torywähler sogar indirekt ermuntert, für die Liberalen zu stimmen. Das funktionierte so gut, dass die Tories als abgeschlagene Dritte mit einem Verlust von mehr als elf Prozentpunkten abgestraft wurden. Das dürfte die Stimmung in der Koalition verhärten.

Gewählt wurde im Wahlkreis Oldham East and Saddleworth bei Manchester – wo die Labour-Stadtverwaltung am Wahltag die Entlassung von 2000 Gemeindeangestellten wegen von der Regierung verfügter Etatkürzungen ankündigte. Die Nachwahl war durch eine sensationelle Gerichtsentscheidung notwendig geworden. Dem im Mai siegreichen früheren Labour-Minister Phil Woolas wurde das Mandat entzogen, weil er den mit nur 140 Stimmen unterlegenen liberalen Kandidaten Elwyn Watkins durch Falschaussagen diffamiert hatte. Nun gewann die Labour-Ersatzkandidatin mit 42 Prozent und einer Mehrheit von 3500 Stimmen. Die Liberaldemokraten schafften 32, die Konservativen nur 13 Prozent

Labour-Chef Miliband freute sich, weil ihm der Sieg Luft verschafft. Parteifreunde drohten bereits, den ideenlosen Politiker zu stürzen, wenn er die Partei bis zu landesweiten Wahlen im Mai nicht wieder auf Kurs gebracht habe. „Die Botschaft der Wähler war klar. Die Kürzungen gehen zu schnell und zu weit.“ Miliband forderte, die Mehrwertsteuererhöhung, die Verdreifachung der Studiengebühren und Entlassungen bei der Polizei rückgängig zu machen.

Nick Clegg, der Chef der Liberaldemokraten, hatte für den Morgen nach der Wahl eine Krisensitzung angesetzt, im Wissen, dass eine schwere Wahlniederlage ihn in die Krise gestürzt hätte. Wie in Deutschland richtet sich auch in Großbritannien die Unzufriedenheit mit der Regierung auf den Juniorpartner: In Meinungsumfragen sind die Liberaldemokraten von 21 auf sieben Prozent eingebrochen. Manche halten die Existenz der Partei für gefährdet. Das Parteivolk ist gespalten in loyale Funktionäre auf der Regierungsbank und einen empörten Rest. Manche haben, wie Wirtschaftsminister Vince Cable, einen Fuß in beiden Lagern. Als Reporter des „Daily Telegraph“ liberale Parlamentarier in ihren Wahlkreissprechstunden ausspionierten, plauderte er. „Koalition ist wie Krieg“, sagte er der angeblichen Wählerin. Notfalls werde er aber mit seinem Rücktritt „die Atombombe“ in der Koalition zünden.

Am Freitag aber sprachen die Liberaldemokraten statt über die Krise über ihren Erfolg. „Das starke Ergebnis zeigt, dass wir eine einige, unabhängige Partei sind und weiter Unterstützung haben“, meinte Nick Clegg erleichtert. Umweltminister Chris Huhne kommentierte gleichmütig, es sei eben so, dass Wähler zwar die Haushaltssanierung wollten, nur nicht, wenn sie selbst direkt betroffen seien.

Ungemütlicher wird es nun für Premier Cameron. Bei konservativen Hinterbänklern und an der Parteibasis wächst der Widerstand gegen seinen Schmusekurs mit Clegg. Cameron nutzte die Liberaldemokraten einerseits als Blitzableiter für viele unpopuläre Maßnahmen, andererseits erlaubte ihm der Zwang, den Koalitionspartner zu stützen, die Partei in die Mitte zu rücken und die Tory-Rechte kaltzustellen. Die sehen Koalitionskompromisse bei der Gefängnisreform, der Abschwächung der Terrorismusgesetze oder in der Europapolitik als Ausverkauf.

Die Webseite „Conservative Home“ ging am Freitag zum Angriff über. Er werde „von Tag zu Tag beunruhigter“, kommentierte der Europaparlamentarier Roger Helmer. „Wozu eine konservative Partei, wenn sie keine konservative Politik mehr macht.“ Der frühere Abgeordnete Paul Goodman fordert ein „Ende der Rosengartenpolitik“: Die Partei habe es satt, dass ihre eigenen Interessen weniger zählten als die der Liberalen.

Die Stimmung in der Koalition dürfte also rauer werden. Beide Parteichefs müssen nun das Eigenprofil ihrer Parteien pflegen. Ausgerechnet jetzt, da die schwierigen Zeiten erst beginnen. Die Auswirkungen der Sparpolitik werden immer spürbarer, die Konjunktur sieht nicht mehr so rosig aus wie im Herbst, und angesichts rapide steigender Ölpreise rührt sich eine Allianz der Unzufriedenheit, die über jede Parteipolitik hinausgeht: Eine neue Protestwelle gegen hohe Spritpreise droht.

Matthias Thibaut

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