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Nicola Sturgeon kommt zu dem Schluss: „Ein No-Deal-Brexit kann nicht ausgeschlossen werden.“

© imago images / Jens Schicke

Schottlands Regierungschefin in Berlin: Nicola Sturgeon – das nette Gesicht des Nationalismus

Bei einem Auftritt in Berlin zeigt Schottlands Regierungschefin Sturgeon Zuversicht. Ein zweites Unabhängigkeitsreferendum werde positiv ausgehen, sagt sie.

Nicola Sturgeon zeigt Selbstbewusstsein. „Ich bin zuversichtlich, dass wir ein Referendum haben werden, und ich bin zuversichtlich, dass es dabei zu einer Zustimmung zur Unabhängigkeit kommen wird“, sagt die Erste Ministerin Schottlands am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

Die 49-Jährige strebt für die zweite Hälfte des kommenden Jahres ein zweites Unabhängigkeitsreferendum an, und der Brexit-Kurs des britischen Regierungschefs Boris Johnson wirkt dabei wie Treibstoff für ihren Kampf um die Eigenständigkeit der Region nördlich des Hadrianswalls. „Die Unabhängigkeit für Schottland steht ganz oben auf der Agenda“, sagt sie bei ihrem Auftritt in Berlin.

Sturgeon, die nach der Pressekonferenz später in Berlin unter anderem noch den Grünen-Chef Robert Habeck trifft, ist gewissermaßen das nette Gesicht des schottischen Nationalismus.

Während ihr Vorgänger im Amt des schottischen Regierungschefs und des Vorsitzenden der Scottish National Party (SNP), Alex Salmond, noch als verbohrter Separatist wahrgenommen wurde, tritt Sturgeon diplomatischer auf. Sie setzt sich dafür ein, dass das Vereinigte Königreich trotz der Volksabstimmung von 2016 doch noch in der EU bleibt. Und für den Fall, dass ein Brexit schon nicht aufzuhalten ist, hat sie in der Vergangenheit einen Verbleib Großbritanniens in der EU-Zollunion gefordert.

Der eigentliche Lebenstraum der Scottish National Party besteht indes darin, die im Jahr 1707 geschlossene Union mit England wieder aufzukündigen.

Die Brexit-Wirren helfen der Scottish National Party

Die Brexit-Wirren kommen Sturgeon dabei entgegen. Noch vor fünf Jahren sprach sich bei einem Referendum in Schottland eine Mehrheit von 55 Prozent gegen die Loslösung von London aus. Eine Mehrheit der Schotten fand seinerzeit bei dem Volksentscheid, dem der damalige Premierminister David Cameron seinen Segen gegeben hatte, die Argumente der Anti-Separatisten überzeugender. Die liefen darauf hinaus, dass die Schotten wirtschaftlich im Verbund innerhalb des Vereinigten Königreiches besser fahren würden als außerhalb.

Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon und der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck am Mittwoch in Berlin.
Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon und der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck am Mittwoch in Berlin.

© imago images / photothek

Doch dann kam das britische EU-Referendum von 2016, und dies änderte alles. Anders als die Mehrheit im Vereinigten Königreich sprachen sich die Schotten dabei dafür aus, in der EU zu bleiben. Sturgeon, die in der Zwischenzeit den glücklosen Salmond abgelöst hatte, reagierte damals schnell und machte sich für ein zweites Unabhängigkeits-Referendum stark. Ein eigenständiges Schottland, das seinen Platz in der EU hat – so lautete ihr Motto für die langfristige Zukunft.

Doch jetzt gilt es für Sturgeon erst einmal, die unübersichtliche Wegstrecke bis zum derzeit geplanten Brexit-Datum am 31. Oktober und darüber hinaus zu bewältigen. „Wir leben in außergewöhnlichen und noch nie dagewesenen Zeiten“, sagt Sturgeon in Berlin.

Das ist eine freundliche Umschreibung für das Chaos in der britischen Politik, das immer größer zu werden scheint. Zu welchem Urteil das oberste britische Gericht, der Supreme Court, über die von Johnson verfügte Zwangspause kommt, mit welchen Finten der Premierminister das vom Parlament beschlossene Anti-No-Deal-Gesetz möglicherweise noch umgeht, wie groß sein Wille zur Diplomatie gegenüber den verbleibenden 27 EU-Staaten vor dem EU-Gipfel am 17. und 18. Oktober tatsächlich noch sein wird – keiner weiß es.

Sturgeon glaubt nicht an eine Zustimmung des Unterhauses

Sturgeon kommt jedenfalls zu dem Schluss: „Ein No-Deal-Brexit kann nicht ausgeschlossen werden.“ Denn es lasse sich nicht absehen, dass Johnson im Ringen um eine Neufassung des EU-Austrittsvertrages eine Vereinbarung hinbekomme, die sowohl die Zustimmung der EU als auch der Mehrheit der Unterhausabgeordneten finde.

Klar scheint indes, dass es in Großbritannien irgendwann in den kommenden Monaten Neuwahlen geben wird. Ihre Partei werde sich weiterhin für einen „fairen Brexit“ und die Abwendung eines No-Deal-Szenarios einsetzen, kündigt Sturgeon an. Zudem wolle die SNP dafür sorgen, dass Schottland „noch viele Jahre lang“ weiterhin Mitglied der EU bleibt.

Der Weg zu einer Unabhängigkeit führt über London

Klar ist auch, dass der Weg über eine mögliche Unabhängigkeit Schottlands zwangsläufig über England führt. So wie Cameron 2012 seine Zustimmung zu einer Abstimmung unter den Schotten gab, so müsste die Zentrale in London auch einer möglichen Wiederholung des Votums den Weg ebnen. Auch in diesem Punkt gibt sich Sturgeon in Berlin zuversichtlich. Es sei nicht legitim, die Schotten an einer Entscheidung zu hindern, sagt sie. „Ich glaube an die Macht der Demokratie.“

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