zum Hauptinhalt

Schredder-Affäre: Mehr als 300 Akten zu rechter Szene vernichtet

Bis zum vergangenen Juli hat der Verfassungsschutz insgesamt 310 Akten zum Rechtsextremismus in den Reißwolf gesteckt - weit mehr als bislang bekannt. Unklar bleibt, welche Informationen zum Umfeld der Terrorgruppe NSU verloren gegangen sind.

Von Frank Jansen

Nach dem Ende der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“ am 4. November 2011 sind beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) weit mehr Akten zum Rechtsextremismus vernichtet worden als bislang öffentlich bekannt war. Zwischen dem 4. November und dem 4. Juli 2012 haben Mitarbeiter insgesamt 310 Akten in den Reißwolf gesteckt – zusätzlich zu den sieben V-Mann-Akten, die ein Referatsleiter offenbar eigenmächtig am 11. November vernichten ließ und damit die „Schredder-Affäre“ auslöste. Sie veranlasste im Juli den damaligen BfV- Präsidenten Heinz Fromm, vorzeitig aus dem Amt zu scheiden. Erst im selben Monat wurde die Vernichtung von Akten zum Rechtsextremismus gestoppt.

Die neuen Zahlen zu vernichteten Akten stehen in dem Bericht, den der im Juli von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ernannte Sonderbeauftragte zur Klärung der Affäre, Hans-Georg Engelke, erstellt hat. Er trat am Donnerstag in einer nur anfangs öffentlichen Sitzung vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages auf. Zuvor hatten die Abgeordneten eine siebenseitige, „offene“ Fassung des Berichts erhalten. Das komplette Papier, 80 Seiten, konnten die Obleute nur in der Geheimschutzstelle des Bundestages sichten. Engelke, der einst beim BfV tätig war, war nach eigenen Angaben vom Umfang der Vernichtung überrascht. Seine Nachforschungen hätten aber ergeben, dass es sich um routinemäßige Vorgänge gehandelt habe.

Die Vernichtung der 310 Akten steht laut Engelke in keinem Zusammenhang zur unzulässigen Aktion des Referatsleiters vom 11. November. Unklar bleibt aber, welche Informationen aus den 310 Akten zum Umfeld der Terrorgruppe NSU verloren gegangen sind. Im offenen Bericht steht, „in den weitaus meisten Fällen kann eine Querverbindung zu Personen aus dem Umfeld des NSU ausgeschlossen werden“. Und Engelke betont in dem Papier, „in den Fällen, in denen Querbezüge zu Personen aus dem NSU-Umfeld bestehen“, lägen bei der Vernichtung „keine Anhaltspunkte auf eine Verheimlichungsabsicht vor“. Vor Engelke hatte Klaus-Dieter Fritsche, Staatssekretär im Innenministerium, dem Ausschuss gesagt, die Nennung der Klarnamen von V-Leuten „kann vor diesem Gremium verweigert werden“. Der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) war empört: Sei das Recht auf Aufklärung nicht höher zu bewerten „als Vertraulichkeit für einen V-Mann“? Fritsche blieb hart. Zum „Staatswohl“ gehöre, „dass bei so empfindlichen Operationen, wie es V-Mann-Operationen sind“, der Kreis derer, die Kenntnis erhalten, eingeschränkt bleiben müsse.

Ende September hatte bereits Minister Friedrich im Tagesspiegel-Interview geäußert, er würde dem Ausschuss keine Klarnamen nennen, denn der „Schutz von Leib und Leben“ der Spitzel und ihrer Kontaktpersonen in den Behörden habe Vorrang.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false