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Politik: Schröder hat erst gelernt, wie man praktisch regiert - jetzt sucht er die passende Überschrift (Kommentar)

1999 schien das Ende von Rot-Grün nur noch eine Frage von Monaten zu sein. Dann die Zeitenwende: Die CDU steckt im Skandalsumpf.

1999 schien das Ende von Rot-Grün nur noch eine Frage von Monaten zu sein. Dann die Zeitenwende: Die CDU steckt im Skandalsumpf. Und der rot-grünen Chaostruppe scheint alles zu glücken. Fast alles. Deshalb die Frage: Was kann die Regierung jetzt tun, was soll sie tun?

Als Schröder im Oktober 1998 seine Regierungserklärung hielt, vermissten Kritiker eine griffige Message - eine Botschaft, aus der sich klipp und klar eine Überschrift machen liess. Doch aus Furcht vor Säkularbotschaften, wie "mehr Demokratie zu wagen" oder die "geistig-moralische Wende" zu vollziehen, die ihre Verkünder - Willy Brandt und Helmut Kohl - über lange Zeit verfolgten, sprang Schröder lieber verhalten pragmatisch. Zudem hatte sich sein Wahlkampflabel von der "Neuen Mitte" längst selbstständig gemacht, war als späte Klaus-Harpprecht-Reprise enttarnt, als "deutsches Gerenne um die Mitte" (Peter Glotz) ironisiert oder als "vages Einerseits-Andererseits eines neu-formierten Korporatismus" (Richard Herzinger) zerlegt worden.

"Er probiert noch", schmunzelten viele, als seine Ideologieplaner mit dem Blair-Schröder-Papier den nächsten ideologischen Versuchsballon starteten. Viel Echo war ihm beschieden, aber wenig Resonanz. Nur neoliberale Klischees würden gegen deutsche Sozialstaatstraditionen gewendet, lautete der unterschwellige Verratsvorwurf von Parteilinken und jenen Traditionalisten, die einen Dritten Weg über das deutsche Modell ihres "AOK-Sozialismus" hinaus ohnehin für Eti-kettenschwindel halten.

Doch seit dem Berliner Parteitag im Dezember nimmt sich Schröder der Partei auch ideologisch an. Vorbei scheinen die Zeiten medialer Überraschungscoups wie dem Blair-Schröder-Papier, mit dem er die diskussionsverwöhnte Partei überfuhr und auf Seiten der theorielastigen Linken schlafende Hunde weckte. Integrative Botschaften sind nunmehr angesagt. Damit will der Kanzler auch einen inhaltlichen Beitrag zur Bewältigung des Lafontaine-Debakels leisten, wiewohl er mit postkeynesianischen Kampfrufen gegen die internationale Finanzwelt nicht dienen kann.

Die in die Jahre gekommene Grundwertekommission beschwört noch immer emphatisch linke Identitäten gegen die weltweiten Gefahren der Globalisierung. Einige junge SPD-Abgeordnete, die unter dem Banner "Berlin Generation" gegen den Enkel-Hedonismus antreten, halten noch immer nach einer neuen Parteimoral Ausschau und setzen dabei auf einen sittsamen Zentrimus. Dagegen sucht Gerahrd Schröder nach einer integrativen Formel, um seine Modernisierungsabsichten vom Ruch, nur ein neoliberales Imitat zu sein, zu befreien.

Was sich in seiner Neuköllner Parteitagsrede bereits anzudeuten schien, soll nunmehr als geistiges Projekt ausformuliert werden: die Idee einer zivilen Bürgergesellschaft. "Nix Neues", werden seine Kritiker wohl sagen, in Erinnerung an die Debatten der frühen 90er Jahre, als mit jenem Begriff in couragierten Widerstandskreisen der osteuropäischen Dissidenz der Alltag einer humanen Zukunftsgesellschaft beschworen wurde, fernab aller visionären Systemmodelle.

Dass die Idee einer zivilen Bürgergesell-schaft keine genuin sozialdemokratische ist, stört Schröder in seinen Bemühungen wenig. Zum einen möchte er nicht als Parteichef einer geistig-programmatischen Auszehrung in die Geschichte eingehen, zumal ihn das Etikett des intellektuell Unterbelichteten so zu nerven scheint wie sein musisch begabtes Vorbild Helmut Schmidt das ewige Macher-Image.

Zum anderen eignet sich der Begriff der zivilen Bürgergesellschaft für viele Zwecke - den Verdacht des ökonomischen Primats endlich abzuschütteln, den überkommenen Etatismus traditioneller Parteifreunde einzudämmen und "einem Verschwinden der Politik" entgegen zu arbeiten, ohne falsche Hoffnungen auf eine Wiederkehr des Ver-teilungsstaates zu wecken. "Eine der großen Illusionen in der modernen Gesellschaftspolitik ist die Vorstellung, "mehr Staat" sei das beste Mittel um mehr Gerechtigkeit zu erreichen."

Ein immer größerer Verantwortungsimperialismus des Staates gegenüber der Gesellschaft führe geradewegs zur Abschaffung der Politik, "Nicht der omnipräsente Staat ist stark, sondern der aktivierende Staat." heißt es in einem Grundsatzpapier, mit dem Schröder eine neue Debatte anreissen möchte.

Er weiß, dass der Sozialdemokratie die Abgrenzung zwischen Sozialstaat und Zivilgesellschaft nicht immer leicht gefallen ist. Denn noch heute reagieren Parteilinke auf zivilgesellschaftliche Überlegungen hellhörig, weil sie dahinter nur eine Privatisierung der Solidarität vermuten.

"Nachbarschaftshilfe", "Selbstorganisa-tion", "Betreuungsaufgaben" - Gerhard Schröders neue, sozial abgefederte Tonlage erinnert mehr an Lobreden von Johannes Rau auf das "Ehrenamt" als an Herzogs Ruck-Tenor. In vier Aufgabenfeldern will der Kanzler die Diskussion um Staat und Zivilgesellschaft anheizen. Im Gesundheitswesen verweist er auf die Möglichkeiten von Internet und Online-Diensten, "Patienten an der Organisation ihrer eigenen Medizin- und Be-handlungspläne zu beteiligen." Die "Erneuerung unserer Städte" beginnt beim Rückzug des Staates, denn nicht immer sichere ein langes Planfeststellungsverfahren auch die beste Bürgerbeteiligung. Darüber hinaus erscheint die Reform des Stiftungsrechtes als zivilgesellschaftliches Zaubermittel, um ein vielfältiges Engagement von einzelnen und Gruppen zu ermöglichen. Schließlich kümmert sich das Papier auch um die "Streetworker auf der Datenautobahn", um der wachsenden Gefahr der Ausgrenzung aus der Medien- und Informationsgesellschaft vorzubeugen.

Schröders "offener Bürgerstaat" zielt auf die Neuformierung einer anti-etatistischen Linken. Diese setzt indes die Auflösung eines Parteimythos voraus und geht damit an die Wurzel sozialdemokratischen Selbstver-ständnisses. Die Rücknahme strahlender Verheißungen schließt freilich auch den Ver-zicht auf die hemdsärmelige Macher-Pose des "Wir schaffen das schon" mit ein, wie sie für den dritten sozialdemokratischen Bundeskanzler nicht ganz untypisch ist.Aus der Serie "Zeit zum Regieren (1)"

Der Autor ist leitender Redakteur der in Berlin erscheinenden Monatszeitschrift "Neue Gesellschaft".

Norbert Seitz

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