zum Hauptinhalt
Empfang vor dem Kanzleramt Der ukrainische Parlamentspräsident Stefantschuk (links) und Kanzler Scholz am Freitag in Berlin.

© IMAGO/Political-Moments

Scholz' Prioritäten bei der EU-Erweiterung: Der Kanzler besucht den Westbalkan statt Kiew

Eine Einladung nach Kiew nimmt Olaf Scholz „freundlich zur Kenntnis“. Stattdessen besucht er kommende Woche erst einmal die Westbalkan-Region.

Manchmal können Treffen im Kanzleramt eine hoch symbolische  Bedeutung haben. Kanzler Olaf Scholz (SPD) musste sich am vergangenen Mittwoch bei der Haushaltsdebatte im  Bundestag  von Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) die Frage gefallen lassen, warum er  nicht den ukrainischen Parlamentspräsidenten Ruslan Stefantschuk bei dessen Berlin-Besuch empfange. Am frühen Freitagmorgen kam es nun im Kanzleramt zu einer Begegnung zwischen Scholz und dem Gast aus der Ukraine – was in gewisser Weise als Gradmesser für das Ausmaß der Solidarität der Bundesregierung mit der Regierung in Kiew taugt. Allerdings blieben auch nach dem Treffen etliche Fragen offen.

[Alle aktuellen Nachrichten zum russischen Angriff auf die Ukraine bekommen Sie mit der Tagesspiegel-App live auf ihr Handy. Hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen.]

Da ist zunächst einmal die Frage, was Scholz mit der Einladung nach Kiew anstellen will, die Stefantschuk aussprach. Vize-Regierungssprecher Wolfgang Büchner erklärte dazu lediglich, dass Scholz die Einladung, im Parlament in Kiew zu sprechen, „freundlich zur Kenntnis genommen“ habe. Mit anderen Worten: Wann Scholz, der zuletzt vor dem russischen Angriffskrieg die ukrainische Hauptstadt besucht hat, dorthin zurückkehren wird, ist unklar. Ähnliches gilt übrigens auch für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron.

Mehr zum Ukraine-Krieg auf Tagesspiegel Plus:

Noch drängender ist wohl die Frage, wie sich die Bundesregierung angesichts des Wunschs des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj positionieren will, seinem Land beim bevorstehenden EU-Gipfel am 23. und 24. Juni den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu verleihen. Zwar herrscht in der EU inzwischen Konsens, dass ein Express-Beitritt zur EU, wie er Selenskyj ursprünglich vorschwebte, nicht in Frage kommt. Experten gehen davon aus, dass zwischen der Verleihung der Beitrittskandidatur und einer Vollmitgliedschaft der Ukraine mindestens ein Jahrzehnt vergehen würde.

Dennoch spaltet das Thema weiter die EU: Deutschland ist mit Ländern wie Frankreich und den Niederlanden in der Frage des Kandidatenstatus für Kiew zurückhaltend. Dagegen legen sich Staaten wie Polen offensiv dafür ins Zeug.

Die EU-Kommission wird sich wohl zu Gunsten der Ukraine aussprechen

Zusätzlicher Entscheidungsdruck entsteht für die 27 EU-Staaten, weil in Brüssel damit gerechnet wird, dass die EU-Kommission vor dem Gipfel Ende Juni empfehlen wird, der Ukraine den Kandidatenstatus zu verleihen. Derzeit prüft die Brüsseler Behörde den Antrag der Regierung in Kiew auf eine EU-Mitgliedschaft.

Scholz ist hingegen in der konkreten Frage, ob den Ukraine nun den begehrten Status erhalten soll oder nicht, bislang im Ungefähren geblieben. So hatte er zuletzt darauf hingewiesen, dass auch Fragen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit mit Blick auf eine mögliche EU-Mitgliedschaft der Ukraine beachtet werden müssten. Vor allem die in der Ukraine weiter verbreitete Korruption gilt als Hindernis auf dem Weg des Landes in die Gemeinschaft.

Ganz andere Töne hatte am Donnerstag Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) angeschlagen. „Es reicht nicht zu sagen, Ja, ihr gehört zu Europa, sondern ihr gehört in die Europäische Union“, hatte Baerbock gesagt.

Der Chef des Europaausschusses, Anton Hofreiter, plädiert für die Verleihung des Kandidatenstatus an die Ukraine.
Der Chef des Europaausschusses, Anton Hofreiter, plädiert für die Verleihung des Kandidatenstatus an die Ukraine.

© Stefan Weger

Der Chef des Europaausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter (Grüne), sagte dem Tagesspiegel, dass Russlands Präsident Wladimir Putin mit seinem Angriffskrieg auch gegen die europäische Integration der Ukraine kämpfe. „Der Ukraine jetzt den Kandidatenstatus zu versagen, wäre nichts anderes als ein Erfolg für Putin“, sagte Hofreiter. FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff erklärte: „Die Ukraine hat eine Beitrittsperspektive verdient.“

Außen- und Europapolitiker der Union für Kandidatenstatus

Derweil haben sich die Außen- und Europapolitiker der Unionsfraktion dem Vernehmen nach auf eine Position verständigt, der zufolge die Ukraine beim EU-Gipfel Ende des Monats den fraglichen Status erhalten soll.

Dagegen gilt Scholz’ Augenmerk eher den Staaten des westlichen Balkans, die ebenfalls Mitglied in der EU werden wollen. Am Ende der kommenden Woche ist eine Reise des Kanzlers in die Region geplant. Zu den Stationen gehört auch Nordmazedonien, das sich die baldige Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit der Gemeinschaft  erhofft.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false