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Annegret Kramp-Karrenbauer im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin.

© RubyImages/F. Boillot

Mehr Basis wagen: Es wird Zeit, dass sich die Volksparteien radikal verändern

Sollen Parteimitglieder über Spitzenposten mitentscheiden? In Union und SPD sind Debatten entbrannt. Dabei geht es auch um Akzeptanz. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christian Tretbar

Endlich kommen sie in Wallung. Diskutieren. Öffnen Grenzen des Denkens. Das ist, egal, was am Ende raus kommt, durchaus ein Wert an sich. Der Rücktritt von Andrea Nahles hat in der SPD nicht nur eine Debatte darüber ausgelöst, wenn ja, wie viele die SPD führen sollen, sondern auch eine Diskussion darüber, wie überhaupt gewählt werden soll. Dasselbe in der CDU. Auch dort gibt es erste Stimmen, die eine Urwahl der Kanzlerkandidatin oder des -kandidaten fordern.

Die größeren deutschen Parteien sind da im Zugzwang. Auch weil sie immer wieder vor Augen geführt bekommen, wie andere westliche Länder ihr Spitzenpersonal bestimmen. In den USA sind aufwendige Vorwahlen, bei denen sich mehrere Kandidaten behaupten müssen, notwendig. In Großbritannien kämpfen gerade verschiedene Kandidaten um die Gunst der Abgeordneten und später auch der Parteibasis.

Hinterzimmerkungelei, fehlende Transparenz

Nur in Deutschland galt lange Zeit das Hinterzimmer, der engere Parteikreis, als Hort der Ernennung. In Zeiten, wo Transparenz, Beteiligung und Mitbestimmung neue Bedeutung gewinnen, wo man sich damit auch abgrenzt gegenüber autoritären Regimen, dürfen wichtige Posten in einer Partei nicht länger allein im Inner Circle vergeben werden. Das schadet der Akzeptanz der Parteien - und der Demokratie insgesamt.

Ein solcher Prozess verändert die politische Landschaft. Denn plötzlich müssen Kandidatinnen und Kandidaten andere Fähigkeiten mitbringen, auch eine andere Ernsthaftigkeit ihrer Bewerbung. Wer vor der Parteibasis bestehen will, wird auch mit deren Ängsten, Sorgen und Nöten konfrontiert und muss Lösungen präsentieren. Ein offenes Auswahlverfahren bietet Chancen für Außenseiter, für Köpfe, die keine jahrelange Funktionärslaufbahn hinter sich haben. Das müssen nicht immer zwangsläufig die besseren Kandidaten sein, weil man am Ende Politik in Gremien durchsetzen und Kompromisse finden muss. Aber die vermeintlichen No Names der Parteien bekommen so wenigstens überhaupt die Chance, ihr Können unter Beweis zu stellen. Und gerade die Volksparteien sind auf neue Gesichter angewiesen.

Das Verfahren kann helfen, Vertrauen zurückzugewinnen

Nur irgendwo muss doch die Gefahr einer Urwahl lauern? Schaffen es am Ende nur die populistischen Kandidaten und nicht die Sachkundigsten? Das ist Quatsch. Natürlich braucht eine Vorsitzende oder ein Vorsitzender Überzeugungskraft nach innen wie nach außen und die wird bei einer Urwahl mehr abgefragt als bei einem Krönungsparteitag ohne Gegenkandidaten.

Was der Artikel fordert, wäre eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Längst überfällig. Die schlechten Wahlergebnisse machen es möglich: die 'Volksparteien fangen an, über Grundsätzliches neu nachzudenken. Viel Erfolg.

schreibt NutzerIn gophi

Insbesondere die Volksparteien kämpfen derzeit um verlorengegangenes Vertrauen, um ihre Glaubwürdigkeit und ihre Strahlkraft. Mit einer Urwahl lässt sich nicht alles retten, am Ende kommt es auf die Kandidaten an, die zur Wahl stehen. Aber das Verfahren kann helfen, Vertrauen zurückzugewinnen, eine breitere Legitimation für die neue Parteispitze zu erlangen und eine bessere Ausgangslage für die Durchsetzung der eigenen (Partei-)Politik zu schaffen.

Aber wer sollte überhaupt an einer Urwahl teilnehmen dürfen? Alle Interessierten? Nur Mitglieder? Wenn man den Einfluss der Mitglieder einer Partei stärken und die Attraktivität einer Mitgliedschaft hervorheben will, sollte man den Mitgliedern auch Privilegien zugestehen. Die Wahl des Vorsitzes sollte dazu gehören. Der Rest des Wahlvolkes hat sowieso eine andere Urwahl: die Bundestagswahl.

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