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Politik: Schlechtes Klima im Kohleland

Schon vor 13 Jahren wollte die SPD-Regierung von NRW die Umwelt schützen – doch Energieversorger RWE braucht dafür viel Zeit

Helmut Linssen bewies erstaunliche Weitsicht: Kurz nachdem sich die sozialdemokratische Landesregierung von Johannes Rau im Oktober 1994 für das zehn Milliarden Euro schwere Kraftwerks-Erneuerungsprogramm hatte feiern lassen, machte der damalige Oppositionsführer auf etliche Schwachstellen in dem Vertragswerk aufmerksam: „Das ist eine der größten Irreführungen der Öffentlichkeit, die ich je gesehen habe“, polterte der Christdemokrat. Johannes Rau und sein Umweltminister Klaus Matthiesen priesen das Vertragswerk mit dem Energieriesen RWE als Jahrhunderttat: „Wir vereinen Umweltschutz und Arbeitsplätze“, lobte sich Matthiesen und profilierte sich als heimlicher Industrieminister.

Man hatte sich darauf verständigt, die existierenden Braunkohlekraftwerke am linken Niederrhein zu ersetzen. Beginnen wollte man mit den größten Dreckschleudern: Die Anlage in Frimmersdorf versprach man bis 1999 vom Netz zu nehmen; da sollte längst das erste neue Kraftwerk mit deutlich höherem Wirkungsgrad fertig sein.

1994 wurde zwar noch nicht über Klimaschutz debattiert, aber Umweltaspekte standen im Vordergrund. Aus dem rheinischen Braunkohlerevier kamen damals wie heute rund 50 Prozent des in Nordrhein-Westfalen hergestellten Stroms; NRW ist bis heute das Energiezentrum der Republik – jede dritte Kilowattstunde wird an Rhein und Ruhr erzeugt. „Wir schaffen mit diesem Programm die Voraussetzungen für 27 Prozent Entlastungen bei den spezifischen CO2-Emissionen“, versprach die RWE- Tochter Rheinbraun in großen Anzeigen.

Wenn man Reiner Priggen die Motive heute zeigt, macht er höchstens eine abfällige Handbewegung: „Das haben wir immer gesagt, die machen das nicht“, sagt der energiepolitische Sprecher der Grünen – auf einer Linie mit Helmut Linssen von der CDU. Priggen stammt aus Aachen, sein Engagement bei den Grünen hat wesentlich mit den Kraftwerken vor seiner Haustür zu tun.

Neu gebaut hat Rheinbraun erst ein Kraftwerk mit 950 Megawatt in Niederaußem. 2002 feierte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder die Eröffnung als energiepolitische Großtat. Dass seit 1994 versprochen war, dafür das Kraftwerk Frimmersdorf vom Netz zu nehmen, vergaß er bei seiner Rede zur Einweihung. Das ist bis heute nicht geschehen.

Wer bei RWE danach fragt, erhält immer die gleiche Antwort: „Schauen Sie in den Vertag, er gilt nur, wenn sich die energiepolitischen Rahmenbedingungen nicht verändern.“ Eine Liste von Punkten bis hin zum Emissionshandel soll diesem Primat widersprechen. Priggen aber fordert: „Die Umsetzung des Vertrages muss hart eingefordert werden.“ Damit liegt der Ball bei der neuen Landesregierung, der auch Helmut Linssen angehört.

Bundesratsminister Michael Breuer hat RWE gebeten, den Versprechen endlich Taten folgen zu lassen. Aber gerade überwiegt die Freude, dass nach Niederaußem auch in Neurath die Bagger angerollt sind. Dass das bis 2030 zu weniger CO2-Emissionen führt, bezweifelt nicht nur Reiner Priggen: „Die wollen konstant 100 Millionen Tonnen Braunkohle verstromen, demnächst nur mit effizienteren Kraftwerken, also produzieren sie mehr Strom bei gleichen Emissionen wie 1994.“

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel möchte endlich größere Erfolge sehen und bremst deshalb bei der Zuteilung von Emissionsrechten nun die alten Anlagen: Sie bekommen künftig nur noch so wenige Verschmutzungsrechte, wie vergleichsweise neue Kraftwerke mit höheren Wirkungsgraden benötigen würden.

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